Der das Heft in die Hand nahm

Wie kommt ein junger Student dazu, eine Zeitschrift zu gründen, obwohl jeder davon spricht, dass „Print“ keine Zukunft mehr hat? Daniel Höly hat es einfach gemacht: Ein werteorientiertes Magazin, das junge Menschen herausfordern und Debatten anstoßen will. Der Name SHIFT – „Veränderung“ – ist Programm.
Von PRO
Daniel Höly ist der festen Überzeugung, dass eine gedruckte Zeitschrift mit der richtigen Themensetzung Zukunft hat
Daniel Höly ist Jungunternehmer. Er lebt mit seiner Frau Debora und dem vier Monate alten Sohn Noah in einem beschaulichen Stadtteil von Bonn. Seine Wohnung ist sein Arbeitsplatz. In seinem Büro entsteht die Zeitschrift SHIFT. Ein „Gesellschaftsmagazin für konsum-, umwelt- und wertebewusste junge Erwachsene mit Mut zur Veränderung“, wie es in der Selbstbeschreibung des Heftes heißt. Die Idee für eine eigene Zeitschrift kommt ihm schon 2010, als er bei einem Auslandsaufenthalt auf seinen Kumpel wartet, der beim Frisör sitzt. Seitdem ist sie gereift. Ganz ursprünglich sollte es eine Zeitschrift für Digital Natives werden, also für die Generation, die von Anfang an mit digitalen Medien aufgewachsen ist. „Das war mir aber thematisch zu eng und ich habe die Idee verworfen“, sagt der junge Mann in der Rückschau. Zeitschriften hat er schon immer gerne gelesen: „Es gab aber keine mehr, auf die ich mich richtig gefreut habe.“ Zwei Jahre später wird es konkret: In seiner Diplomarbeit zum Abschluss des Online-Journalismus-Studiums in Darmstadt erarbeitete er ein Konzept, wie ein spannendes und gutes Printmagazin aussehen könnte, und setzte es mit einem Grafikprogramm selbst um. Kurze Zeit später begann er, mit einer professionellen Agentur zusammenzuarbeiten. Mit Hilfe einer Spendensammlung im Internet, des sogenannten Crowdfundings, gelang es ihm, über 270 Personen für sein Projekt zu begeistern und 7.000 Euro zu sammeln. Die Medien wurden auf ihn aufmerksam: die Süddeutsche Zeitung, die Bild-Zeitung und das Deutschlandradio berichteten über seine Zeitschrift SHIFT.

Eine eigene Firma

„Shift“ bedeutet übersetzt „Wandel“ oder „Veränderung“. Als Verb kann es auch „bewegen“ oder „verschieben“ heißen. „Die digitalisierte Gesellschaft verändert vieles. Ich wollte ein Medium schaffen, das diesen Prozess begleitet und einen Sinneswandel bewirkt. Hin zu mehr gegenseitiger Rücksichtnahme und Respekt voreinander“, sagt Höly. Er wünscht sich eine Haltung, die das Gegenüber nicht nur wahrnimmt, sondern auch wertschätzt. Mit seinem Magazin möchte er „dazu ermutigen, das Leben als lebenswert zu betrachten“. Als er und Debora noch eine Fernbeziehung führten, nutzte er die langen Autofahrten der Mitfahrzentrale nach Berlin, um mit jungen Menschen über sein Konzept zu sprechen: Viele waren davon auf Anhieb sehr angetan, was für Höly ein Ansporn war, das Ganze weiterzudenken. Er verbrachte viel Zeit damit, die Firmengründung vorzubereiten, um SHIFT zu produzieren und herauszugeben. Von Fünf-Jahres-Plänen und Umsatz-Renditen hatte er bis dahin fast gar keinen Plan. Er recherchierte im Internet, las Standardwerke und sprach mit Gründern. Die Ergebnisse sammelte er auf einem Whiteboard in seinem Büro. Im Studium kamen diese Inhalte nicht vor. „Früher war der Weg vom Volontariat zu einer Festanstellung in einer Redaktion vorgezeichnet. Heute müssen junge Menschen im Journalismus andere Wege wählen.“ Höly hat den Schritt gewagt und seine Firma im Herbst 2014 ins Handelsregister eintragen lassen. Seine Frau Debora ist fester Bestandteil des Teams. Sie bringt Struktur in den Prozess der Entstehung, indem sie etwa einen Seitenplan der kommenden Artikel erstellt und die E-Mail-Korrespondenz mit den freien Autoren koordiniert. Kürzlich hat eine Freundin der beiden ihre gut bezahlte Redakteursstelle aufgegeben und ist nach Bonn gezogen. Von dort aus unterstützt sie jetzt SHIFT halbtags als ehrenamtliche Redakteurin. Zu dritt produzieren sie das Heft. Sie legen das Thema jeder Ausgabe fest und suchen dann nach passenden Geschichten und Autoren aus ihrem Netzwerk. Die müssen keine Journalisten sein. „Sie sollten etwas zu sagen haben und zudem geradeaus denken können.“ Etwa 25 Texte sind es je Ausgabe: Der jüngste Mönch Deutschlands war schon im Heft, ebenso wie ein Gangsta-Rapper. „Ideen, die uns bei der Themenfindung als erstes kommen, sind erwartbar. Sie gilt es, weiterzudrehen.“ Als Team machen sie das Heft rund, das bedeutet bei manchen Artikeln auch, die Ecken und Kanten herauszuarbeiten.

