„Der am meisten diskutierte Film des Jahres“

Ein Dokumentarfilm über das qualvolle Hänseln an Schulen sorgt in Amerika derzeit für besonders viel Gesprächsstoff. Der Film "Bully" zeigt, was fünf Schüler beispielhaft für Millionen andere Leidensgenossen im Schulalltag erdulden müssen. Zahlreiche Prominente sowie Magazine rühren kräftig die Werbetrommel für einen Film, der für manche "der wichtigste des Jahres" ist.
Von PRO

Der Zuschauer erlebt unmittelbar mit, was etwa der zwölfjährige Alex Libby aus Sioux City im US-Bundesstaat Iowa tagtäglich in der Schule und auf dem Weg dorthin erleiden muss. Im Bus setzt sich niemand neben ihn, das ist er gewohnt. Ebenso, dass er der Prügelknabe der ganzen Schule ist. Alex ist eigentlich ein schlaues Kerlchen, aber er ist ein "Nerd", ein Außenseiter. Ein bisschen wirke er wie der Entertainer David Letterman in jungen Jahren, findet der Filmkritiker des "Time"-Magazins. Die Mitschüler nennen Alex nur "Fischgesicht", und er ist, nach den Worten der deutschen Tageszeitung "Die Welt", seit dem vergangenen Wochenende "Amerikas traurigster Filmstar". "Du bist wertlos", rufen die anderen Alex hinterher. "Du bist dämlich und hässlich."

Am 13. April lief der Dokumentarfilm "Bully" von Regisseur Lee Hirsch in mehreren Städten der USA an. Für den 90-minütigen Streifen begleitete Hirsch fünf Schüler, für die "Bullying", also Geschlagen- und Gehänseltwerden zum Alltag gehören. Zwei der Protagonisten brachten sich wegen der nicht mehr erträglichen Quälereien um. Er sei als Schüler selbst Opfer von "Bullying" gewesen, sagt Hirsch.

Das schwarze Mädchen Ja’Meya Jackson hänselten die Mitschüler so lange, bis sie eines Tages die geladene Pistole ihrer Mutter mit in den Schulbus nahm, "nur um ihnen einmal Angst einzujagen". Sie landete im Jugendgefängnis. Der 16-jährigen Kelby Johnson aus Oklahoma, im "Bible Belt" der USA, zischten die Kids hinterher: "Du bist eine widerliche Schwuchtel". Kelby bekannte sich eines Tages zu ihrer Homosexualität und musste fortan mit Schmierereien an ihrem Spint leben wie "Schwuchteln sind hier nicht willkommen". Die Mutter von Alex warnt ihn: "Das sind nicht deine Freunde. Das einzige, was sie dir antun, ist, dich zu schlagen." Alex antwortet: "Aber wenn das nicht meine Freunde sind, wer dann?" Und so lässt er sich schlagen und nennt die Peiniger trotzdem seine Freunde – weil er sonst keine hat. Schließlich reift in ihm der Gedanke, einfach immer zurückzuschlagen. "Sie haben mich so weit gebracht, dass ich nun auch ‚Bullying‘ betreiben will", gibt Alex zu.

In den Selbstmord gemobbt

Der Film rührt seit einer Woche Tausende Menschen in den USA zu Tränen. Die "Huffington Post" nennt ihn den "wichtigsten Film des Jahres". "Kein zweiter Dokumentarfilm hat in den vergangenen Jahren Amerika derartig bewegt und beschämt", stellt die "Welt" fest. Im vergangenen Jahr lief er zunächst nur auf einigen Filmfestivals – und räumte da bereits zahlreiche Preise ab. Seit einer Woche läuft eine überarbeitete Version in vielen amerikanischen Städten. Über 13 Millionen amerikanische Teenager würden jährlich schikaniert, macht der Film klar. Jeder vierte amerikanische Schüler werde gemobbt, mindestens 160.000 Kinder würden täglich aus Furcht vor Bullying die Schule schwänzen; 282.000 würden in diesem Monat in Amerikas Mittelschulen körperlich angegriffen werden, zitiert der Film die Zahlen der amerikanischen "National Educational Association". Damit sei "Bullying" der häufigste Kontakt mit Gewalt, den ein junger Mensch in diesem Land erfährt. Das Problem beschränke sich aber nicht auf bestimmte Ländergrenzen oder Kulturen.

