Das Leben nach dem Burnout

Regina Heinrich ist mit dem Politiker Frank Heinrich verheiratet. Gemeinsam waren sie Offiziere bei der Heilsarmee, als dem gemeinsamen Lebenshaus der Einsturz drohte. Heute baut sie am Wohnhaus im Wahlkreis, während er sich im Deutschen Bundestag in Berlin für Menschenrechte und humanitäre Hilfe einsetzt.
Von PRO
Regina Heinrich hält Frank Heinrich bei seiner Arbeit als Politiker den Rücken frei
Das gelb gestrichene Haus mit Fachwerk ist nur über einen holprigen Feldweg erreichbar, etwa sieben Kilometer vom Stadtgebiet Chemnitz entfernt. Nichts lässt darauf schließen, dass hier ein Berufspolitiker mit seiner Familie lebt: Frank Heinrich sitzt seit 2009 im Bundestag. Seine Frau Regina renoviert und baut an ihrem Zuhause. Hand- und Heimwerken ist ihre Welt: „Gott hat Kreativität in den Menschen hineingelegt – es bereitet mir Freude, ich bin gerne kreativ“, sagt sie. Schon als Mädchen hat sie Kleider genäht. Im Flur liegen Werkzeuge, Schraubenzieher, Pinsel, eine Leiter lehnt an der Wand. Die Diele ist mit einem Fischernetz und Seesternen dekoriert. Die Sicherheitsdame, Hündin Lizzy, begrüßt die Gäste mit wachen Augen und wedelndem Schwanz. Heinrichs haben sie aus dem Tierheim geholt. Mit Sozialfällen kennen sich die ehemaligen Heilsarmee-Offiziere aus. Regina Heinrich ist in Lünen in Westfalen geboren. Sie wuchs zusammen mit zwei Brüdern auf und wusste sich früh zu wehren. „Schon immer habe ich auch in der Schule auf die Schwachen aufgepasst und auch Prügel eingesteckt für andere, weil die keiner verteidigt hat“, sagt sie. „Ich habe Dinge gesehen und dann auch gehandelt.“ Als Jugendliche hilft sie in einem Asylbewerberheim. Später findet sie den Glauben an Gott und bemerkt, dass der ihr für ihr Leben Kraft und Stärke gibt. Sie macht als junge Frau eine Ausbildung zur Hauswirtschafterin und 1987, mit 24 Jahren, heiratet sie Frank Heinrich. Der stammt aus Siegen, ist ein Jahr älter und studiert gerade im zweiten Semester Sozialpädagogik in Freiburg. Als er ein Praktikum bei der Heilsarmee absolviert, reift bei den jungen Leuten der Entschluss, sich dieser Gemeinde anzuschließen. „Da haben wir das erste Mal eine christliche Gemeinde erlebt, die nicht nur redet, sondern Hand anlegt; im Winter rausgeht und den Obdachlosen Decken und warme Getränke bringt. Das hat uns fasziniert.“ Fünf Jahre arbeiten beide als Angestellte für die Heilsarmee in einem Mitternachtscafé, sie betreut zusätzlich einen Second-Hand-Laden der Gemeinde.

Tagsüber Gemeinde, nachts Haushalt

Es war nicht Regina Heinrichs Traum, zur Heilsarmee zu gehen. Sie erinnert sich an einen Verein von Damen, die mit schlecht gestimmter Gitarre an einer Straßenecke „mehr schlecht als recht“ sangen. „Das war mein Bild von der Heilsarmee. Ich dachte, das ist die französische Fremdenlegion, die Geld sammelt für Kriegerwitwen.“ Aber die Arbeit dort wird zum Lebensinhalt für sie und ihren Mann. Nach einer zweijährigen theologischen Ausbildung in Basel führt sie der erste Posten als Offiziere, im Fachjargon der Heilsarmee „Bestallung“ genannt, 1997 mit drei Töchtern und einem Sohn nach Chemnitz. Das bedeutete neben der Sozial-arbeit vor allem, einen Behindertentreff, einen Kinder- und einen Jugendclub zu leiten. Viel Arbeit, wenig Einkommen. Die Gemeinde wächst unter Heinrichs Einsatz von sieben auf später rund 100 Mitglieder, in Spitzenzeiten kommen 160 Besucher in den Gottesdienst. Weil ihr Mann oft im Büro beschäftigt ist, plant sie Umbauarbeiten und packt selbst mit an. „Mein Mann hat im Büro die Verwaltung und die vielen Antragstellungen erledigt und ich habe mich um das Haus gekümmert.“ Neben der Gemeinde und den Sozialeinrichtungen der Heilsarmee kümmert sie sich noch um die Kinder und den Haushalt. „Total durchorganisiert“ sei sie gewesen. Abends und nachts erledigt sie die Hausarbeit, kocht, wäscht, näht, putzt. Das Geld ist oft knapp. Für das Gehalt, heute verdient ein Offizier rund 1.800 Euro brutto, kommt in der Regel die Heilsarmee-Gemeinde am Ort auf. Die jungen Menschen und sozial Schwachen, die die Arbeit der Heilsarmee damals finanzieren, „hatten selbst nichts an den Füßen“, sagt Heinrich. So kommt das Bruttogehalt oft nicht einmal zustande, bis sich in den USA und Kanada Spender für die Familie finden. „Wir haben zum Teil von der Tafel gelebt“, erzählt sie. Einerseits das Wachstum der Gemeinde zu sehen, aber andererseits über die eigene finanzielle Not daheim nicht reden zu wollen, sei „eine harte Sache“ gewesen. Auch ein Auto können sie sich lange Zeit nicht leisten. Die Arbeit des Vereins in Chemnitz wird so groß, dass noch eine Nebenstelle eröffnet wird. Weil ihr Mann als Leiter der Jugendarbeit in den Neuen Bundesländern viel unterwegs ist, bleiben immer mehr Aufgaben an Regina Heinrich hängen. „Zu der Zeit hatte ich daheim noch drei pubertierende Zicken“, sagt sie scherzend. Die Seelsorge, in der sie damals tätig ist, wird für sie zunehmend zur Belastung. Die Geschichten gehen ihr nachts nach. Als Ehepartner leben Heinrichs in dieser Zeit zunehmend aneinander vorbei. Jeder für sich im Takt des vollen Terminkalenders. Die Ehe habe „nur noch auf dem Papier bestanden“, sagt Heinrich. Dazu kommt, dass die hochsensible Frau mit perfektionistischer Ader die Probleme anderer Menschen förmlich spüren kann. „Ich war ohne Ende überarbeitet“, erinnert sie sich. Sie steuert in einen Burnout: Als sie mit ihrem Mann wegen einer Lapalie streitet, bricht sie 2007 zusammen, kollabiert, erleidet einen Hörsturz. „Ich habe mich übernommen mit vielen Dingen. Ich hatte vergessen zu fühlen, zu weinen, zu lachen. Ich habe nur noch funktioniert“, sagt sie heute. „Ich konnte wochenlang gar nichts. Die ersten sechs Wochen wusste ich nicht, ob ich am Leben bleiben will.“ Sie empfindet ihr Leben nicht mehr als lebenswert, aber umbringen, das verspricht sie Gott, wird sie sich nicht. Der Weg aus dem Burnout ist langwierig und gelingt mit Hilfe in einer christlichen Fachklinik. „Ich bin immer noch sehr geschwächt“, sagt Heinrich heute. Deshalb engagiert sie sich zur Zeit nicht in der Gemeinde oder in Sozialprojekten. Auch die Konzentration fällt ihr manchmal noch schwer.

