Das Thema Christenverfolgung ist „bittere Notwendigkeit“

Mit einem Lichtermarsch will die Internationale Gesellschaft für Menschenrechte (IGFM) in Stuttgart auf die Lage verfolgter Christen aufmerksam machen. In einer Pressekonferenz äußerten sich Experten über die Situation in Ägypten, Iran und Nigeria.
Von PRO

"Das Thema Christenverfolgung ist kein Steckenpferd der IGFM, sondern bittere Notwendigkeit." Mit diesen Worten eröffnete Martin Lessenthin, Sprecher des Vorstandes des IGFM, die Pressekonferenz. In der koptisch-orthodoxen Kirche in Stuttgart hatte die Gesellschaft eingeladen zum Gespräch über "Christen – Opfer religiös motivierter Gewalt".

Ägypten: Keine freien Wahlen für koptische Christen

Über die Situation in Ägypten berichtete Fritz Seel, Diakon der koptisch-orthodoxen Kirche Baden-Württemberg. Groß war in den Medien über die erste freie Wahl in Ägypten berichtet worden. Wie Seel sagte, seien die koptischen Christen jedoch am Wählen gehindert worden. Damit sollte der Sieg der Islamisten gewährleistet werden.

Wie die christliche Nachrichtenagentur "aina" berichtete, seien die Häuser der Kopten, die zur Wahl gingen, in Brand gesteckt worden. Die Polizei habe den Christen "zu ihrem Schutz" verboten, die Häuser zu verlassen. Es sei auch vorgekommen, dass Christen auf der Wählerliste unter ihrem eigenen Namen bereits eine Unterschrift vorfanden. So sei erfolgreich verhindert worden, dass die Kopten ihre Stimmen abgaben. Außerdem kauften die Muslimbrüder den Armen ihre Stimme ab.

So sind die islamistischen Parteien nach dem Bericht der Wahlkommission klare Sieger der ersten freien Wahlen in Ägypten. Im Hinblick auf die erste Sitzung des neuen Parlaments am gestrigen Montag sagte Seel, es sei zu Tumulten gekommen. Die Parlamentarier der Muslimbruderschaft und die Salafisten hätten sich geweigert, einen Eid auf die Verfassung zu leisten und stattdessen versucht, ihre Treue zur Verfassung auf Scharia-Vorbehalt zu stellen.

Lessenthin erklärte, weit über zwei Drittel der Mitglieder des Parlamentes würden in eine politische Richtung denken, die eine Fortführung der Menschenrechtsverletzungen bedeute. Damit seien nicht nur die Diskriminierung der Kopten gemeint, sondern auch die der schwarzen Bevölkerung und der Frauen.

Der Sprecher des Vorstandes der IGFM forderte die Verantwortlichen für die wirtschaftliche Zusammenarbeit in Berlin dazu auf, diese von messbaren Fortschritten bei der Menschenrechtslage abhängig zu machen. Außerdem erwarte man eine Aufklärung der Menschenrechtsverletzungen durch den Militärrat. Der Prozess gegen Mubarak werde zwar zur Ablenkung von vielen offenen Fragen genutzt, trotzdem wolle man eine Antwort über den Verbleib von über 12.000 dauerhaft inhaftierten Anhängern der Demokratiebewegung oder über den Anschlag vom 31. Dezember 2011, bei dem zwölf Kopten ums Leben kamen.

Iran: Todesstrafe für Konvertiten

Auch im Iran kommt es immer wieder zu Übergriffen auf Christen. Vor allem Konvertiten, also vom Islam zum Christentum übergetretene Gläubige, werden besonders verfolgt. Mahin Mousapour, iranische Pastorin einer evangelischen Konvertiten-Gemeinde in Deutschland, berichtete, Minderheiten, ethnische Gruppen und Andersdenkende würden von der iranischen Regierung systematisch zugrundegerichtet. "Als Christ verliert man seine Arbeit und gilt als ‚unrein‘. Christen sind Menschen zweiter Klasse." Viele Leiter der iranischen Untergrundgemeinden säßen zurzeit im Gefängnis, so auch Yousef Nadarkhani. Der Pastor wurde im Juni 2011 wegen Abfall vom islamischen Glauben und Evangelisation zum Tode verurteilt. "Im Iran ist es gesetzlich festgeschrieben, dass der Übertritt vom Islam zu einer anderen Religion mit dem Tode bestraft werden kann. Dieses Gesetz stellt einen schweren Angriff auf die Religions- und Glaubensfreiheit dar, die das Recht, den Glauben zu wechseln, und das Recht, keiner Religion anzugehören, mit einschließt."

