„Das Gegenteil von Fürsorge“

Als bekannt wurde, dass die Ruderin Nadja Drygalla mit einem Mann aus rechtsextremen Kreisen liiert ist, hat die Sportlerin das Olympische Team verlassen. Nachdem die Medien tagelang über den Vorfall ausführlich berichteten, wird nun Kritik am Umgang mit der Sportlerin laut.
Von PRO

Unter großer Medienaufmerksamkeit hat Nadja Drygalla London und damit auch das Olympische Team verlassen. "Ich wollte einfach die Belastung von der Mannschaft nehmen, die zum Teil immer noch im Wettkampf steckte und sich darauf konzentrieren sollte. Ich wollte nicht durch den Rummel um meine Person auch noch andere Leute belasten", begründete die 23-Jährige gegenüber der Deutschen Presse-Agentur (dpa) diesen Schritt. Sie habe weder Kontakt zu Nazis gehabt, noch sei sie jemals auf Demonstrationen gewesen. Acht Tage nach ihrer Abreise beschäftigt der "Fall Drygalla" immer noch die Medien. Nun wird Kritik laut.

"Die Ruderin wurde aufgefordert, Haltung zu zeigen. Dabei versagen vor allem Politik und Sportfunktionäre in diesem Punkt", schreibt Barbara Hans in dem Kommentar "Haltung und Heuchelei" bei "Spiegel Online". "Politik und Sportfunktionäre haben die Frage nach ihrer Haltung schlicht mit Aktionismus überdeckt. Weg mit ihr, und zwar so schnell es geht. (…) Damit bloß niemand hinterher hätte sagen können, man habe sich nicht klar positioniert. Das Ergebnis ist nicht Haltung. Es ist Heuchelei. "Die Gesinnungsschnüffelei ist eine der großen deutschen Untugenden", schreibt Hilmar Klute in der Onlineausgabe der "Süddeutschen Zeitung": "Wir müssen aushalten, dass die Sportlerin Nadja Drygalla einen Mann liebt, der die Prinzipien der Demokratie nicht liebt. Sie sollte sich lediglich die Frage stellen lassen, ob eine Olympionikin nicht in der Pflicht ist, ihrem beschränkten Geliebten den Blick auf die Vielfalt der Völker und Kulturen zu öffnen. Alles andere aber geht zu weit."

"Ein feiger Akt der Distanzierung"


Obwohl die Verantwortlichen gewusst hätten, dass das Gerücht, die junge Frau habe etwas mit Rechtsextremismus zu tun, in seiner öffentlichen Wirkung nur schwer kontrollierbar sein werde, habe sich der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) im entscheidenden Moment nicht schützend vor seine Sportlerin gestellt, schreibt Thomas Schmid, Herausgeber der "Welt"-Gruppe, in dem Leitartikel "Schuld ohne Schuld" in der Tageszeitung "Die Welt". Dass der DOSB der Sportlerin empfohlen habe, aus London abzureisen, sei möglicherweise ein Akt der Fürsorge für eine junge Frau gewesen, aber "auch ein feiger Akt der Distanzierung von einem Mitglied, dem nichts vorzuwerfen ist, und damit das Gegenteil von Fürsorge", kritisiert Schmidt. Von Fürsorge könne nur dann die Rede sein, wenn sie sich auch bei Gegenwind und in Schwierigkeiten bewähre. "Der DOSB hat Nadja Drygalla wie eine kontaminierte Person behandelt", schreibt Thomas. "Das ist eines Rechtsstaates unwürdig, denn ihm ist die Unschuldsvermutung heilig."

"Die Frage der Schuld ernst nehmen"

Schmid kritisierte auch die Äußerungen von EKD-Präses Nikolaus Schneider. Der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland hatte drei Tage lang die Olympischen Spiele besucht. In Bezug auf Nadja Drygalla zitierte er Verse aus dem alttestamentlichen Buch Hesekiel (Kapitel 33, Vers 12): "Wenn ein Gottloser von seiner Gottlosigkeit umkehrt, so soll’s ihm nicht schaden, dass er gottlos gewesen ist." Man lerne aus der Bibelstelle, so Schneider, "dass es Umkehr geben kann und dass man die auch Frau Drygalla zugestehen muss". Dazu schreibt Schmid: "Wie bitte? Von was soll Frau Drygalla umkehren, wie sich Präses Schneider zu fordern anmaßt? Was er da sagt, ist – bei allem Respekt – eine ziemliche Unverschämtheit." Die Kirche verspiele ihr Kapital, wenn sie es mit den Einzelnen und der Frage der Schuld nicht ganz genau nehme, so der "Welt"-Chefredakteur. Präses Schneider hatte auch gesagt, man dürfe die Sportlerin nicht "in Sippenhaft für ihren Freund" nehmen.  (pro/dpa)

 

http://www.welt.de/print/welt_kompakt/debatte/article108563082/Schuld-ohne-Schuld.html
http://www.spiegel.de/panorama/gesellschaft/umgang-mit-ruderin-drygalla-eine-frage-der-haltung-a-849362.html
http://www.sueddeutsche.de/politik/fall-nadja-drygalla-scheinheiliges-wedeln-mit-dem-moralischen-putzlappen-1.1437594
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