Perfektionistin im Wattekokon

Die Treppe zum Schlafzimmer, die durch einen Speichertrakt im Rohbau führt, hat sie selber gebaut, die Stufen und Setzstufen im Internet erstanden. Das Geländer fehlt noch. Die Töchter sind verheiratet, der Junior büffelt im oberen Stock fürs Abitur. Einen Enkel haben Heinrichs auch schon. Die Heilsarmee versteht sich als parteipolitisch neutral. Mit dem Bundestagsmandat von Frank Heinrich legte das Ehepaar daher seine hauptamtlichen Ämter nieder. Dass ihr Mann während der Sitzungswochen in Berlin schläft, stört Regina Heinrich nicht. „Früher, als wir beide noch bei der Heilsarmee waren, musste ich funktionieren, auch wenn Frank nicht da war. Das ist jetzt anders“, sagt sie. Heute kann sie ihren Tag freier einteilen, hat momentan keine Verpflichtungen. Vor dem Burnout habe sie fünf Bücher parallel gelesen. Nach der Krankheit kann sie sich zunächst keinen Satz merken, muss auf Hörbücher umsteigen. Erst jetzt beginnt Heinrich, wieder zu lesen. In den Regalen an der Treppe zum Obergeschoss liegen Bücher über Pädagogik sowie zur Gartengestaltung, eine Sammlung des Magazins Mare, geistliche Literatur und Biografien. „In den letzten fünf Jahren habe ich mich in einen Wattekokon zurückgezogen. Ich musste gesund werden an meiner Seele.“ Auf dem Weg durch die Küche ins Wohnzimmer warnt Heinrich: „Vorsicht, das Tischgestell habe ich frisch gestrichen.“ Sie setzt sich auf ein schweres Ledersofa. „Die Wand ist oft feucht, deshalb wollen wir sie nicht verputzen“, erklärt sie und deutet auf die Bruchsteine. Die Fugen dazwischen hat sie mit Trass-Kalk verfugt, damit die Feuchtigkeit aus der Mauer kann. „Die Anleitung dazu habe ich aus dem Internet.“ Wie vieles andere auch: Fenster einbauen, Rohrleitungen verlegen, Fliesen legen hat sie sich mithilfe von YouTube-Videos angeeignet oder sich vom Nachbarn zeigen lassen. Sie baute die Fenster ein, stemmte den alten Boden raus, malerte, klempnerte, mauerte. „Auch wenn es Arbeit ist, empfinde ich die Renovierung nicht als belastend“, sagt sie. Schließlich könne sie sich dabei nach ihrer jeweiligen körperlichen Verfassung richten. „Bauen ist auch Entspannung für mich. Nicht, wenn ich eine Wand umreiße, sondern beispielsweise mit Fliesen kreativ gestalten kann.“ Mit einem gewissen Stolz zeigt sie, was sie schon geschafft hat – und was noch alles erledigt werden muss. Die Isolation unter dem Dach ist noch nicht fertig, in der Küche müssen noch Blenden an den Oberschränken angebracht werden. Das ist nicht wenig, aber Heinrich nimmt es gelassen: „Solange ich nicht kann und es nicht perfekt würde, bleibt es genau so.“ Über Politik wird am Küchentisch, wenn die Farbe getrocknet ist, nicht geredet. „Mein Mann ist Politiker, das reicht.“ Beim Abschied entschuldigt sich Heinrich für ihre eiskalten Hände. „Das kommt, wenn ich mich sehr angestrengt habe.“ (pro)
https://www.pro-medienmagazin.de/politik/detailansicht/aktuell/frank-heinrich-pegida-nicht-typisch-evangelikal-95190/
https://www.pro-medienmagazin.de/kultur/buecher/detailansicht/aktuell/cdu-politiker-menschen-mit-behinderung-sind-bereicherung-95050/
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