Bereits der Start in das Leben des Jungen ist kompliziert. Einfühlsam beschreibt die Mutter und Autorin die ersten Berührungen mit ihrem Sohn und die nervenaufreibenden Tage auf der Intensivstation. Früh diagnostizieren die Ärzte eine lebensbedrohliche Erkrankung. Die Ungewissheit zur Diagnose der Ärzte, „die sich nicht festlegen wollen“, stellt die Ehe der Autorin auf die Probe.
Tod ist früh ein Familien-Thema
Monica Wesolowska ist katholisch erzogen. Ihr Mann David hat als rationaler Skeptiker nicht viel mit dem Glauben am Hut. Die Autorin zweifelt daran, ob sie ihrem Sohn ein Leben, gefesselt an ein Krankenhausbett und medizinische Apparate, zumuten möchte. Angst hat sie vor Untersuchungen, die unangenehm für das Kind sein könnten. Sie beschäftigt der grausame Gedanke, ob eine Totgeburt leichter sei, als dieses langsame Sterben.
Schon früh wird den Eltern bewusst, dass die Zeit mit Silvan begrenzt ist. Selbst wenn er überleben sollte, werde er stark geschädigt sein, „weit über das Maß, was sie die Ärzte erlebt haben“. Ethisch befinden sich die Eltern in einem Zwiespalt, der in dem Buch deutlich zum Ausdruck kommt: Soll ihr Sohn weiterleben, oder sollen sie ihn von seinen Leiden erlösen? Er kann noch nicht einmal richtig schlucken.
Einverständnis des Ethik-Komitees
Die Entscheidung der Eltern, das Kind nicht weiter künstlich zu ernähren, müssen sie mit einem Ethik-Komitee abstimmen. Zwar sind viele Freunde und Verwandte an der Seite der Familie Wesolowska, die entscheidenden Fragen muss das Paar aber für sich selbst beantworten. Eine davon ist: Wie viel schlimmer wird es für ihn werden? „Vielleicht, so denken wir, werden Silvans Leben und Tod einen höheren Zweck haben, wenn sein Tod künftigen Kindern erlaubt, leichter zu sterben, als er gestorben ist“, schreibt die Autorin.
Jeder Tag könnte der letzte sein
Vor allem der Kontakt mit anderen gesunden Kindern führt den Eltern den Sterbeprozess von Silvan vor Augen: „Jeden Tag sieht es so aus, als könnte Silvan unmöglich einen weiteren Tag überstehen, und dann ist wieder Morgen“, schreibt die Mutter. Und dann kommt nach 38 Tagen der Moment, in dem der Organismus definitiv seine Funktion einstellt und Silvan in ihren Armen stirbt.
Die Autorin beschreibt die beklemmenden Momente der Stille nach dem Tod ihres Sohns. Sie schreibt über die Vorwürfe, die sie sich macht, „nicht vor Freude geplatzt zu sein, als er noch lebte“. Auch die Nachbetreuung durch das Hospiz-Team und die Probleme, die ihr der erste Kontakt mit anderen Neugeborenen bereitet, sind Thema des Buches. In dem ethischen Buch sucht der Leser christliche Inhalte vergeblich. Dabei wären gerade diese aus Sicht der katholischen Mutter interessant gewesen: Hat ihr Glaube im Leid geholfen? Konnte sie Gottes Beistand fühlen? Die Fragen des Leids am Praxisfall zu besprechen, wäre eine Chance gewesen, die in dem Buch, das im Patmos-Verlag erschienen ist, leider vergeben wurde. Trotzdem ist es gut geschrieben und gibt einen guten und reflektierten Einblick in die Gefühlswelt von Eltern, die ein Kind verloren haben.
Monica Wesolowska, Aus Liebe loslassen: Das kurze Leben meines kleinen Sohnes, Patmos-Verlag, 19,99 Euro, ISBN 9783843604901