Der Biblebelt Sachsens

Evangelikale Christen haben eine vom Mainstream oft abweichende Sexualmoral, sind gegen Homosexualität, für das klassische Familienbild und skeptisch gegenüber dem Islam. Die Journalistin Jennifer Stange hat in einem 36-seitigen Beitrag für die Heinrich-Böll-Stiftung in Sachsen zusammengetragen, was ihrer Meinung nach für „christliche Fundamentalisten“ beachtenswert ist.
Von PRO
Einen "Bibel-Gürtel" ähnlich dem im Süden der USA mit großer Bedeutung der Kirchen hat die Journalistin Jennifer Stange in Sachsen ausgemacht
„Weiterdenken“ heißt der sächsische Teil des Verbundes der Heinrich-Böll-Stiftungen und steht nach eigener Aussage in seinen Wertorientierungen Bündnis 90/Die Grünen nahe. Die Organisation mit Sitz in Dresden hat einen „Debattenbeitrag“ der Journalistin Jennifer Stange veröffentlicht, der sich kritisch mit den „Evangelikalen“ besonders in Sachsen auseinandersetzt. Stange, die als freie Journalistin in Leipzig arbeitet und unter anderem für Die Zeit, den Freitag und die Tageszeitung (taz) schreibt, stellt darin zwei Thesen auf: „Ein christlich-fundamentalistischer Glaube unterscheidet nicht zwischen religiöser Gewissheit und staatsbürgerlichen Freiheiten.“ Sie fügt hinzu: „Bibeltreue Christen vertreten und verbreiten eine kompromisslose Glaubensauffassung, die sich zum Teil massiv von einem aufgeklärten Glauben, wie zum Beispiel dem liberalen Protestantismus, unterscheidet.“ Der Absolutheitsanspruch der Evangelikalen untergrabe die Religionsfreiheit als Freiheit von der Religion, schreibt Stange. Zweitens ist sie überzeugt: Fundamentalistische Glaubensauffassungen finden sich auch in den Reihen der Evangelikalen innerhalb der sächsischen Landeskirche beziehungsweise in ihrem direkten Umfeld wieder. In Sachsen, vom Erzgebirge bis ins Vogtland, gebe es den „sächsischen Biblebelt“. Dieser Begriff wird sonst für ein Gebiet in den Südstaaten der USA verwendet, in dem viele bibeltreue Christen wohnen. „Auch (in Sachsen) nehmen protestantische Einrichtungen eine wichtige gesellschaftliche Rolle ein“, stellt Stange fest. Sie zitiert den evangelikalen Theologen Stephan Holthaus, der schrieb, neben Baden-Württemberg sei es vor allem Sachsen, wo es viele Evangelikale gebe. Stange definiert zunächst den Begriff „Evangelikale“ und geht dann auf die unter ihnen weit verbreiteten gesellschaftspolitischen Ansichten ein. Vor allem beleuchtet die Journalistin dabei deren Sexualmoral, die sich durch eine „ablehnende bis feindliche Haltung gegenüber Homosexualität“ auszeichne. Holthaus schreibe: Für Evangelikale „ist der Glaube nicht Privatsache, sondern drängt in die Öffentlichkeit”. Und die Deutsche Evangelische Allianz betone: “Da Gott sein Reich in dieser Welt baut, schickt er seine Leute auch in die Politik.“ Stange ergänzt: „Daraus leiten Evangelikale die Pflicht ab, Nichtgläubige zum Christentum zu bekehren oder Menschen von anderen Glaubensrichtungen abzubringen.“

Gegen Schwule und Moslems?

