"Für mich ist die Bibel nicht nur Literatur. In der Bibel können wir sehen, warum wir heute so sind, wie wir sind", sagte Grossman der SZ. Das Buch verrate viel über den Nationalcharakter der Israelis und über die Art, "wie wir uns selbst sehen, wie die anderen, über unseren Platz in der Welt, unsere Einzigartigkeit, die mal ein Fluch ist, mal ein Privileg". Seit zwanzig Jahren lese er wöchentlich in der Bibel. Dann habe er das Gefühl, "auf eine sehr selbstverständliche Art und Weise in die Kette der jüdischen Generationen hineingepflanzt zu werden". Die Bibel sei ein so stark kondensierter Text, dass er monatelang in zwei Versen lesen könne. "Die Sprache ist so reich und sie ist die Wurzel noch des aktuellsten Slang im modernen Hebräisch", sagte Grossman, der bedauert, dass das ursprüngliche Hebräisch kaum noch gesprochen wird: "Ich gehöre zur letzten Generation, die die Bibel noch ohne Wörterbuch und Kommentar lesen kann."
Weil sich Grossman für die Überwindung des israelisch-palästinensischen Konflikts einsetzt, zeichnet der Deutsche Buchhandel ihn am Sonntag mit dem Friedenspreis aus. Im Interview mit der SZ forderte er, der Siedlungsbau müsse zurückgenommen werden: "Jeder vernünftige Israeli, jeder vernünftige Palästinenser weiß genau, was getan werden müsste, um den Frieden zu erreichen. Sie wissen, dass sie es werden tun müssen, aber sie haben nicht die Energie oder den Mut, es zu tun." So rechnet er mit einer Zweistaatenlösung: Israel werde künftig die Heimat des jüdischen Volkes sein und Palästina die Heimat des palästinensischen Volkes. Grossmans Sohn wurde 2006, kurz vor dem Ende des Zweiten Libanonkrieges, getötet, weil eine Rakete den Panzer traf, indem er saß. Zum Nahostkonflikt sagte Grossman: "Wir sind noch nicht zu Hause – obwohl Israel als dieses Zuhause, diese Heimat gedacht war."
David Grossman wurde 1954 in Jerusalem geboren und gilt als eine der bedeutendsten Schriftsteller der israelischen Gegenwartsliteratur. 2008 erhielt er den Geschwister-Scholl-Preis. Zuletzt erschien sein Roman "Eine Frau flieht vor einer Nachricht". (pro)