Lernen, ökonomischer zu denken

2014 hat Höly den mit 10.000 Euro dotierten Bayerischen Printmedienpreis gewonnen. Zwei Ausgaben hat er mit Crowdfunding finanziert. Auf die Höhepunkte folgen jedoch immer wieder Tiefschläge, bis hin zu juristischen Auseinandersetzungen. Gründe, aufzugeben, gab es in den vergangenen Jahren genug. Vor allem finanziell war er das eine oder andere Mal am Limit. Es gab nicht genug Einnahmen, etwa bei den Anzeigenerlösen, und zu hohe Kosten – ganz abgesehen von der Arbeitsbelastung. Trotzdem betreibt er weiter diesen Aufwand. „Meine Generation liegt mir einfach am Herzen.“ Am 1. April 2015 war die erste offizielle Ausgabe im Handel erhältlich. Thematisch wollte Höly mit dem Titel kurz vor Ostern einen „Break“ setzen: Es ging um Entschleunigung, Innehalten, Pause machen. Durch jede Ausgabe zieht sich ein Schwerpunktthema wie ein roter Faden: „So können wir in die Tiefe gehen und gleichzeitig überraschende und völlig unerwartete Facetten eines Themas zeigen“, erklärt Höly. Aktuell erscheint die dritte Nummer, in der es um Bildung geht. Irgendwann sollen es vier Hefte pro Jahr sein. Höly weiß, dass SHIFT wachsen muss, damit es sich rechnet. 5.000 Abonnenten oder zehn bis 13 gut bezahlte Anzeigen braucht er, damit sich das Projekt finanziert und er sich erstmals selbst ein Gehalt ausbezahlen kann. Noch können sie als Familie nicht von SHIFT leben. Deshalb hat Höly noch Nebenjobs. In naher Zukunft geht es darum, einen geeigneten Investor für das Magazin zu finden, damit Höly auch in Marketing und Vertrieb investieren kann. Bisher liegt dieser Etat bei null Euro. Alle Kampagnen beruhen auf eigenen Ideen, die ihm oft beim Musikhören oder unter der Dusche kommen. SHIFT gibt es in bundesweit allen Bahnhofsbuchhandlungen oder als Abonnement, das er SHIFT-Flat nennt. Es gibt zudem einige Unterstützer, die freiwillig 20 Euro für die Zeitschrift zahlen – und als Dankeschön etwa einen SHIFT-Kugelschreiber zusätzlich bekommen. Eine Person habe sich sogar entschieden, 700 Euro für das Magazin zu bezahlen: mit der lebenslangen Garantie, dieses zu erhalten. Der junge Unternehmer hat sich auch dagegen entschieden, seine Zeitschrift mit 6,99 Euro zu bewerben, weil der Kunde dann den Eindruck gewinnt, dass es billiger sei: „Sieben Euro sind ein ehrlicher Preis.“

Keine PR für Jesus und den Himmel

Mit seinen Artikeln möchte Höly provozieren, „aber nicht um des Provozierens willen“. Der Journalist wünscht sich, dass Menschen anfangen, Dinge neu zu denken: „Manche Leser melden zurück, dass sie das Heft von vorne bis hinten lesen. Dann haben wir alles richtig gemacht“, sagt er. SHIFT solle nach vorne blicken und die gesellschaftliche Debatte prägen – „respektvoll und nicht besserwisserisch“. Höly möchte als Christ mit seinem Magazin keine „PR für den Himmel machen und kein Anwalt für Jesus sein“. Er will „saubere journalistische Arbeit abliefern und der Wahrheit so nah wie möglich kommen“. Obwohl er den Glauben nicht explizit zum Thema macht, schimmern Werte wie Treue, Offenheit und Ehrlichkeit, die Höly wichtig sind, durch. Sein Vorbild ist Jesus, der auf die Leute zugeht, ihnen auf Augenhöhe begegnet, sie bewegt, berührt und verändert. Aber wieso setzt er auf eine gedruckte Zeitschrift, wo doch die meisten im Online-Geschäft ihr Heil suchen? Das „Print ist tot“-Gerede hält er für Quatsch. Genau wie mit Facebook und YouTube gebe es auch in der gedruckten Branche Wandel und Veränderung. Deswegen möchte er die Chancen von Print und Online gemeinsam nutzen: „Sie sollen sich ergänzen, aber nicht ersetzen.“ Parallel zur gedruckten SHIFT betreibt Höly bereits seit mehreren Jahren das Online-Magazin juiced. Dort hat er mit noch anderen Autoren über 1.400 Beiträge veröffentlicht. Auch die Themen von SHIFT greift er hier auf. „Die stärkste Marke ist es, wenn du beide Kanäle bedienst.“ Dass Höly den richtigen Riecher für eine Zeitschrift für werte-, konsum- und umweltbewusste Menschen hat, konnte er beim Stand auf der Frankfurter Buchmesse beobachten, wo sein Projekt auf großes Interesse stieß: „Wir richten uns an Menschen, die Mut zur Veränderung haben. Leute, die schon alles wissen, werden keine Freude an SHIFT haben.“ Wenn es mit SHIFT einmal nicht weitergeht, dann könnte der 29-Jährige sich auch vorstellen, nach Indonesien oder Nordkorea zu gehen und beispielsweise ein Waisenhaus aufzubauen. Aktuell wünscht er sich aber, dass er von der Zeitschrift leben kann, dass sie stabil wächst und dass sie etwas in der Gesellschaft bewirkt. „Dafür lohnt sich der Aufwand. Es soll ja nicht egal sein, ob es SHIFT gibt oder nicht.“ (pro)
https://www.pro-medienmagazin.de/journalismus/detailansicht/aktuell/bayerischer-printmedienpreis-geht-an-shift-gruender-89855/
https://www.pro-medienmagazin.de/medien/internet/detailansicht/aktuell/crowdfunding-neun-erfolgreiche-projekte-87794/
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