Den Koran zur Rede stellen

In einem Beitrag für die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" hat die Berliner Arabistin Angelika Neuwirth für eine unverkürzte Koranforschung geworben. Wissenschaftlich gesehen stehe der Koran auf Augenhöhe mit den jüdischen und christlichen Schriften, da er als Antwort auf ebendiese zu sehen sei. Diesen dialogischen Aspekt habe die Koranforschung bislang nicht beachtet.
Von PRO

Die wissenschaftliche Beschäftigung mit dem Islam und seinem Grundtext, dem Koran, ist in Deutschland offenbar in Bewegung geraten. Dies zeigen nicht nur die seit kurzem eingerichteten Institute für islamische Theologie an fünf deutschen Universitäten. Auch das bereits 2007 begonnene Forschungsvorhaben "Corpus Coranicum", dessen Leiterin Neuwirth ist, folgt dieser Entwicklung in der deutschen Forschungslandschaft.

Plädoyer für umfassende Koranforschung

Mit dem "Corpus Coranicum" sei das Anliegen verbunden, den Koran als "universalen spätantiken Text" zu sehen, der eingebettet ist in die Diskussion seiner Zeit, so Neuwirth. Mit diesem umfassenden Ansatz möchte die Arabistin eine einseitige Forschungstradition überwinden. Denn bislang sei der Koran entweder als Schrift eines einzigen Autors, nämlich Mohammed, in Erscheinung getreten oder als spätere Zusammenstellung von Texten.

Keine dieser Vorstellungen jedoch werde der tatsächlichen Entstehung des Korans gerecht. Denn mit beiden lösten die Forscher den Koran aus der spätantiken Debatte. Zu dieser gehöre er jedoch, ebenso wie die neutestamentlichen Texte, die Mischna, die Schriften der Kirchenväter oder die rabbinische Exegese. Und genau weil er Teil der Debatte sei, gehöre der Koran auch zur "jüdisch-christlichen, das heißt zu der als europäisch reklamierten Kultur", schreibt Neuwirth.

Das Neue des Korans

Diesen Status des Korans tiefer zu erforschen sei das Kernanliegen des "Corpus Coranicum". Dazu gehöre neben der klassischen historisch-kritischen Forschung, wie sie bereits für die Bibel geleistet wurde, die theologiegeschichtliche Einordnung des Korans. Der Grundtext der Muslime sei vor allem daher so bedeutend, weil er eine "neue Stimme in das Konzert von Judentum, Christentum und paganer Philosophie" eingebracht habe.

Dieses "Neue" herauszustellen befürworteten auch Muslime, meint Neuwirth. Andererseits sei die historisch-kritisch Sicht für sie nicht unproblematisch: Für sie gelte der Koran in seiner vorfindlichen Gestalt als vollkommenes Wort Gottes, ein Status, der mit der wissenschaftlichen Behandlung grundsätzlich in Frage gestellt sei.

Aus diesem Grund müsse die Forschung eine "doppelte Stoßrichtung" haben: Westliche Betrachter müssten den Text einerseits als heiligen Grundtext der Muslime anerkennen. Andererseits als einen vorislamischen Text, der für spätantike Hörer, noch nicht für Muslime geschrieben wurde. Gerade dieser letztgenannte Blick auf den Koran würde letztlich zeigen, dass der Koran zu Europa gehöre. (pro)

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