Bei Dreivierteln jener Schüler, die tödliche Amokläufe begangen haben, gilt als Haupttatmotiv Rache für jahrelange Demütigungen und Quälereien. Die Opfer von "Bullying" werden nicht selten selbst zu Tätern. Selbstmord, meist durch Erhängen, bleibt immer noch die häufigste Todesursache von Kindern zwischen zehn und 14 Jahren. Erst am vergangenen Wochenende brachte sich der 14-jährige Kenneth James Weishuhn aus Primghar im US-Bundesstaat Iowa um. Er wurde in der Kleinstadt gemobbt und gequält, weil er schwul war. Tyler Long in Georgia war 17, als er sich erhängte. Kurz vor seinem Tod machte er ein Video-Statement, darin rät er einem Freund: "Wenn alle diese Kinder dich beleidigen und so weiter, vergiss sie einfach."

"Ihre Kinder müssen diesen Film sehen!"

Die Filmrezensentin der "Huffington Post" schreibt: "Diese Erfahrungen, die viele Kinder täglich machen, sind real, aber sie waren bisher für viele Eltern völlig unsichtbar – sie passieren aber in der Schule, in der Cafeteria, auf dem Spielplatz, im Schulbus und im Internet." Das "Time"-Magazin empfiehlt seinen Lesern: "Ihre Kinder müssen diesen Film sehen!" und nennt ihn "Oscar-würdig". Auch das Magazin "Christianity Today" empfiehlt den Film. "Die größte Leistung von ‚Bully‘ ist, uns die Realität zu verdeutlichen, welche die Opfer erleben: die Bedrohungen, die Isolation, das Hänseln mit Spott-Namen, der Schmerz."

Schauspieler wie Johnny Depp und Meryl Streep haben sehr für den Film geworben. Der Teenie-Star Justin Bieber stellte sein neues Lied "Born to be Somebody" für die Werbekampagne zum Film zur Verfügung und erklärte öffentlich: "Ich hoffe, dass meine Fans ‚Bully‘ mit ihren Freunden ansehen und dabei helfen, eine Diskussion darüber auszulösen, so dass Bullying aufhört." Das Magazin "Christian Cinema" schrieb in seiner Filmrezension: "Neben ‚Die Tribute von Panem" ist ‚Bully‘ wohl der Film, über den im Jahr 2012 bis jetzt die meisten Menschen reden." Der Autor des Textes stellt aber auch kritische Fragen, wie etwa: "Wie wurde das Verhalten der Personen im Film von der Kamera beeinflusst? Gab es mehr Gewalt, weil die Kamera da war? Oder hielten sie sich extra zurück?"

Ein Film mit Folgen?

Nicht nur Journalisten bekennen auf einmal scharenweise, früher selber Opfer von "Bullying" gewesen zu sein. Das Internetportal "Huffington Post" veröffentlichte ein Video, in dem ein Verhaltenstrainer Tipps gibt, wie man sich gegen Bullying wehrt. Der Nachrichtensender CNN veröffentlichte einen Text: "Wie man erkennt, dass ein Kind gemobbt wird und was man dagegen tun kann". Auch Politiker reagieren, wie etwa die demokratische Kongressabgeordnete des Staates Kalifornien Linda Sanchez. Sie hofft, dass der Film ein neues Bewusstsein für das Problem des Bullying schafft und möchte ein Gesetz durchbringen, das Schüler vor der Gewalt schützt, Täter zu Rechenschaft zieht und Hilfe für Opfer ermöglicht.

Der Film zeigt auch Gegenmaßnahmen, etwa Eltern-Initiativen, die Schüler dazu aufrufen, Zeichen zu setzen und sich besonders um jene Mitschüler zu kümmern, die gehasst werden und Außenseiter sind. Parallel zum Film wurde das Projekt "Stop Bullying. Sprecht!" ins Leben gerufen. Auf der Webseite www.thebullyproject.com, deren Adresse am Ende des Films eingeblendet wird, können Opfer und Eltern Hilfe finden. Ob der Film einen deutschen Verleiher findet, ist noch unbekannt. (pro)

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