Alle drei Minuten wird ein Christ aufgrund seines Glaubens umgebracht. 80 Prozent aller weltweit Verfolgten sind Christen. Die Zahlen, die Journalist und Politologe Andreas Püttmann beim Seminar „Diskriminierung und Verfolgung von Christen in aller Welt“ der Konrad-Adenauer-Stiftung nahe Magdeburg präsentierte, erschrecken vor allem angesichts der Tatsache, dass sie in einer westlichen Lebenswelt kaum wahrgenommen werden. Drei Tage lang berichteten Püttmann und vier weitere Experten über ihre Beobachtungen und Erfahrungen mit der Bedrohung von Christen weltweit und zeigten, dass die gewaltsame Einschränkung des Glaubens in der Ferne, aber auch vor der eigenen Haustür anzutreffen ist.
„Leiden und Verfolgung gehört zum Wesentlichen des christlichen Glaubens“, stellte Prälat Helmut Moll in seiner biblischen Einführung ins Thema fest. Dass es Christen auf der ganzen Welt nicht nur während der totalitären Regime des 20. Jahrhunderts, sondern auch heute noch so ergeht wie dem verfolgten Jesus im Garten Gethsemane, zeigten auch Referenten wie Walter Flick, der bei der Internationalen Gesellschaft für Menschenrechte mit dem Thema „Religionsfreiheit“ betraut ist. In 50 Ländern der Welt, so erklärte er, wird die Religionsfreiheit unterdrückt. Dazu zählten vor allem Regionen in Afrika und Asien. Die meisten verfolgten Gläubigen gebe es derzeit in Nordkorea, wo tausende Christen in Konzentrationslagern festgehalten würden.
„Jeder gute Türke ist ein Moslem“
Auch in Saudi-Arabien, Iran oder Eritrea sei die Lage der christlichen Bevölkerungsteile besonders dann verheerend, wenn sie konvertieren oder ihren Glauben öffentlich bekennen. Nicht anders ist das in weiteren muslimische geprägten Ländern: „Mission ist ein gefährlicher Begriff in der Türkei“, sagte Flick und verwies auf die Gefährdung der besonders evangelistisch ausgerichteten evangelikalen Gruppen. Christen in Gefangenschaft erlebten allerdings häufig eine Besserung ihrer Situation, wenn sich Unterstützer aus dem Ausland in Briefen an die Regierung der jeweiligen Staaten wendeten. Christenverfolgung würde in der deutschen Öffentlichkeit derzeit aber kaum wahrgenommen.
Anlässlich des zweiten Todestages der drei in der Türkei umgebrachten Missionare, unter ihnen der Deutsche Tilmann Geske, erinnerte Flick an die Problematik der derzeit diskutierten EU-Aufnahme des südeuropäischen Landes. Schon 2006 war dort der Priester Andrea Santoro von radikalen Islamisten getötet worden. Die Situation der Christen vor Ort habe sich seit den Gewalttaten keineswegs gebessert. Sie seien mehr denn je bedroht, zahlreiche führende christliche Geistliche würden von Sicherheitskräften geschützt und fristeten eine „Ghettoexistenz“. Auch der Journalist Hrant Dink fiel radikalen Moslems zum Opfer. Immer wieder hatte er in der Türkei über die Lage der christlichen Minderheit berichtet. „Es gibt keine Meinungsfreiheit in der Türkei“, sagte Flick. „Jeder gute Türke ist ein Moslem und wenn er keiner ist, ist er verdächtig.“ Christliche Lehrangebote wie Aramäisch-Unterricht würden häufig verboten, Kirchengemeinden enteignet. Anlässlich des Paulusjahres 2009 stellte er die Frage: „Würde Paulus seinen 2.000. Geburtstag in der Türkei überleben?“, um sie anschließend selbst zu beantworten: „Ich denke, er bekäme Schwierigkeiten.“
Pakistan: Auf Blasphemie steht die Todesstrafe
Die TV-Produktion „Tod oder Exil – Religiöse Fanatiker bedrohen Christen in Pakistan“ des WDR gewährt Einblicke in das Leben der über zwei Millionen pakistanischen Christen. Sie leiden etwa unter dem so genannten „Blasphemiegesetz“. Dieses ermöglicht es Einheimischen, Christen wegen Lästerung am Propheten Mohammed anzuzeigen. Auf dieses „Verbrechen“ steht in Pakistan die Todesstrafe. Eine der Angeklagten ist etwa die Lehrerin Katherine Gulsar aus Rampur. Die 32-Jährige soll im Unterricht gesagt haben: „Der islamische Glaube ist ein Dreck, und ich werde alle eure Moscheen anzünden.“ Sie selbst streitet das ab. Angeklagt wurde sie von Eltern, deren Kinder sie kurz zuvor wegen Fehlverhaltens vom Unterricht ausgeschlossen hatte.
