Das Imageproblem der Muslime

Mit Vorurteilen über den Islam aufzuräumen, ist das primäre Ziel von Anja Hilscher. Mit ihrem neuen Buch "Imageproblem: Das Bild vom bösen Islam und meine bunte muslimische Welt" zeichnet die Autorin das Bild einer Religion, die "sehr bunt daherkommt" und so gar nicht in das Weltbild vieler Menschen zu passen scheint.
Von PRO

"Das sind diese Machos, wo die Frauen Tücher tragen müssen. Manche sind auch Terroristen", ist eine von mehreren typischen Aussagen über Muslime, mit denen Hilscher ihre Kapitel beginnt. Dabei bemüht sich die konvertierte Muslima über die 160 Seiten hinweg einiges zurechtzurücken, richtigzustellen und die freundlichen Züge einer oft finster dargestellten Glaubensrichtung hervorzuheben. Dabei zieht sie die Textstellen des Koran heran.


In der Beliebtheitsskala weit unten


Frech und pointiert verkündet die Autorin bereits im Vorwort, dass reichlich Vorurteile und Missverständnisse über den Islam existierten. Der Prophet Mohammed rangiere auf der Beliebtheitsskala religiöser Personen nur knapp vor Pontius Pilatus, demjenigen Statthalter, der Jesus verurteilt hatte. Mit ihrer Darstellung des Islam werde sie das Weltbild vieler demnach stark beschädigen.


Die Autorin habe sich oft Vorwürfe anhören müssen, warum sie ausgerechnet zur Männerreligion Islam konvertiert sei. Doch ihr Gott Allah sei weder ein streng strafender, majestätischer Richter, noch ein immer milde lächelnder lieber Gott. "Allah ist größer. Ein Komparativ ohne Vergleich", schreibt sie. Für gläubige Muslime sei der "Islam" nicht nur ein seelischer Zustand, sondern auch eine abgeschlossene und einigermaßen gut definierbare religiöse Lehre.

Mit drastischer Wortwahl – "alle Muslime sind Wüstensöhne und fastende Fanatiker" – versucht sie, aufzurütteln und Klischees über Bord zu werfen. Ihre These lautet: "Je intensiver Muslime ihre Religion praktizieren und je mehr sie darüber wissen, desto netter sind sie." Fanatiker gebe es aber auch in anderen Religionen. Wenn im Islam etwas nach Blödsinn klinge, "muss es falsch sein", behauptet die Autorin. Der Islam sei das genaue Gegenteil von Extremismus, denn eine der häufigsten Aufforderungen im Koran sei es, zu beobachten und nachzudenken.


Fehlt die interkulturelle Kompetenz?


Auch die Gebote des Koran seien im Widerspruch zur existierenden Meinung nicht sture und starre Imitationen verstaubter Riten. Sie selbst behandle den Koran im Sinne eines Kochbuches. Die Gebote und die religiösen Pflichten böten – richtig umgesetzt – Hilfe und guten Rat. Was viele Kritiker oft fälschlicherweise als Scharia bezeichneten, stamme in Wirklichkeit zum "allergrößten Teil von mittelalterlichen Theologen mit starker Tendenz zum Pharisäertum". Mit einem Stadtplan des 12. Jahrhunderts aktuelle McDonalds-Filialen zu finden, sei ebenso unmöglich.



Wissenschaftliche Studien hätten den Zusammenhang zwischen Religiosität und Gewaltbereitschaft belegt. Um ein friedliches Zusammenleben der Religionen zu ermöglichen, fehle es auf beiden Seiten oft an interkultureller Kompetenz. Viele Vorstellungen der westlichen Welt über den Islam beruhten schlicht und ergreifend auf Missverständnissen. Die Textstelle etwa, dass Frauen für Männer wie ein Acker seien, habe nichts Abwertendes, sondern beweise, was Frauen für ein kostbares Gut seien.

Gottesdienst bedeute auch im Islam nicht, den ganzen Tag in der Moschee zu sitzen und Texte herunterzuleiern. Gottesdienst sei jede Tat, die gut und in guter Absicht mit der richtigen inneren Einstellung begangen wurde. Auch die Behauptung vieler "mediengehypter Islamexperten", dass es im Islam kein Konzept des Individualismus gebe, sei nicht richtig. "Jeder ist völlig für sich vor Gott verantwortlich. Wer sich mit dem Islam beschäftigt, wird sich wundern, wie wenig der Islam mit der trockenen Gesetzesreligion zu tun hat."