Nigeria: "Genozid auf Raten"

Die Lage in Nigeria bezeichnete Emmanuel Ogbunwezeh, Nigeria-Experte der IGFM, als "Genozid auf Raten". Gemäß der UN-Konvention zur Verfolgung und Bestrafung des Verbrechens Völkermord könne Genozid definiert werden als "absichtliche und systematische Zerstörung einer ethnischen, religiösen oder nationalen Gruppe". Genau dies geschehe im Norden Nigerias durch die Boko Haram. "Seit Januar 2011 haben aufgrund des Terrors, der seitens der Sekte Boko Haram ausgeübt wird, 950 nigerianische Christen ihr Leben verloren." Dabei seien die sogenannten Jos-Morde nicht mitgezählt, bei denen 2011 vermutlich 570 Christen ihr Leben verloren hatten. Bis heute würden Christen in zahlreichen Staaten im Norden Nigerias massenhaft hingerichtet.

Erst am vergangenen Freitag ist die Stadt Kano, die größte Stadt im Norden Nigerias, von einer Reihe von Selbstmordattentaten heimgesucht worden. Es kam zu Bombenanschlägen sowie zu Schießereien. Christen, die sich auf der Straße befanden, wurden angehalten und erschossen. Ogbunwezeh berichtete, schon im Dezember 2011 hätte Boko Haram einen Angriff auf Kano angekündigt. Die nigerianische Regierung sei aber nicht fähig, diesen Drohungen zu begegnen und habe die Sekte unterschätzt. "Das ungewöhnliche Schweigen vieler Politiker im Norden sowie religiöser Führer angesichts der Anschläge Boko Harams scheint die Kriminellen zu ermutigen, ihre unverfrorenen Angriffe durchzuführen". Bis zum heutigen Tag sei noch niemand aufgrund der Anschläge auf Christen im Norden Nigerias gerichtlich verfolgt worden, so Ogbunwehzeh.

Ogbunwehzeh appellierte an Europa, die Menschenrechtsverletzungen zu verurteilen, denn: "Die Menschenrechte sind noch immer ein Kerngedanke, auf denen das neue Europa aufgebaut ist." Außerdem habe Nigeria nach fast 30 Jahren Diktatur keine funktionierenden Sicherheitskräfte. Europa solle das Problem nicht lösen, jedoch sei Nigeria auf die Erfahrung angewiesen.

Das Terrorregime Boko Harams sei nicht nur eine ernsthafte Bedrohung für die nigerianische Nation, sondern bedrohe zudem die Stabilität der westafrikanischen Region – mit allen möglichen fatalen Folgen. Denn, so Lessenthin anknüpfend, der Genozid der Christen in Nordnigeria führe zu einer Fluchtwelle. Wenn sich nichts ändern würde, sei Lampedusa demnächst wieder gefüllt – diesmal nicht mit Tunesiern und Libyern, sondern vor allem mit Flüchtlingen aus den sogenannten "Scharia-Staaten".

Lichtermarsch

Die IGFM veranstaltet am 26.01.2012 einen Lichtermarsch in Stuttgart, um auf das Schicksal der iranischen, ägyptischen und nigerianischen Christen hinzuweisen. Man erhoffe sich zahlreiche Beteiligung, so Lessenthin, da es wichtig sei, die Aufmerksamkeit der Menschen und vor allem der Medien zu gewinnen. Nur die öffentliche Aufmerksamkeit könne den Schutz der verfolgten Christen gewährleisten. (pro)

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