Auch wenn das Gericht sie freisprechen sollte, ist ein normales Leben für die junge Frau kaum noch möglich. Radikale Imame verfolgen sie und betonen öffentlich, dass sie auch bereit sind, sie zu töten, sollte das Gericht zu ihren Gunsten entscheiden. Auf einer Mauer in ihrem Heimatdorf ist in Graffiti-Lettern zu lesen: „Katherine hat den Propheten Mohammed beleidigt, tötet alle, die sie unterstützen!“ Ihr Schicksal, so ist sich Flick sicher, steht stellvertretend für das zahlreicher Christen, die in Pakistan untertauchen mussten, weil sie der Blasphemie angeklagt wurden. Sie schweben selbst dann in Lebensgefahr, wenn ihre Unschuld klar belegt ist.
Irak: „Sie öffnen das Tor zur Hölle“
Berthold Pelster ist Mitarbeiter des katholischen Hilfswerks „Kirche in Not“. Mit seiner Arbeit informiert er auch über das Schicksal irakischer Christen, die, wie er sagte, in ihrem Heimatland „die wohl schlimmste Christenverfolgung“ erleben, „die wir derzeit auf der Welt beobachten“. Dem Kriegsgeschehen vor Ort fallen täglich rund hundert Menschen zum Opfer. Mit dem Kriegsbeginn im Jahr 2003, so ist sich Pelster sicher, sei ein „Tor zur Hölle“ geöffnet worden. Habe Saddam Hussein das Land zuvor mit „eiserner Hand“ geführt, sei der Staat heute vom Bürgerkrieg zwischen religiösen Gruppierungen zerfressen – mit der Folge eines „Exodus der Christen“. 150.000 von ihnen befinden sich laut Pelster derzeit auf der Flucht vor radikalen Moslems, etwa Anhängern der Terrororganisation „Al-Qaida“, die Christen verstümmeln und ermorden, Frauen vergewaltigen und Geistliche kidnappen. Und das, obwohl der christliche Bevölkerungsanteil im Irak eigentlich Heimatrecht besitzt, leben Christen doch anteilig seit dem 1. Jahrhundert dort – lange bevor der Islam überhaupt gegründet wurde.
Indien: Hochburg des Hinduismus
Auch in Indien, der Hochburg des Hinduismus, ist die Gewalt gegen Christen allgegenwärtig, wie Pfarrer Dieter Hecker zu berichtete. Er selbst lebte jahrelang dort. Trotz der offiziellen Abschaffung des Kastensystems ziehe sich der Glaube an die unterschiedliche Wertigkeit der Menschen durch die gesamte Bevölkerung – ein Widerspruch zur christlichen Gleichheitslehre. Zwar sei Indien weitgehend tolerant, problematisch werde die Stellung der Christen allerdings dann, wenn sie den alleinigen Wahrheitsanspruch ihres Glaubens verkündeten. Immer wieder werden Ausschreitungen gegen Christen bekannt, etwa 2007 und 2008, als hunderte, vor allem vom Hinduismus konvertierte Gläubige, ermordet wurden.
In verschiedenen Bundesstaaten Indiens wurde laut Decker ein „Freedom of Religion Act“ erlassen, ein so genanntes „Antibekehrungsgesetz“. Christen seien dadurch dazu verpflichtet, vor einer Taufe eine eidestaatliche Erklärung abzugeben, die belegt, dass sie nicht zum Konvertieren gedrängt wurden. Praktisch stelle dies vor allem eine Erschwerung der Konversion dar. Pfarrer, die dennoch taufen, werden laut Decker strafrechtlich verfolgt. Ein besonderes Problem seien seit den achtziger Jahren erstarkende fundamentalistische Hindu-Gruppen, die häufig auch mit Gewalt gegen Christen vorgingen. Die Presse hingegen zeige sich weitgehend neutral gegenüber der christlichen Minderheit. Decker berichtete außerdem von wahren „Massenbekehrungen“, vor allem im Nordosten des Landes. So gebe es Regionen, in denen der Anteil der Christen derzeit bis zu 98 Prozent betrage. Im Landesdurchschnitt liegt er nur bei 2,3 Prozent. (PRO)