Beim Dschihadismus geht es nicht um Islam, sagt der Orientalist Oliver Roy. Den Zulauf zu Terrororganisationen wie zum IS bezeichnet er außerdem als „Jugendbewegung“ und er ist für ihn ein Zeichen, dass Integration funktioniere.
Von PRO
Foto: Oleg_Zabielin / fotolia
Der Zulauf zum Dschihadismus trage Züge einer westlichen Jugendbewegung, meint der Orientalist Olivier Roy
Fundamentalismus entstehe, wenn eine Religion aus ihrer Kultur herausgelöst werde. Religion und Gesellschaft könnten sich dann nicht mehr gegenseitig formen und korrigieren, sagte Roy im Interview mit der Süddeutschen Zeitung. Der Orientalist erforscht am European University Institute im italienischen Fiesole die Ursprünge des Fundamentalismus. Er selbst ist Protestant. In seinem Buch „Heilige Einfalt“ erklärt er seine Idee, dass Kultur und Religion sich gegenseitig beeinflussen müssten, um gut zu funktionieren. Nur so bekomme die Gesellschaft eine Werte-Basis und die Religion passe sich den Anforderungen des Lebens an.
Genau das sei beim islamischen – und auch beim christlichen – Fundamentalismus aber nicht gegeben. Osama bin Laden habe den Prozess in Gang gesetzt, dem Islam die Kultur zu entziehen. An Theologie sei bin Laden nicht interessiert gewesen. Er habe den Islam als globale Ideologie attraktiv gemacht. Dschihadismus und Islam müssten deshalb getrennt voneinander betrachtet werden. Es helfe deshalb auch nicht, an den moderaten Islam zu appellieren, um den Islamischen Staat (IS) in den Griff zu bekommen. „Wir glauben in Europa: Erst muss man Salafist werden, und dann wird man nach ein paar Jahren religiöser Radikalisierung Dschihadist. So funktioniert das nicht“, sagt Roy. Als Beleg dafür nennt er das Beispiel der Konvertiten, die sich für den Dschihad rekrutieren lassen. Dschihadistische Organisationen hätten den höchsten Zulauf von Konvertiten – mehr als jede andere muslimische Organisation.
Jugendbewegung Dschihadismus
Roy erklärt auch, warum sich so viele junge Menschen für den IS begeistern. Die Konvertiten kämen häufig aus sozial schwachen Schichten. Die würden von anderen Interessengruppen und Organisationen nicht erreicht. Ein Beispiel sei die Umweltbewegung Occupy Wall Street. Sie orientiere sich mit ihrem Programm an Mittelklasse-Studenten. Sozial schwache Jugendliche interessierten sich aber nicht für Tiefenökologie. „Das ist viel zu abstrakt“, erklärt der Forscher. Der IS reize dagegen mit so etwas wie Heldenfiguren: „Da gibt es Leute mit Maschinengewehren, du kämpfst, kannst jemanden umbringen, hast Geld, du bist ein toller Kerl, es gibt Mädchen.“
Den Zulauf zum IS und zum Salafismus identifiziert Roy als Jugendrevolte. Das sei ähnlich wie in den Sechzigern und wie seinerzeit die Baader-Meinhof-Gruppe. Die habe den globalen Dschihad überhaupt erst erfunden, meint der Wissenschaftler. „Der Dschihad ist die neue Revolution“, erklärt er. Diese Entwicklung ist für Roy aber nicht das Zeichen, das Integration fehlgeschlagen ist. Im Gegenteil: „Revolution als Jugendbewegung ist typisch europäisch.“ Und der Zulauf zu Terrororganisationen sei eine Jugendbewegung, eine „typisch westliche Matrix“. Mit dem Islam habe das nichts zu tun. Den Umgang mit Islam und mit dem IS müsse man deshalb voneinander trennen.
Mehr Gewalt, weniger Sex
Die Bilder, mit denen der IS arbeite, passten außerdem in eine globale Jugendkultur. Die Enthauptungsvideos des IS gleichten denen mexikanischer Drogenkartelle. Für Roy ist das ein zeitgenössisches Phänomen. Auch in amerikanischen Kinofilmen gehe es mittlerweile mehr um Gewalt und weniger um Sex. Roy ist zudem nicht erstaunt, dass auch Mädchen vom Dschihadismus fasziniert sind. „Die drei großen Religionen sind patriarchalisch, und in allen gibt es feministische Bewegungen von Gläubigen, die als gleichgestellt behandelt werden wollen, obwohl die Basis der Religion diese Gleichstellung nicht vorsieht“, erklärt er.
Um der Radikalisierung entgegenzuwirken, empfiehlt der Forscher, mit Sicherheitsstrategien zu arbeiten. Noch wichtiger seien aber Anpassungsprozesse, in denen sich der Islam in die europäische Gesellschaft einordne. „Wir bräuchten ein Europa, das all seine Bewohner, jenseits ihrer Religionszugehörigkeit, tatsächlich zusammenhält. Das Problem sei, dass Europa keine ideelle Vorstellung habe, wie es sie zum Beispiel in der französischen oder russischen Revolution gegeben habe. „Der Dschihad hat eine“, sagt Roy. Ein weiterer Schlüssel zur Entradikalisierung seien gemischte Ehen. In Frankreich gebe es mittlerweile fast genauso viele muslimische Frauen wie Männer, die in eine christliche Familie einheirateten. Das sei ein gutes Zeichen. (pro)
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