„Das Volk Gottes will Hirten und nicht Funktionäre“

Erstmals hat Papst Franziskus ein längeres Zeitungsinterview gegeben. Der Papst gibt darin Auskunft über sich als Person über seinen Führungsstil sowie seine Vision für die katholische Kirche. Diese dürfe sich nicht auf strukturelle Probleme konzentrieren, sondern der Barmherzigkeit den Bedürftigen gegenüber oberste Priorität geben.
Von PRO
Der Jesuit Antonio Spadaro interviewte Papst Franziskus am 19. August für die Zeitungen der Jesuiten in Santa Marta an der Karibikküste Kolumbiens, wo der Papst wohnt. Die italienische Leitfassung wurde am Donnerstag auf der Website der „Civilta Cattolica“ freigeschaltet.

„Was braucht die Kirche in diesem historischen Moment besonders?“, fragt der Interviewer das katholische Kirchenoberhaupt. „Sind Reformen nötig? Was sind Ihre Wünsche für die Kirche in den kommenden Jahren? Von welcher Kirche ‚träumen‘ Sie?“ Franziskus antwortet: „Ich sehe ganz klar, dass das, was die Kirche heute braucht, die Fähigkeit ist, die Wunden zu heilen und die Herzen der Menschen zu wärmen – Nähe und Verbundenheit. Ich sehe die Kirche wie ein Feldlazarett nach einer Schlacht. Man muss einen schwer Verwundeten nicht nach Cholesterin oder nach hohem Zucker fragen. Man muss die Wunden heilen. Dann können wir von allem anderen sprechen.“ Die Kirche habe sich manchmal „in kleine Dinge einschließen lassen, in kleine Vorschriften“, erklärt der Papst weiter. „Das wichtigste Sache ist aber die erste Botschaft: ‚Jesus Christus hat dich gerettet.‘“

Er träume von einer Kirche „als Mutter und als Hirtin“: „Die Diener der Kirche müssen barmherzig sein, sich der Menschen annehmen, sie begleiten – wie der gute Samariter, der seinen Nächsten wäscht, reinigt, aufhebt. Das ist pures Evangelium. Gott ist größer als die Sünde.“ Dabei seien die organisatorischen und strukturellen Reformen „sekundär“: „Sie kommen danach. Die erste Reform muss die der Einstellung sein.“ Der Papst ist überzeugt: „Wir müssen das Evangelium auf allen Straßen verkünden, die frohe Nachricht vom Reich Gottes verkünden und – auch mit unserer Verkündigung – jede Form der Krankheit und Wunde pflegen.“

Keine Verurteilung von Homosexuellen

Er habe Briefe von homosexuellen Personen mit „sozialen Wunden“ erhalten, sagt Franziskus. „Denn sie fühlten sich immer von der Kirche verurteilt. Aber das will die Kirche nicht.“ Wenn eine homosexuelle Person guten Willen habe und Gott suche, dann wolle er sie nicht verurteilen, so Franziskus. Die Religion habe zwar das Recht, die eigene Überzeugung im Dienst am Menschen auszudrücken, „aber Gott hat sie in der Schöpfung frei gemacht: Es darf keine spirituelle Einmischung in das persönliche Leben geben.“ Er frage sich: „Wenn Gott eine homosexuelle Person sieht, schaut er die Tatsache mit Liebe an oder verurteilt er sie und weist sie zurück? Man muss immer die Person anschauen.“

Zur Rolle der Frau in der Kirche sagt der Papst: „Die Räume einer einschneidenden weiblichen Präsenz in der Kirche müssen weiter werden.“ Die Kirche könne nicht sie selbst sein ohne Frauen und deren Rolle. Franziskus plädiert dafür, noch mehr über eine gründliche Theologie der Frau zu arbeiten.

Beten beim Zahnarzt

Papst Franziskus ist nach 182 Jahren der erste Papst, der aus einem religiösen Orden kommt, er ist Jesuit. An dieser Gemeinschaft habe ihn vor allem der „Sendungscharakter, die Gemeinschaft und die Disziplin“ fasziniert. „Das mutet seltsam an, weil ich von Geburt an ein undisziplinierter Mensch bin. Aber die Disziplin der Jesuiten, ihre Art mit der Zeit umzugehen, hat mich sehr beeindruckt.“

Franziskus, der mit bürgerlichem Namen Jorge Mario Bergoglio heißt, war zunächst Hausoberer und dann Provinzoberer bei den Jesuiten. Er sieht in seinem damaligen Führungsstil durchaus Mängel. Er sei aber noch sehr jung gewesen, als er Provinzial wurde, nämlich 36 Jahre, und habe seine Entscheidungen „auf sehr schroffe und persönliche Weise“ getroffen. Dies habe ihm den Vorwurf eingebracht, ultrakonservativ zu sein. Doch mit der Zeit habe er vieles dazugelernt. „Und nun höre ich gewisse Personen, die mir sagen: ,Man soll nicht zuviel beraten, sondern entscheiden.‘ Ich glaube jedoch, dass die Konsultation sehr wichtig ist.“

Heiligkeit sieht Franziskus im Zusammenhang mit Geduld: „Eine Frau, die ihre Kinder großzieht, ein Mann, der arbeitet, um Brot nach Hause zu bringen, die Kranken, die alten Priester, die so viele Verletzungen haben, aber auch ein Lächeln, weil sie dem Herrn gedient haben, die Schwestern, die so viel arbeiten und eine verborgene Heiligkeit leben. Das ist für mich die allgemeine Heiligkeit.“ Diese Geduld sei auch „die Heiligkeit der kämpfenden Kirche“, erklärte der Papst.

Befragt nach seiner persönlicher Praxis des Gebets antwortet Franziskus: „Ich bete jeden Morgen das Offizium. Ich bete gern mit den Psalmen. Dann feiere ich die Messe. Ich bete den Rosenkranz. Was ich aber vorziehe, ist die abendliche Anbetung – auch wenn ich zerstreut bin oder an Anderes denke oder sogar beim Beten einschlafe. Also abends von sieben bis acht bin ich vor dem Allerheiligsten für eine Stunde der Anbetung. Aber ich bete auch im Geist, wenn ich beim Zahnarzt warte oder bei anderen Gelegenheiten am Tag.“ (pro)
http://www.stimmen-der-zeit.de/zeitschrift/online_exklusiv/details_html?k_beitrag=3906412
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