Das Universum in einer Geschichte

Autor der „Chroniken von Narnia“, Geburtshelfer für „Der Herr der Ringe“, Apologet des Christentums: Der Schriftsteller C. S. Lewis hat mit seinem Wirken bleibenden Eindruck hinterlassen. Ein halbes Jahrhundert nach dessen Tod schildert der Theologe Alister McGrath ebenso kurzweilig wie umfassend den Lebens- und Denkweg des berühmten Oxforder Gelehrten. Eine Rezension von Daniel Frick
Von PRO
Umfangreich und kurzweilig: Die Biographie über C. S. Lewis
Von dem antiken Philosophen Platon ist überliefert, dass er Erzählungen verabscheute. Zu viel Schindluder hatten die Sophisten, seine philosophischen Gegner, mit ihren Geschichten getrieben. Mit dem Bann einer Mär verführten sie ihre Zuhörer, mit der Kraft der Rhetorik überzeugten sie das Publikum auch vom Schlechten. Als Bürge der Wahrheit konnten Erzählungen nicht dienen. Platon bediente sich daher der Dialektik, um Stufe um Stufe zum Wahren, Schönen und Guten vorzudringen. Ähnlich argwöhnisch gegenüber manchen Fabelerzählern seiner Zeit war auch der Literaturwissenschaftler Clive Staples Lewis (1898-1963). Während des Zweiten Weltkriegs waren in England mehrere Fantasy-Romane erschienen, die das Publikum in den Augen des Oxforder Gelehrten auf die falsche Fährte brachten. Anders als Platon und im Bewusstsein der Macht von Geschichten wählte er aber ebenfalls das Mittel der Erzählung, um diesen Geschichten Paroli zu bieten. Lewis meinte, durch Geschichten sähen Menschen wie durch eine Linse das Wahre, Schöne und Gute deutlicher. Die Geschichte, die er dann schrieb, ist als „Die Chroniken von Narnia“ zum Bestseller geworden. Sie sollte freilich auf eine andere hinweisen, in der Lewis alle Erzählungen dieser Welt zu ihrer Erfüllung gekommen sah: die Geschichte Gottes mit den Menschen, wie sie die Bibel schildert. Für einen Mann, der einst ein überzeugter Atheist war, ist das eine erstaunliche Entwicklung. Wie diese im Einzelnen vor sich ging, beschreibt der britische Theologe Alister McGrath in einer souverän geschriebenen und umfangreichen Biografie. Sie verbindet die Vorzüge früherer Werke über Lewis miteinander, die entweder auf Zeugnissen von Menschen aus Lewis‘ Umfeld beruhen oder aber die wissenschaftliche Analyse seiner Werke in den Vordergrund stellen. McGraths Buch darf damit als Standardwerk für Interessierte und als Pflichtlektüre für Lewis-Fans gelten. Dass McGrath selbst ein Lewis-Enthusiast ist, findet der Leser erst spät heraus. Sein Schreibstil ist angenehm nüchtern, das Buch flüssig zu lesen. Erst bei der Einführung zu den „Chroniken von Narnia“ wird der Stil persönlicher, etwa wenn McGrath diese sieben Romane, die Lewis von 1949 bis 1954 verfasste, gegen Kritiker verteidigt, die darin seichte Tiergeschichten sehen.

Die Ahnung von einer anderen Welt

Lewis kam 1898 in einer protestantische Familie in Belfast zur Welt. Sein Vater, ein Rechtsanwalt, war bereits als Literaturliebhaber im Lande bekannt geworden. Lewis wuchs umgeben von Büchern und der Landschaft Nordirlands auf, die ihn nach eigenem Bekunden tief beeindruckte und der er seine Vorstellungskraft verdankte. Sie habe ihn ahnen lassen, dass es eine Welt jenseits der vorfindlichen geben müsse. Lewis war ein sensibler, einsamer und introvertierter Junge, „der kaum Freunde hatte und sein Vergnügen und seine Erfüllung im einsamen Lesen von Büchern fand“, schildert McGrath die Kindheit Lewis‘. Dabei erklärt er, wie Lewis‘ Erlebnisse Niederschlag in seinem literarischen Werk gefunden haben. Ein solches prägendes Erlebnis war der Tod der Mutter Flora, die an Bauchkrebs starb, als Lewis zehn Jahre alt war. Lewis wird dieses Erlebnis viereinhalb Jahrzehnte später in dem Roman „Das Wunder von Narnia“ nacherzählen, allerdings mit anderem Ausgang: Die Mutter wird geheilt. Wie McGrath es erklärt, war dies Lewis‘ Art, „seine eigenen tiefen emotionalen Wunden mit einem aus Fantasie gegossenen Balsam zu heilen“.

