Decio de Carvalho: Bei Jesus im Kühlschrank

Decio de Carvalho ist Direktor eines der am schnellsten wachsenden Missionsbünde der Welt. An Fronleichnam trat der Brasilianer beim Christustag auf. Im pro-Interview erklärt er, wo er geistlichen Aufbruch sieht.
Von PRO
Leitet eines der am schnellsten wachsenden Missionswerke: Decio Carvalho

pro: Hatten Sie schon immer den Wunsch, Missionar zu werden?

Decio de Carvalho: Nein. Als ich an einer Technischen Hochschule studierte, habe ich meine persönliche Entscheidung getroffen, Jesus als meinen Herrn und Erlöser anzunehmen. Ich wollte diese Erfahrung und die Botschaft von der Erlösung dann mit Freunden und anderen teilen. Aber nur unter Menschen, die ich kannte. Als ich das erste Mal gefragt wurde, ob ich auf dem Missionsschiff Doulos mitfahren möchte, habe ich erst abgelehnt, dann aber Gott gefragt, was sein Wunsch für mein Leben ist. Ich habe dann sehr klar gespürt, dass ich ihm dienen und das Evangelium zu denen bringen sollte, die es noch nie gehört haben. Das war vor fast 25 Jahren.

Was war das eindrücklichste Erlebnis Ihrer Arbeit?

Ich habe dabei mitgearbeitet, Menschen in Zentralasien das Evangelium zu bringen. Dabei habe ich erlebt, wie ein paar wenige zum Glauben gekommen sind und sich haben taufen lassen. Es ist eine kleine Kirche entstanden, die jetzt auf 50 Mitglieder angewachsen ist. Ein junger Mann, der damals immer Bibelgeschichten erzählt hat, ist jetzt dort Pastor.

Sie sind Direktor des Missionsnetzwerks COMIBAM. Es möchte Kirchen in lateinamerikanischen Ländern, Portugal und Spanien zu einer missionarischen Kirche machen und sie dazu befähigen, auf der ganzen Welt das Evangelium zu verbreiten. Warum?

COMIBAM ist eine Missionsallianz, der 25 Länder angehören. Wir versuchen, Kirchen und Missionsgesellschaften aus unserer Region zusammenzubringen, um die gemeinsame Vision voranzutreiben. Denn wir wissen, dass keine einzelne Gruppe diese große Aufgabe allein und unabhängig bewältigen kann. Zusammen haben wir die nötige Unterstützung, Gaben, Ressourcen und Energie dafür.

Wo sind die Organisationen, die zu COMIBAM gehören, tätig?

Es gibt schätzungsweise 12.000 Missionare aus unserer Region, die von 200 verschiedenen Organisationen ausgesandt wurden. Von der letzten Erhebung wissen wir, dass sie in über 150 Ländern auf der ganzen Welt tätig sind. Viele arbeiten mit Stammesgruppen in Lateinamerika, Asien und Afrika. Andere arbeiten unter den großen Volksgruppen in Nordafrika und dem Mittleren Osten.

COMIBAM wurde 1987 gegründet. Wie hat sich das Netzwerk seitdem verändert?

Am Anfang war es nur ein informelles Gebilde. Jetzt ist es zu einer strukturierten, etablierten Organisation herangewachsen. In den ersten Jahren ging es uns vor allem darum, in vielen Ländern erst einmal nationale Missionsnetzwerke aufzubauen. Mittlerweile sind diese schon seit einigen Jahren aktiv. Jetzt ist unsere Aufgabe, sie zu unterstützen, damit sie effektiv ihre Aufgaben erfüllen können: für Mission mobilisieren, Missionstrainings fördern, die Aussendung von Missionaren erleichtern und die Missionare versorgen, die „im Feld“ sind.

Viele Menschen sehen Lateinamerika als Missionsgebiet. Welche Rolle spielt die Mission in den eigenen Ländern von COMIBAM?

Es ist sicherlich viel Missionsarbeit in unserer eigenen Region nötig. Es gibt ethnische Gruppen, die das Evangelium noch nie gehört haben, ganze Regionen, in denen es keine Kirchen gibt. Auch Bibeln müssen übersetzt werden. Viele unserer großen Städte ähneln jetzt aber Städten in Europa oder Nordamerika. Es gibt tausende von Migranten aus der ganzen Welt. Menschen, die mit dem Evangelium noch nie etwas zu tun hatten.

Wie würden Sie die religiöse Entwicklung in Europa aus lateinamerikanischer Perspektive beschreiben?

