Rezension

Der Fall Olaf Latzel – und was daran irritiert

Kaum jemand hat die juristische Auseinandersetzung um Pastor Olaf Latzel so intensiv begleitet wie der idea-Journalist David Wengenroth. Seine Erkenntnisse hat er in dem Buch „Der Fall Latzel“ aufgeschrieben. Dabei kommt die Justiz nicht gut weg.
Von Johannes Blöcher-Weil
Die Autoren des Buches sehen klare Versäumnisse in der Justiz

Wenn die deutsche Justiz ihre Hausaufgaben gemacht hätte, wären dem Bremer Pfarrer Olaf Latzel mehrere Jahre Spießrutenlauf erspart geblieben. Zu diesem Fazit kommen der idea-Redakteur David Wengeroth und der Jurist Felix Böllmann in ihrem neuen Buch „Der Fall Latzel“. Böllmann arbeitet für die Organsation ADF International, die sich europaweit für Religionsfreiheit und die Stärkung von Ehe und Familie einsetzt.

Die Autoren sehen in der rechtlichen Auseinandersetzung rund um den Pfarrer eine „Rufmord-Kampagne“, an der Kirchen, Medien und Politik mitgewirkt hätten. Der Pastor hatte in einem gemeindeinternen Ehe-Seminar Äußerungen getätigt, die die Staatsanwaltschaft dazu veranlassten, ihm Volksverhetzung vorzuwerfen.

Das finden die Autoren völlig überzogen. Latzel selbst habe erst die Reißleine gezogen und die Geldstrafe und ein – zeitlich begrenztes – reduziertes Gehalt als Disziplinarmaßnahme akzeptiert. Die Autoren dröseln haarklein das Vorgehen der verschiedenen Instanzen auf. Sie werfen der Staatsanwaltschaft fehlende Objektivität vor.

Tatsachenverdrehung und Unwahrheiten

Für sie ist der Prozess aber auch ein schlechtes Beispiel für den Umgang mit Meinungsfreiheit. Im Rahmen des Prozesses seien Tatsachen verdreht, Unwahrheiten verbreitet und der konservative Theologe in der Öffentlichkeit verzerrt dargestellt worden. Die öffentlichen Institutionen hätten sich vor den Karren der Rufmordkampagne spannen lassen, um eine unliebsame Person loszuwerden.

Als konservativer Pfarrer beurteile Latzel einige ethische Fragen anders als liberale Theologen. Latzel sei im linken Bremen mit seiner konservativen Theologie schon häufig angeeckt. So habe er 2008 beim Christival in Bremen Position gegen Homosexualität und für das ungeborene Leben bezogen. Dafür habe er jede Menge Hass geerntet und sei oft genug Opfer von Angriffen aus der autonomen Szene gewesen.

Für alle missverständlichen Aussagen habe sich der Pastor früh entschuldigt. Trotzdem hätten die Behörden seine Aussagen gezielt verdreht, um ihn wegen Volksverhetzung anzuklagen. Dafür hätten sie auch den Umstand genutzt, dass monatelang niemand den Originalmitschnitt selbst anhören konnte, um ein entsprechendes Bild des Pastors in der Öffentlichkeit zu erzeugen.

Ein kleiner „Justizskandal“?

Die beiden Juristen betonen den großen Spielraum, den die Meinungsfreiheit gewährleistet. Deren Grenze sei erst dort erreicht, wo jemand den öffentlichen Frieden gefährde oder die Würde des Menschen verletze. Und beides sei in Latzels Fall nicht gegeben. Der Pfarrer predige lediglich Gottes Wort in seiner Theologie konsequent.

Die Autoren bemängeln juristische Fehler und logische Widersprüche nicht nur in der Anklage, sondern auch im weiteren Verfahren und in der Urteilsbegründung. Sie hinterfragen, ob Latzel mit seinen Äußerungen wirklich zum Hass aufgestachelt oder die Menschenwürde angegriffen habe. Wenn ihre Vermutung stimmt, dass es darum gegangen sei, Latzel aus dem Verkehr zu ziehen, wäre das natürlich einer deutschen Justiz unwürdig.

Doch Wengeroth und Böllmann kritisieren darüber hinaus, dass die Argumente der Verteidigung auf bedenkliche Art und Weise weggewischt wurden. Auch das Amtsgericht habe zulasten des Angeklagten gehandelt. Das Versäumnis des Gerichts liege darin, zu wenig zwischen Meinungsfreiheit, die auch kontroverse Positionen und provokante Aussagen schütze, und Glaubensfreiheit zu unterscheiden. Für die Autoren ein „kleiner Justizskandal“. Denn aus ihrer Sicht sei ein Freispruch am Ende des Prozesses eigentlich zwingend gewesen.

Maximaler Schaden für den Angeklagten

Das mehrjährige Verfahren über drei Instanzen habe nicht nur das Ansehen des Angeklagten maximal beschädigt, sondern auch die Debatte rund um die Meinungsfreiheit. Obwohl der Tatbestand der Volksverhetzung aus Autorensicht nie erfüllt gewesen sei, wurde Latzel davon nicht freigesprochen.

Ihr Buch verbinden sie mit dem Aufruf an die Justiz, die ihr zugedachten Aufgaben zu erfüllen: nämlich die Rechtsordnung zu wahren, die Grundrechte zu schützen, staatliches Handeln zu kontrollieren und Rechtssicherheit durch unabhängige Gerichte zu gewährleisten. Dabei müsse sie unbedingt vermeiden, das Meinungsklima durch aktivistisches Handeln negativ zu beeinträchtigen.

Es wäre aus Autorensicht bedenklich, wenn durch einen solchen Fall theologisch konservative Menschen nicht mehr ihre Meinung zu gesellschaftlich umstrittenen Themen äußern würden. Die Kirchenvertreter hätten immer wieder Sätze Latzels aus dem Zusammenhang gerissen, um sie zum Skandal aufzublasen.

Meinungsfreiheit wieder einüben

Die Autoren sehen ein Defizit und wünschen sich, dass die Gesellschaft Meinungsfreiheit wieder neu einübt – auch als Bollwerk gegen Totalitarismus. Der Staat solle seine Bürger nicht belehren, sondern müsse deren Urteilskraft auch bei unbequemen oder anstößigen Meinungen vertrauen. Es müsse erlaubt sein, Diskurse zu pflegen und ehrlich um Positionen zu ringen, anstatt sich zwanghaft von allem auch nur potenziell Anstößigen abzugrenzen.

Sollten die Argumente der Autoren stimmen, wovon bei zwei studierten Juristen auszugehen ist, haben sich die Gerichte im Fall Latzel nicht mit Ruhm bekleckert. Das gilt es klar benennen und anzuprangern. Dass sie in ihrem Buch diese These vertreten und stark machen, sei ihnen gestattet. Ob es der Debatte dienlich ist, sie noch mehr aufzuheizen – ganz sicher nicht. Die Lektüre des Buches lohnt sich trotzdem. Was davon auch für Nicht-Juristen und Leser bleibt, ist die Aufgabe, Diskurs zu üben und um Positionen zu ringen – in Gemeinde, Familie und natürlich auch in der Justiz.

Felix Böllmann/ David Wengenroth: Der Fall Latzel: Ein Rufmord mithilfe der Justiz, Fontis, 200 Seiten,
ISBN 9783038484950, 22,90 Euro.

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