Debatte um deutsches Fernsehprogramm

"Blödsinn" habe er sich den ganzen Abend ansehen müssen, urteilte Literatur-Papst Marcel Reich-Ranicki am Samstag bei der Verleihung des Deutschen Fernsehpreises. Seine ebenso spontane wie entrüstete Rede hat Wellen geschlagen. Am Freitagabend wird das ZDF eine Diskussion über die Qualität des deutschen Fernsehens übertragen. Aber auch die Evangelische Akademie Bad Boll lädt am Wochenende zu einer Tagung ein, die sich mit dem Spagat zwischen "Qualität und Quote" beschäftigt.
Von PRO

Einerseits war es profanerweise der harte Stuhl, auf dem Reich-Ranicki mehrere Stunden lang ausharren musste, der die Nerven des 88-jährigen Literaturkritikers stark strapazierte. Dies offenbarte er anschließend in einem Interview mit der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“. Andererseits habe ihn die Qualität der ausgezeichneten Sendungen entsetzt, die ihm und hunderten anderen geladenen Gästen am Samstagabend präsentiert wurden. Es sei zwar „nicht alles schlecht“ gewesen, so Reich-Ranicki, aber er nutzte die Chance zu einem Protest gegen die „erbärmlichen Darbietungen“. Und lehnte den Preis ab.

Mit Thomas Gottschalk über qualitätvolles Fernsehen sprechen

Sein Ruf nach qualitätsvollerem Fernsehprogramm hallt nach. Ob er auch Wirkung zeigt, wird sich zeigen: Bei der gescheiterten Übergabe des Preises am vergangenen Samstag lud Moderator Thomas Gottschalk den Kritiker ein, mit den Intendanten von ARD, ZDF, RTL und Sat.1 über das Niveau der Programme zu sprechen. Reich-Ranicki nahm die Einladung an, ZDF-Intendant Markus Schächter und seine WDR-Kollegin Monika Piel nickten. Am kommenden Freitag, 17. Oktober, um 22.30 Uhr, überträgt das ZDF die Sondersendung „Aus gegebenem Anlass“, in der Reich-Ranicki und Thomas Gottschalk 30 Minuten über die Problematik sprechen. Allerdings wird keiner der Intendanten daran teilnehmen, nur Reich-Ranicki und „Wetten dass…?“-Moderator Gottschalk.

Der Literatur-Papst ist skeptisch, dass dies etwas bewirkt: „Dass die so nötige Programmänderung bevorsteht, das glaube ich leider nicht – es sei denn, unser Publikum, das besser ist als sein Ruf, nimmt sich der Sache ernsthaft an und wird nicht aufhören, von Intendanten und Programmleitern zu verlangen, was ihm vorenthalten wird: ein anspruchsvolles Fernsehprogramm“, sagte er der F.A.Z.

Elke Heidenreich, Moderatorin der ZDF-Sendung „lesen!“, hatte Reich-Ranicki für die spontane Abrechnung mit dem „jämmerlichen“ deutschen Fernsehprogramm in derselben Zeitung überschwänglich gedankt. Das Fernsehen sei „arm, verblödet, kulturlos und lächerlich“. Vor der Einladung, mit Gottschalk zu diskutieren, warnte sie ihn indes: „Tu‘ es nicht, es ist der Falsche“, sagte Heidenreich bei der Verleihung des Hans Bausch Mediapreises des Südwestrundfunks an sie. Stattdessen müsse sich Reich-Ranicki hinter verschlossenen Türen mit Programmdirektoren und Intendanten treffen.

Evangelische Akademie mit Tagung zum selben Thema

Die Qualität des Fernsehens ist auch Thema der 4. Bad Boller Medientage, die vom 17. bis zum 19. Oktober in der Evangelischen Akademie im baden-württembergischen Bad Boll abgehalten werden. Unter dem Titel „Renaissance der Werte“ treffen sich hochkarätige Medienschaffende, Wissenschaftler und Politiker, um „das ungleiche Geschwisterpaar von Qualität und Quote“ auf den Prüfstand zu stellen. In der Einladung heißt es weiter: „Ebenso wird nach der politischen Verantwortung gefragt, eine nachhaltige Kultur der Wertebesinnung zu fordern und zu befördern.“

Eingeladen sind etwa die Intendanten des Saarländischen Rundfunks, Fritz Raff, und des SWR, Peter Boudgoust, und damit der gegenwärtige und der künftige ARD-Vorsitzende. Gemeinsam mit der Redakteurin des Magazins „Publik-Forum“ Doris Weber diskutieren die beiden Politiker zum Thema „Mut zum Risiko. Mentalitäts- und Wertewandel in den Medien“. Der Ministerpräsident des Landes Baden-Württemberg, Günther Oettinger, wird zum Thema „Werte und Politik“ referieren.

Weitere Beiträge wird es vom Saarbrücker Medienpsychologen Peter Winterhoff-Spurk geben sowie von Johanna Haberer, Professorin der Abteilung „Christliche Publizistik“ der Universität Erlangen. Ihr Thema lautet „Werte auf protestantisch“. Der Vortrag von Doris Weber steht unter dem Titel „Nichts als die Wahrheit oder gibt es erlaubte Lügen? Journalistische Ethik zwischen Qualität und Quote“. Weitere Gäste sind der SWR-Redakteur Reinhard Baumgarten, der für das „Islamische Wort“ im SWR zuständig ist, und Lucie Panzer, Rundfunkpfarrerin beim SWR.

Zur Tagung eingeladen sind Fachleute von Hörfunk und Fernsehen, aber auch am Thema interessierte Hörer und Zuschauer, „damit ein Dialog zwischen Machern und Nutzern entstehen kann“, betont die Evangelische Akademie Bad Boll. Mitorganisatoren der Tagung sind die Universität des Saarlandes, SR2 KulturRadio, SWR2 und die Evangelische Akademie im Saarland. Gefördert wird die Veranstaltung durch die Bundeszentrale für politische Bildung.

Weitere Informationen finden sich unter www.ev-akademie-boll.de. (PRO)

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