Einmal Atheismus und zurück

Für Fantasie hatte Lewis in seinen Schul- und Studienjahren zunächst herzlich wenig übrig. Seine Lehrer wiesen ihn nicht nur in die Alten Sprachen ein, die Lewis leidenschaftlich gerne lernte, sondern lehrten ihn auch Rationalismus, die Vorstellung, dass es nichts über das vernünftige Denken hinaus gibt. Lewis wurde zu einem „entschiedenen Atheisten“, der sämtliche Religionen für Unfug hielt, weil sie nicht rational begründbar waren. In dieser Denkhaltung durchlief er das englische Schulsystem, das sein Vater als geeignet sah, ihm eine gute Bildung angedeihen zu lassen. Lewis empfand dies als Tortur: Der auf Anpassung ausgelegte Drill bekam ihm nicht. In seiner Erinnerung war die Schule grausamer als die Schützengräben des Ersten Weltkriegs, in denen er kurzzeitig kämpfte. Die Welt der Oxforder Universität lag ihm schon eher. Nach brillanten Abschlüssen in den Fächern klassische und englische Literatur lehrte er dort von 1925 bis 1954.

Fruchtbare Freundschaft

Keine Darstellung von Lewis‘ Leben kommt um dessen Freundschaft mit John Ronald Reuel Tolkien (1892-1973) herum, dem Autor der Buchreihe „Der Herr der Ringe“ und Anglistik-Professor in Oxford. Lewis gilt als „Geburtshelfer“ dieser Fantasy-Romane, da er Tolkien, der regelmäßig an der Abfassung seines Werkes verzweifelte, dazu ermutigte, dieses dennoch zu Ende zu bringen. Umgekehrt verdankt Lewis Tolkien den entscheidenden Hinweis für seine „Rückkehr“ zum Christentum: Tolkien erklärte dem Mythen-Liebhaber Lewis, dass das Christentum nicht den großen Erzählungen dieser Welt entgegenstehe, sondern Ende und Ziel aller Geschichten sei. Mit diesem Anstoß gelang es Lewis, den Konflikt zwischen dem Ahnen einer „anderen“ Welt in seiner Kindheit und seinem Rationalismus zu lösen: Das Ahnen ist nicht widervernünftig, sondern Ausdruck einer Sehnsucht des Menschen, die nur Gott stillen kann. Im Christentum fand Lewis diejenige Erzählung, mit der er sich einen Reim auf das Universum machen konnte.

Apologet und Literat des Christentums

Auf diese Weise erklärte er nicht nur sich selbst, sondern zunächst ganz England in Radioansprachen und später der ganzen Welt in seinen Büchern, warum das Christentum plausibel sei – und schwang sich somit in der Zeit des Zweiten Weltkrieges zu einem der bekanntesten christlichen Apologeten seiner Zeit auf.<nonbreaking-space> McGrath verschweigt nicht, dass Lewis auch an seine Grenzen stieß. Er weist darauf hin, dass Lewis die Göttlichkeit Christi, für viele eine zentrale Lehre des Christentums, nicht so recht erklären konnte. Außerdem merkte Lewis in der Zeit nach dem Krieg, dass er sich in der aktuellen philosophischen Debatte nicht auskannte und nicht in der Lage war, als Christ darauf zu antworten. Nicht zuletzt diese Erkenntnis gab den Anstoß dazu, mit den „Chroniken von Narnia“ das Christentum zu veranschaulichen. Die „Chroniken“ sind im Wesentlichen ein Gedankenspiel, erklärt McGrath: Was wäre, wenn Gott in eine Welt wie Narnia hineingeboren würde, um diese zu erlösen? Wie bei den „Chroniken“ bietet McGrath auch zu den anderen Werken von Lewis spannende Einblicke in deren Entstehungszusammenhänge. Mit einem Gedanken stellt er sich gegen alle bisherigen Biographien und auch gegen Lewis‘ Erinnerung: McGrath sieht den Zeitpunkt von Lewis‘ Bekehrung ein Jahr früher als üblich, nicht 1931, sondern 1930, und legt dies in überzeugender Weise dar. Der Blick auf Lewis‘ Leben gibt einmal mehr Einblick in den zutiefst menschlichen Drang, die Welt in Geschichten zu erklären. Selbst Platon blieb seinem Prinzip nicht immer treu, sondern griff letzlich doch auf Mythen oder Gleichnisse zurück, um seine Philosophie oder den Ursprung der Welt zu erklären. Lewis, so viel weiß der Leser nach der Lektüre des Buches, wird in diesen Erzählungen lediglich Andeutungen auf die Geschichte des Christentums gesehen haben.
https://www.pro-medienmagazin.de/kultur/buecher/detailansicht/aktuell/cs-lewis-ein-aussergewoehnlicher-phantast-86840/
https://www.pro-medienmagazin.de/film/detailansicht/aktuell/naechste-narnia-verfilmung-geplant-79597/
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