Unter den Menschen in Lateinamerika herrscht die Vorstellung, dass die Kirche in Europa zu kämpfen hat. Die Antwort in den vergangenen 20 bis 30 Jahren musste sein, Missionare nach Europa zu schicken. Ich persönlich sehe zwei verschiedene Bilder: Zum einen eine kämpfende Kirche, die vor verschiedenen Herausforderungen und Problemen steht. Auf der anderen Seite sehe ich Kirchen, die ausdauernd und hart arbeiten, den Menschen zu dienen und bessere Wege für die Verkündigung des Evangeliums zu finden – und deren Bemühungen tatsächlich Früchte tragen. Das ist so ermutigend!

Verändert sich die Balance zwischen Ländern, die Missionare aussenden, und Ländern, in denen Missionare arbeiten – von Europa hin zu südlichen Kontinenten?

Wegen des signifikanten Wachstums der Kirchen in Lateinamerika, Asien und Afrika gibt es heute ein riesiges Potenzial, aus diesen drei Regionen Missionare auszusenden. Die Aussendung von dort nimmt zu, während sie in Europa abnimmt. Die meisten Missionare kommen immer noch aus Nordamerika. Der sogenannte globale Süden ist in dem Bereich noch sehr jung. Da gibt es noch viel Arbeit, um ihn in gleicher Weise zu befähigen, mehr Missionare auszusenden. Ich persönlich möchte, dass von allen Regionen der Welt Missionare losziehen und dass sie ihre Bemühungen darum steigern. Zusammen können wir es besser und schneller bewältigen.

Jesus sagte einmal, dass es mehr Arbeit in der Ernte gibt als Arbeiter. Seine Jünger sollten für mehr Arbeiter während der Ernte beten – also für mehr Missionare. (Mt. 9,37-38). Was bedeutet dieses Zitat für Ihre Arbeit?

Das heißt zunächst, Gott kann tatsächlich mehr Arbeiter für die Ernte mobilisieren. Es bedeutet auch, dass die erste Aufgabe der Mission das Gebet ist. Wir sollen für die Arbeiter beten und für den „Boden“, die Menschen, die das Evangelium hören. Jesus macht hier zudem eine Dringlichkeit deutlich. Er sagt, die Ernte ist riesig, sie ist fertig. Wir müssen dringend beten und selbst die Antwort auf unsere Gebete sein.

Was sind die schwierigsten Hindernisse für Mission?

Ich sehe das größte Hindernis nach wie vor darin, dass Christen ein begrenztes und falsches Bild von Mission haben. Daraus folgt: wenig Gebet, wenig Leidenschaft, wenig Unterstützung. Das heißt auch, dass Missionsarbeit, die getan wird, oft nicht angemessen ist. Das ist vor allem in unserer Region so und unterscheidet sich je nach Gegend. Aber auch in Gesprächen mit Missionsleitern aus Nordamerika, Asien, Afrika und Europa habe ich festgestellt, dass sie auch mit diesem Hindernis zu tun haben. Das ist größer und zerstörerischer als das, womit wir in Gebieten konfrontiert werden, die nichts vom Evangelium wissen wollen.

Wo gibt es geistliche Erweckung?

Eine geistliche Erweckung in einer bestimmten Region sehe ich nicht. Aber in den letzten Monaten habe ich beobachtet, dass Gott vor allem junge Menschen zum Glauben bewegt. Das passiert auf allen Kontinenten. Für Christen, die schon länger glauben, und Leiter erwächst daraus eine wichtige Frage: Wie können wir ihre Leidenschaft und Energie zusammenbringen mit unserer Erfahrung und Ausdauer, ohne sie zu entmutigen oder einzuengen?

Missionare berichten, dass Gott Volksgruppen, die nie zuvor von ihm gehört haben, auf seine Botschaft vorbereitet, bevor die Missionare zu ihnen kommen. Wie kann man sich das vorstellen?

Ich glaube, es gibt in jeder Seele eine Sehnsucht nach einem Schöpfer und ein Verlangen danach, einen liebenden, gerechten, mächtigen Gott zu finden. Gott hat auch jede ethnische Gruppe mit sehr spezifischen Charakteristika ausgestattet, die sich in kulturellen oder religiösen Formen und Ritualen äußern. Der auf diese Weise ausgedrückte Glaube kann eine Verbindung zu einem grundlegenden Aspekt des christlichen Glaubens sein. Eine besondere persönliche Erfahrung war es für mich, in einer Gegend zu leben, in der soziale Beziehungen enorm wichtig sind. Sie sind so zentral für das Leben, dass es zwei verschiedene Wörter für Freundschaft gibt: Eines meint einfach, ich weiß, wer du bist, und vielleicht ein bisschen, was du machst. Das andere Wort bezeichnet eine sehr enge Freundschaft, bei der ich in dein Haus gehen und mich in deinem Kühlschrank bedienen darf, als wäre ich bei mir zu Hause. Dieses Konzept kann man sicherlich gut verwenden, um die Beziehung zu erklären, die wir mit Jesus und Gott haben können.

Vielen Dank für das Gespräch!

Die Fragen stellten Stefanie Ramsperger und Jonathan Steinert

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