Warum sinkt trotz des vielfältigen und hochqualitativen Medienangebots in Deutschland das Vertrauen in die Medien? Welche Kritik an der Berichterstattung der letzten Jahre müssen sich Journalisten zu Recht gefallen lassen? Diese und weitere Fragen und Widersprüche wirft der emeritierte Mainzer Professor für Kommunikationswissenschaft Hans Mathias Kepplinger gleich zu Beginn seines Buches „Totschweigen und Skandalisieren. Was Journalisten über ihre eigenen Fehler denken“ auf.
Erster Erklärungsansatz ist die Entfremdung zwischen Publikum und Journalisten. Kepplinger vergleicht eine Erhebung über die Identifikation von Journalisten mit Parteien aus dem Jahr 2005 mit den Ergebnissen der Bundestagswahl im selben Jahr. 62 Prozent bezeichneten sich als dem linken Lager eher nahestehend. Besonders der Unterschied von 28 Prozentpunkten zwischen Zuspruch zu den Grünen (36 Prozent) und deren Wahlergebnis (8,1 Prozent) ist enorm. Dass Journalisten nicht repräsentativ für ihre Leserschaft sind, sei an sich noch kein Problem, findet Keppinger. Sie müssten dann aber ihre Meinungen besonders kritisch reflektieren.
Auch die Rolle von Journalisten habe sich in den letzten Jahren verändert. Auf eine Befragung aus dem Jahr 2006 hin gaben 39 Prozent der 231 befragten Hauptstadtjournalisten an, bei einem neuen, moralisch aufgeladenen Thema früh mit einer pointierten Meinung die Berichterstattung lenken zu wollen, während eine etwa ebenso große Gruppe von 40 Prozent das Thema vorsichtig angehen wollte. Kepplinger sieht das kritisch: „An Zweiflern fehlt es im Journalismus der Konsensgesellschaft ebenso wie an Kritikern, die unter Kritik nicht negatives Auftrumpfen verstehen, sondern abwägende Skepsis.“
Sehr erhellend ist Kepplingers konzeptionelle Unterscheidung von Presse- und Meinungsfreiheit. Während sie häufig als zwei Seiten einer Medaille bezeichnet würden, stünden doch unterschiedliche Grundlagen dahinter: „Eine entscheidende Voraussetzung der Pressefreiheit sind rechtliche Regelungen wie das Zensurverbot usw. Eine entscheidende Voraussetzung der Meinungsfreiheit sind sozialpsychologische Prozesse – die Überzeugung, dass man bei Gesprächen über emotionale Kontroversen seine eigene Meinung äußern kann ohne die Gefahr, sich zu isolieren.“ Das trifft in der aktuellen Debatte einen wunden Punkt und ist hilfreich für die zukünftige Diskussion um das Klima der öffentlichen Diskussion in Deutschland.
Totschweigen und Skandalisieren
Nach diesem einordnenden Anfang in die größere Debatte um die Glaubwürdigkeit widmet sich der Autor wieder seinem wissenschaftlichen Kerngebiet. Anhand von acht Beispielen möchte er die Akzeptanz von den fragwürdigen journalistischen Praktiken des Totschweigens und Skandalisierens untersuchen. Kepplinger untersucht unter anderem die Berichte über einen Indienflug erster Klasse des ehemaligen Limburger Bischofs Franz-Peter Tebartz-van Elst oder die Risiken der Kernkraft nach Fukushima und, alles große Medienskandale der letzten Jahre.
Jedes Mal werden Argumente für und gegen Skandalisierung vorgestellt und gemessen, wie gut diese bei den Journalisten ankommen. Zahlreiche Regressionsanalysen und Signifikanztests später attestiert Kepplinger der Mehrheit der Journalisten ein korrektes Verhalten und die Wahrung journalistischer Standards. Der Einfluss der schlagkräftigen Minderheit der Befürworter fragwürdiger Skandalisierungen (14 Prozent) solle jedoch nicht unterschätzt werden. Kepplingers Ansicht nach könnten diese die Akzeptanz von Regelbrüchen steigern.
Der größte Teil des Buches wertet die Einschätzung fragwürdiger medialer Praktiken aus der Sicht von Journalisten aus. Wer also das Buch nur nach der titelgebenden Frage, „was Journalisten über ihre eigenen Fehler denken“ liest, bekommt verlässliche Antworten. Diese spezielle Frage ist außerhalb des Seminarraums aber nur für wenige von Interesse. Die damit zusammenhängenden größeren Fragen sind wiederum sehr wichtig, auch im Hinblick auf die Bundestagswahl im September. (pro)
Von: dsp
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