Die Frage nach dem Wert des Lebens und der Wunsch, dem eigenen Leben ein Ende bereiten zu können, sind top aktuell. Der Bundestag will sich noch im Herbst mit der aktiven Sterbehilfe auseinander setzen. Wie selbstbestimmt soll ein Mensch aus dem Leben scheiden können, wo sind ethische Grenzen, die nicht überschritten werden sollten? Auch die ehemalige Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Margot Käßmann, hat sich in ihrem aktuellen Buch unter dem Titel „Das Zeitliche segnen“ mit der Thematik beschäftigt.
„Wie will ich leben, damit ich am Ende in Frieden sterben kann? Darum geht es. Gerade wer die eigene Endlichkeit und die anderer nicht ignoriert, lebt intensiver. Ich verstehe das Leben als geschenkte Zeit, die ich nutzen,verantworten und auch auskosten will“, schreibt Käßmann.
Plädoyer für bewusstes Leben
Lebenszeit ist begrenzt. Das macht sie aus Sicht Käßmanns so kostbar. Wer das wahrnimmt, lebt anders. Die Autorin schreibt über eigene Verlusterfahrungen und schildert wie man in schwerer Zeit Trost findet. Das Buch folgt der These: „Wer über das Sterben nachdenkt, lebt intensiver.“ Käßmann schreibt: „Es tut gut, ans Sterben zu denken – für das Leben! Wer die eigene Endlichkeit und die anderer nicht ignoriert, hat einen anderen Blick auf die Zeit.“ In Anlehnung an den Theologen Heinz Zahrnt sagt sie: „Aber die ewige Fortsetzung unseres Lebens ist doch auch nicht unbedingt ein beglückender Gedanke.“ Einfühlsam berichtet Käßmann über Abschiedsschmerz, Trauer, die Kultur der Erinnerung und deren Rituale, von Ängsten vor der Endlichkeit und dem Ringen mit Zweifeln. In ihre Überlegungen webt sie unter anderem ausdrucksstarke und zum Nachdenken anregende Zitate von Martin Luther und dem Theologen Zahrnt mit ein.
„Das Zeitliche segnen“ ist das Plädoyer einer Christin für ein bewusstes Leben und dafür, das eigene Leben gut zu heißen mit allen Facetten, Höhen und Tiefen. Dazu gehört auch die bewusste Auseinandersetzung mit dem letzten Akt des Lebens, dem Sterben. Deshalb ermuntert die Autorin zur Auseinandersetzung mit der eigenen Endlichkeit und dem Tod. In ihre Überlegungen bezieht sie persönliche Erfahrungen mit ein, etwa ihre Krebserkrankung, die von Freunden oder den Tod der eigenen Mutter, bezieht Stellung zur Sterbehilfe und bricht eine Lanze für Hospize.
Mit ihrem Buch legt die bekannte und charmante Vertreterin der evangelischen Kirche ein Glaubenszeugnis ab, weckt die Frage nach den letzten Dingen und dem christlichen Glauben, enttabuisiert das Sterben. Dies tut sie gefühlvoll, würdevoll, nachdenklich, jedoch nie bleischwer. Auch wer theologisch andere Positionen vertritt, etwa zur Auferstehung Christi, wird mit der Autorin übereinstimmen, dass für Christen der Tod nicht das Ende von Allem, sondern der Beginn von etwas Neuem, Ewigem ist. Eine lohnenswerte Lektüre, die anregt zum Nachdenken über die eigene Endlichkeit, den Wert des Lebens, den christlichen Glauben und dabei den Blick öffnet für die schönen Seiten und letzten Fragen des Daseins. (pro)
Margot Käßmann: „Das Zeitliche segnen. Voller Hoffnung leben. In Frieden sterben.“, adeo, 222 Seiten , 17,99 Euro, ISBN: 978-3-863-34024-7