Die Diskussion um das Kopftuch kann Hilscher gar nicht nachvollziehen: Das Kopftuch sei ein heiß umstrittenes Kleidungsstück, während über andere Kleidungsstile öffentlich nie debattiert werde. Dabei gebe es kaum etwas, das einem positiven Image abträglicher sei, als seine Religiosität offen zum Ausdruck zu bringen. Als dreist bezeichnet die Autorin den Vorwurf, das Kopftuch grundsätzlich als "Flagge des Islamismus" zu sehen. Das Kopftuch als Symbol der Zweitrangigkeit befinde sich definitiv nicht im Koran, durchaus aber in den paulinischen Briefen der Bibel.



Nicht das Geringste mit der islamischen Lehre zu tun


Ein weiteres Beispiel dafür, wie man im "Saft der eigenen Vorurteile" schmore, seien die Vorurteile gegenüber Frauen im Islam. Dass Frauenunterdrückung und Gewalt in verschiedenen Formen existiere und bekämpft werden müsse, stehe außer Frage. "Sehr viele dieser Unsitten haben nicht das Geringste mit der islamischen Lehre zu tun", versucht Hilscher richtigzustellen. Der Islam drücke sich zudem darin aus, welch "großer Respekt der Schöpfung gebühre und mit welch großer Ehrfurcht Muslime ihr heiliges Buch" behandeln.



Ganz am Ende des Buches "Imageproblem: Das Bild vom bösen Islam und meine bunte muslimische Welt" wagt Hilscher die Prognose, dass weder der Islam als Religion noch die islamische Welt zum Untergang verurteilt sind, wie es der Wissenschaftler Hamed Abdel-Samad beschworen hat: "Schließlich ist Allah der ‚Hervorbringer des Lebendigen aus dem Toten!‘ Das, was uns heute in Form von Gewaltbereitschaft, Intoleranz und Dogmatismus in Kombination mit moralischem Überlegenheitsgefühl von mehreren Seiten als ‚Islam‘ verkauft wird, ist – da bin ich mir sicher – gar nicht der Islam."



Fünf Alternativen für die Zukunft

Der Geist des Islam sei ein anderer und halte irgendwo einen "ausgedehnten Winterschlaf". Für junge Muslime gebe es auf lange Sicht fünf Alternativen: Sie mauern sich irgendwo ein, sie assimilieren sich unreflektiert völlig und werfen selbst den letzten Rest Glauben noch mit über Bord, sie assimilieren sich in die andere Richtung und werden Fanatiker, sie werden verrückt oder sie werden kreativ, offen und entwickeln eine neue Spiritualität.



Hilscher betont fast schon gebetsmühlenartig, dass Extremismus das Gegenteil vom Islam sei. In der aktuellen Bestandsaufnahme präsentiere er sich aber als "einzige Katastrophe und das perfekte Hassobjekt": zum Teil durch Zutun der Fanatiker, zum anderen Teil durch ein geschürtes Feindbild der Medien. Dabei weist sie auf mehrere wissenschaftliche Arbeiten hin, die das Bild eines verzerrte dargestellten Islams in der Gesellschaft herausgearbeitet haben.



Am Schluss jedes Kapitels führt Hilscher an, was der Koran zu den von ihr behandelten Themen sagt. Man merkt der Autorin an, dass sie ihren Auftrag darin sieht, zurechtzurücken. Dass die meisten terroristischen Handlungen von Anhängern muslimischen Glaubens ausgehen, lässt sie dabei vollkommen außer Acht. Oft entsteht der Eindruck, dass die Gesellschaft den Islam nicht verstanden habe und viele Menschen deswegen über den Islam ein falsches Urteil fällten. Die Autorin selbst hat ihr Urteil gefällt: "Eigentlich ist der neue Islam, wie ich ihn verstehe, gar nicht neu, sondern nur ursprünglich, und in diesem Sinne ‚fundamentalistisch‘." (pro)

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