Bei der Berichterstattung über Straftaten werde oft erwähnt, wenn der Täter einen Migrationshintergrund hat, findet die Journalistin Canan Topçu. Laut Pressekodex sollte diese Nennung nur begründet geschehen. Halten sich deutsche Journalisten nicht an den Kodex?
„Der Täter ist türkischer Herkunft“ – Information weglassen oder nennen?
In einem aktuellen Beitrag für Deutschlandradio Kultur zitiert die freie Journalistin Topçu eine Nachricht, wie sie „immer wieder in den Medien“ zu finden sei: „Ein Taxifahrer ist zusammengeschlagen und ausgeraubt worden. Bei dem Täter handelt es sich um einen Jugendlichen – türkischer Herkunft.“ Diese Art zu berichten lehne die Journalistin ab.
Sie kritisiert, dass zwar jedes Wort korrekt sei und die Nachricht objektiv scheine. Doch objektiv sei sie nicht, denn unterschwellig würde der Hörer oder Leser angeregt, „sich seinen Teil zu denken“.
Der Hinweis auf die Ethnie stelle einen Zusammenhang her, der nicht zwangsläufig bestehe. Der Jugendliche könne gewalttätig geworden sein, weil er in seinem Elternhaus mit Schlägen erzogen wurde. Doch diese frühe Prägung erleben laut Topçu „viele Kinder, nicht nur türkische“. Wenn die Kinder aggressiv würden oder auf die schiefe Bahn gerieten, liege das nicht unbedingt an der Familie. Die Ursachen für diese Delinquenz, die Neigung, rechtliche Grenzen zu überschreiten, könnten vielschichtig sein. Ein Jugendlicher sei auch „‚Produkt‘ des Landes, in dem er geboren und aufgewachsen ist“. Der Hinweis auf die türkische Herkunft erhelle nichts, sondern vernebele.
Pressekodex: Erwähnung kann Vorurteile schüren
Fakt ist, dass in der Richtlinie 12.1 des Pressekodex steht: „In der Berichterstattung über Straftaten wird die Zugehörigkeit der Verdächtigen oder Täter zu religiösen, ethnischen oder anderen Minderheiten nur dann erwähnt, wenn für das Verständnis des berichteten Vorgangs ein begründbarer Sachbezug besteht.“ Zudem sollen Pressevertreter darauf achten, „dass die Erwähnung Vorurteile gegenüber Minderheiten schüren könnte“.
Diese Richtlinie ist laut Horst Pöttker, Professor für Journalistik an der Universität Dortmund, hingegen nicht mit dem Anspruch vereinbar, „unerschrocken, fair und umfassend zu berichten“. In einem Beitrag in der Zeit schreibt er, eine derartige Selbstzensur sei mit seinem Verständnis für Journalismus nicht vereinbar. Er nennt die Richtlinie ein „konkretes Formulierungsverbot“, und sie gehöre abgeschafft. Der Professor plädiert für verantwortliche Journalisten mit der Freiheit zum eigenen Abwägen. Hinzu komme, „dass die Richtlinie das Publikum für dümmer hält, als es ist. Untersuchungen zeigen, dass Leser es merken, wenn die Nationalität eines Täters gezielt weggelassen wird.“ Journalisten sollten seiner Meinung nach nicht die Erzieher der Nation sein.
Die Richtlinie gründe zudem auf historischen Umständen, die sich geändert hätten, schreibt Pöttker. Jedoch sind ähnliche Richtlinien in anderen Medienkodizes zu finden, etwa im Handbuch von Reuters oder dem britischen Pressekodex.
Verletzt die Journalistin die Chronistenpflicht?
Während ihrer journalistischen Ausbildung vor etwa 20 Jahren habe Reporterin Topçu niemand auf den Pressekodex hingewiesen. Sie sei dennoch achtsam geworden. Sie sagt: „Geholfen haben mir dabei Menschen mit so genanntem Migrationshintergrund. Sie fühlen sich stigmatisiert durch eine Berichterstattung, die kausale Zusammenhänge zwischen Ethnie und Delinquenz suggeriert.“ Warum Medien genau das täten, beantwortet sie mit „mal aus Unachtsamkeit, mal aus ideologischen Gründen“.
Topçu halte sich an den Kodex. Dabei werde ihr vorgeworfen, die Chronistenpflicht zu ignorieren. Sie bevormunde Bürger und kehre die Kriminalität von Migranten unter den Teppich. Sie meint, Journalisten kämen der wahrhaftigen Berichterstattung nicht nach, wenn sie nur ihre Chronistenpflicht erfüllten.
Der Hass gewisser Personen hänge weder davon ab, ob seriöse Medien den ethnischen Hintergrund der Täter nennen, noch vom ethnischen Hintergrund der Täter, äußert sich der Medienjournalist Stefan Niggemeier in seinem Blog. „Wenn die seriösen Medien die Herkunft von Tätern nennen, nehmen sie das als Beweis für die Ernsthaftigkeit des Problems mit Ausländern. Wenn sie sie nicht nennen, umso mehr“, schreibt der Journalist. (pro)
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