Es ist ein Medienskandal, der seinesgleichen sucht: Mitarbeiter der "News of the World" haben, zusammen mit Privatdetektiven, die Mobiltelefone nachrichtenrelevanter Personen gehackt und abgehört. Mehr als 7.000 dieser Fälle sollen sich über die letzten Jahre ereignet haben, treffen konnte es scheinbar jeden: Mitglieder der Königsfamilie, Politiker, Angehörige gefallener Soldaten und sogar eine entführte 13-Jährige. Bei Letzterer gingen die Täter besonders perfide vor: Da sie die Mailbox der Entführten (und später getöteten) abhörten und Nachrichten verzweifelter Angehöriger löschten, glaubten Polizei und Eltern, dass das Kind möglicherweise noch am Leben sei. Deshalb wird den Tätern in diesem Fall Eingriff in polizeiliche Ermittlungen vorgeworfen.
Mit diesen Methoden hatten die Reporter nicht nur den kompletten Berufsethos abgelegt, sondern auch jeglichen menschlichen Anstand missen lassen. Das wurde selbst den hartgesottenen Briten, die von ihrer Regenbogenpresse einiges gewohnt sind, zu viel. Neben den Strafverfolgungsbehörden brach in den letzten Tagen auch eine Welle der Empörung über das Medienhaus hinein.
Das Aus für die Zeitung ist nun doch eine überraschend heftige Reaktion, die James Murdoch am Donnerstagabend verkündete. Der jüngste Sohn von Medienmogul Rupert Murdoch ist Vorstandsvorsitzender von "News International", der britischen Zeitungssparte des Medienkonzerns "News Corporation". "All die guten Dinge, die ‚News of the World‘ tut, wurden durch Fehlverhalten befleckt", sagte er. "Wenn sich die Vorwürfe alle als wahr erweisen, war dieses Verhalten unmenschlich und hat keinen Platz in unserer Firma." Am kommenden Sonntag werde die letzte Ausgabe erscheinen, die Einnahmen würden für wohltätige Zwecke gespendet.
Regierung will Untersuchungskommission einsetzen
Am Mittwoch hatte Großbritanniens Premierminister David Cameron noch angekündigt, die Ermittlungen gegen die Praktiken des Blattes auszuweiten. Wie die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" berichtet, sollte eine unabhängige Kommission der Regierung die Vorwürfe gegen "News of the World" untersuchen, sobald die polizeilichen Ermittlungen wegen des Abhörens von Telefonen abgeschlossen seien. Für David Cameron ist die Angelegenheit besonders unangenehm: Er ist ein guter Freund von Rebekah Brooks, die einst Redakteurin bei "News of the World" war und heute "News International" leitet. Außerdem hatte Cameron 2010 den Politstrategen Andy Coulson als Kommunikationsdirektor verpflichtet. Coulson war bis 2007 als Chefredakteur der "News of the World" tätig. Am Freitagmittag wurde er verhaftet, von seinem Posten bei Cameron war er bereits im Januar zurückgetreten.
David Cameron gestand am Freitag weitere Fehler ein und kündigte eine grundlegende Neuordnung der Presseaufsicht in Großbritannien an. Der Skandal betreffe nicht eine einzelne Zeitung oder einen einzelnen Journalisten, sondern die ganze Branche und noch mehr: "Wir stecken alle mit drin – die Presse, die Politiker, die Chefs aller Parteien, ich selbst inbegriffen." Viele Politiker hätten die unlauteren Arbeitsmethoden der Presse bewusst in Kauf genommen, weil sie die Gunst der Medienmacher nicht hätten verlieren wollen.
Ende der Traditionszeitung kostet 200 Jobs
Die erste Ausgabe der "News of the World" verließ am 1. Oktober 1843 die Druckerpresse. Zunächst wurden 12.000 Exemplare pro Woche gedruckt, im Jahr 1950 war das Blatt mit einer verkauften Auflage von fast achteinhalb Millionen Exemplaren die erfolgreichste Zeitung der Welt. 1969 übernahm Rupert Murdoch die Geschäfte. Wie bei den meisten Printmedien ging die Auflage in den letzten Jahren zurück, zum Schluss lag sie bei 2,6 Millionen – damit war das Blatt immer noch eine der größten Zeitungen Europas.
Die Wochenzeitung blickt auf eine bewegte Geschichte voller Skandale, aber auch Erfolge zurück. Immer wieder wurde der Vorwurf der Verletzung von Persönlichkeitsrechten laut, andererseits gelang es dem Blatt mehr als einmal, große Geschichten aufzudecken – wie etwa Prinz Harrys Nazi-Verkleidung oder die Eskapaden des früheren Formel-1-Bosses Max Mosley. Politisch wird die Zeitung eher dem bürgerlichen Lager zugeordnet. 2010 sprach sie eine Wahlempfehlung für die konservativen Tories aus, nachdem sie zuvor 13 Jahre hintereinander die sozialdemokratische Labour Party unterstützt hatte.
Das Ende der britischen Traditionszeitung kostet etwa 200 Beschäftigte den Arbeitsplatz. Dementsprechend reagierten viele Mitarbeiter Medienberichten zufolge mit Wut und Trauer auf die Entscheidung. Die "News of the World" war bereits vor dem großen Abhörskandal als Revolverblatt verschrieen, hätte die Untersuchungskommission und die Prozesse womöglich relativ gut überstanden. Einige Anzeigenkunden bekundeten zwar ihren Boykott des Blattes, andere aber gaben an, weiterhin Anzeigen schalten zu wollen. Branchenkenner spekulieren, dass Rupert Murdoch durch den Skandal seine Chancen auf eine Genehmigung seiner geplanten Übernahme des wichtigen britischen TV-Anbieters "BSkyB" schwinden sieht, und "News of the World" deshalb so schnell aufgegeben hat. Bisher gehören ihm rund 40 Prozent von "BSkyB", geplant ist, die Kette ganz zu schlucken.
In London kursieren bereits Gerüchte, wonach Murdoch eine neue Sonntagszeitung gründen will, um die Lücke, die "News of the World" hinterlässt, zu füllen. Denkbar wäre dies in Form eines Ablegers seiner Boulevardzeitung "The Sun", also so etwas wie eine "Sun on Sunday", spekulierte ein Medienexperte bei "Sky News". Die ehemaligen Redakteure der "News of the World" würde das sicher freuen. Man hatte ihnen versprochen, sie bei der Suche nach einer neuen Beschäftigung zu unterstützen. (pro)