Im Zentrum fundamentalistischer Gesellschaftskritik steht laut Stange die „Zerstörung der Familie“, gemeint sei die traditionelle und patriarchale Familie. „Eine intakte – traditionelle – Familie gilt als Garant christlicher Kindererziehung und christlicher Gesellschaft.“ Die Journalistin zitiert mehrere christliche Autoren, Therapeuten und andere Experten, unter anderem Christl Ruth Vonholdt, Ärztin für Kinder- und Jugendmedizin und Leiterin des Deutschen Instituts für Jugend und Gesellschaft (DIJG) bei der Offensive Junger Christen. Stange schreibt: „Das Prinzip ihrer Arbeit ist simpel: Was man theologisch als sündhaft ablehnt, wird psychologisch als ein Symptom tiefliegender Störungen interpretiert.“ Homosexualität beispielsweise müsse krankhaft sein. Die Journalistin stellt die Frage „Warum ist es aber gerade die als Sünde verstandene Homosexualität, die angeblich zum ‚Bekenntnisnotstand‘ führt? Wo doch laut Bibel das gesamte Leben von der unheimlichen Macht der Sünde beherrscht wird“ und meint: „Der fundamentalistische Aktivismus hat offensichtlich seine Grenzen und ideologische Absichten. Er zielt auf die Repatriarchalisierung der Familie, der Geschlechterrollen und der Sexualmoral und richtet sich hauptsächlich gegen die Errungenschaften des Feminismus und gegen Homosexualität, als größte Gefahren für eine fundamentalistische Lebensvorstellung.“ Des Weiteren falle ihr eine verbreitete Islamfeindlichkeit unter Evangelikalen auf. Die Islamfeindschaft sei laut einer Umfrage unter Protestanten mit 38 Prozent häufiger anzutreffen als bei Katholiken. “Hier mischen sich religiöse Vorbehalte mit einer gesellschaftlichen Debatte um Flüchtlinge, Migration und Integration”, zitiert Stange den Sekten- und Weltanschauungsbeauftragten der sächsischen Landeskirche, Harald Lamprecht.

Demokratiefeindliche Christen

Stanges Debattenbeitrag ist eine große Sammlung von Zitaten, nur selten bringt sie ihre eigene Meinung ein. So schreibt sie etwa über eine typische evangelikale Evangelisationsveranstaltung: „Das tägliche Brot des Evangelisten ist die heilsgeschichtliche Dramatisierung, die Drohung mit dem Jüngsten Gericht, der Begegnung mit Gott nach dem Tod, wo er die Entscheidung trifft, ob dieser oder jener Mensch in die Hölle oder in den Himmel kommt.“ Sie ist irritiert von der „poppigen Aufmachung, den spannenden Freizeitevents und den rosaroten Erlebnisberichten über die ‚Bibelarbeit‘ auf den Seiten christlicher Kinder- und Jugendorganisationen“. Sie ließen auf den ersten Blick „kaum vermuten, was ein Leben mit Jesus abverlangt“. Die Journalistin ist im Hinblick auf Evangelikale in Sachsen der Meinung, man sollte es „nicht zulassen, dass von ihren Kanzeln eine Sichtweise gepredigt wird, die zwischen Himmel und Hölle keinen neutralen Raum lässt und jegliche Ambivalenz, die den Ereignissen der Welt gewöhnlich anhaftet, zugunsten eines Für Gott oder Gegen Gott tilgt“. Sie gibt auch Ratschläge für jene Gläubigen: Es sei nicht im Sinne eines aufgeklärten Glaubens, „wenn zunehmende Positionen Erfolge feiern, deren Gesellschaftsideal die Errichtung einer göttlich gebotenen Ordnung ist, die zwangsläufig das Verhältnis zur Demokratie infrage stellt.“ Stange zitiert dabei Martin Riesebrodt, Professor für Soziologie mit Schwerpunkt Religionssoziologie an der University of Chicago, mit den Worten: „Echte Fundamentalisten sind niemals Demokraten aus Prinzip, sondern stets aus Opportunität.“ Stanges Fazit lautet, es gebe zwar keine kausalen Zusammenhänge zwischen christlichem Glauben, fundamentalistischen Auswüchsen und rechtspopulistischem Gedankengut. Doch habe ihr Beitrag zeigen wollen, „dass diese Allianzen durchaus vorkommen, auch in Sachsen. Homophobie, Muslimfeindschaft beziehungsweise Islamophobie, die Ablehnung der Gleichheit von Mann und Frau sowie die Beschneidung von Selbstbestimmungsrechten von Frauen, all diese Ideologien der Ungleichwertigkeit von Menschen können und werden zum Teil bis in den politischen Alltag hinein mit dem christlichen Glauben gerechtfertigt.“ (pro)
http://www.weiterdenken.de/web/demokratie-politische-kultur-institutionen-1425.html
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