Der Christ, ein Kapitalist

Christen und Kapitalisten haben vor allem zwei Dinge gemeinsam: ihre historisch-spirituellen Wurzeln und einen Gegner, den Staat – das ist die Essenz des Buches "Jesus, der Kapitalist". Darin erklärt der Ökonom Robert Grözinger, wie die Werte des Kapitalismus und des Christentums zusammenpassen und warum nicht der freie Markt für Wirtschaftskrisen verantwortlich ist.

Von PRO

"Tut den anderen das, von dem ihr wollt, dass sie es auch für euch tun", fasst Jesus das jüdische Gesetz und die Lehren der Propheten zusammen. Das ist die Voraussetzung für Wirtschaftswachstum, meint Robert Grözinger. Denn wer sich an diese "Goldene Regel" hält, werde zu einem Handelspartner mit niedrigem Risiko, er stehe für einen fairen Umgang miteinander. Besitz, Arbeit, Verträge, Entlohnung, anvertrautes und vermehrtes Kapital sind Themen in verschiedenen Gleichnissen Jesu.

Er verbannte Geldwechsler und Händler aus dem Tempel, die Preisabsprachen trafen und Tempelmünzen zu überhöhten Kursen eintauschten. Abgaben waren dem Staat laut Jesus im vorgesehen Maße zu entrichten, im Alten Testament ist von zehn Prozent die Rede: Anhand dieser und ähnlicher Beispiele arbeitet Grözinger heraus, was die Bibel zu Fragen des Besitzes und des Wirtschaftens sagt. Er kommt zu dem Schluss, dass der Kapitalismus auf biblischen Prinzipien beruht – Verträge einzuhalten, Privateigentum zu achten, maßvoll zu sein, Verantwortung für den eigenen Besitz und das Handeln zu übernehmen, die individuelle Freiheit, die Gleichheit vor dem Gesetz. In der Kernregion des Christentums, vor allem in Westeuropa, seien auch Kapitalismus und Wohlstand aufgeblüht. Dafür sei christliche Lehre maßgeblich verantwortlich.

"Wohlstand ist aus Sicht Jesu nicht per se schlecht. […] Das Problem der Reichen ist folgendes: Mit dem Wohlstand steigt die Verantwortung, und nicht jeder wird dieser hohen Verantwortung gerecht", schreibt Grözinger. Das eigentliche Übel sei die Habgier. Darauf könne im echten Kapitalismus aber kein Wirtschaftswachstum aufbauen. "In einer freien Marktwirtschaft kann jemand nur dauerhaft Gewinn erwirtschaften, wenn er etwas anbietet, das anderen Nutzen bringt."

Heilsbringer "Wohlfahrtsstaat"

Grözingers Argumentation richtet sich vor allem gegen den Wohlfahrtsstaat, der sich als Erlöser und Heilsbringer geriere, indem er in die Wirtschaft eingreife und individuelle Freiheit beschränke. An der Geschichte des "barmherzigen Samariters" macht er das deutlich: "Der Wohlfahrtsstaat zwingt seine Bürger zu Abgaben, die er, der Staat, nicht der Bürger, nach seinem Gutdünken an andere Menschen verteilt." Im Gleichnis werde hingegen keiner gezwungen, Erste Hilfe zu leisten und für die Pflege des Verletzten zu bezahlen. "Indem der Staat die Verantwortung für die Wohlfahrt übernimmt, untergräbt er die Verantwortung all derer, die bisher für die Wohlfahrtsleistungen zuständig waren, allen voran die der Familien." Damit mache er die Bürger dem Elend ihrer Mitmenschen gegenüber zunehmend gleichgültig. In der kapitalistischen Sozialordnung des Alten Testaments seien nicht Wohlfahrt, sondern Sparsamkeit und weise Investitionen das Geheimnis abnehmender Armut gewesen.

Der stärkste Antrieb für moralisches Handeln ist laut Grözinger das Eigentumsrecht. Das werde aber durch staatliche Regulierungen, Steuern, Subventionen oder Förderprogramme eingeschränkt. Weltweit greife der Staat in die freie Marktwirtschaft ein, indem er Notenbanken damit beauftragt, Geld zu produzieren und zu verwalten. Das sei auch die Ursache für die permanente Inflation und extreme Einkommens- und Vermögensunterschiede, was in einer freien Marktwirtschaft so nicht der Fall wäre. Das biblische Gebot, Maßstäbe einzuhalten, werde dabei laufend gebrochen.

Dass das nicht mehr lang so weiter gehen kann, davon ist Grözinger überzeugt. Er spricht davon, dass sich "die hochentwickelten, an hoher Verschuldung, Besteuerung und Regulierung erkrankten, kollektivistischen Gesellschaften" auf einen "verhängnisvollen Endpunkt" zubewegen. Wir erlebten viele Versuche, das Paradies auf Erden zu schaffen, aber ohne Gott. An seine Stelle setze sich der Staat, der Christen und Kapitalisten verdränge und "eine egalitäre Gesellschaft heranzüchten will". Deshalb bräuchten sich Kapitalismus und Christentum gegenseitig: "Der Kapitalismus schafft nicht das Reich Gottes auf Erden, aber er unterstützt und schafft Freiraum für die Werte, die Grundlage des Reiches sind. Nur unter Einhaltung der Gebote Gottes ist das möglich, und auch das nur, wenn verstanden wird, dass Gott die Respektierung des Privateigentums, freie Marktwirtschaft und Kapitalismus gebietet."

Krise aus ungewohnter Perspektive

Es sind steile Thesen, die Grözinger aufstellt – in Zeiten von Finanz- und Schuldenkrisen, für die häufig der Kapitalismus verantwortlich gemacht wird. Er leitet seine Überlegungen auf 190 Seiten aus theologischen, historischen und ökonomischen Zusammenhängen ab, von denen man als Leser eine grundlegende Vorstellung haben sollte, um sie nachvollziehen zu können. Die Gegenüberstellung von Christentum und Kapitalismus auf der einen – der guten – sowie dem Staat auf der anderen – der bösen – Seite ist zum Teil sehr polemisch. Eine etwas differenziertere Beschreibung über das Wesen des Kapitalismus und des Wohlfahrtsstaates hätte nicht geschadet.

Grözinger entwirft ein ideales Bild des Kapitalismus, das im Grunde voraussetzt, dass Gott als oberste Werte-Autorität anerkannt wird. Es ist fraglich, ob es diesen reinen, freien, gottbezogenen Kapitalismus in der Praxis überhaupt geben kann und ob ein solches Gemeinwesen tatsächlich mit einem Minimum an staatlicher Struktur auskommt. Man kann auch darüber diskutieren, ob sich Bibeltexte tatsächlich so weit ökonomisch auslegen lassen, um Jesus als Kapitalisten zu bezeichnen. Der Titel "Jesus, der Kapitalist" ist zudem etwas irreführend, weil Jesus selbst fast nur in einem Kapitel vorkommt. Trotzdem ist das Buch, das diesen Monat im Finanzbuchverlag erschienen ist, eine anregende Lektüre. Vor allem, weil sie aus ungewohnter Perspektive einen umfassenden Erklärungsansatz für die allseits beklagten Krisen unserer Gesellschaft bietet. (pro)

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