„Das Fernsehen war ihr Ventil“

Zwei ZDF-Fernsehmacher erinnern sich - an den Tag, als die Mauer fiel. Den 9. November 1989 verbrachten der damalige "heute journal"-Moderator Peter Hahne und Reporter Christhard Läpple an unterschiedlichen Orten. pro-Autor Axel Rothkehl  hat mit beiden über ihre persönlichen Erinnerungen an den Tag vor 20 Jahren gesprochen.
Von PRO

Schon am Morgen des 9. November 1989 gibt es auf der EKD-Synode in Bad Krozingen etwas zu feiern. Die Delegierten gratulierten Peter Hahne an seinem 37. Geburtstag mit einem Ständchen. "Abends im Hotel beobachteten wir vor den Fernsehern die unglaubliche Geschichte des Mauerfalls", erinnert sich der Journalist. In Berlin interviewt sein Kollege Christhard Läpple für das ZDF die ersten Grenzgänger. Viele der Synodalen weinen hemmungslos vor Freude. "Ich gehörte auch dazu", sagt Hahne, "zu oft hatte ich schon an Mauer und Stacheldraht gestanden, hatte die grausamen Berichte von Flucht und Tod gehört und die Schikanen beim Grenzübertritt über mich ergehen lassen müssen". Dann wird in Bad Krozingen erneut angestimmt: "Nun danket alle Gott!"

ZDF-Reporter Läpple dreht bereits im Schutz der jubelnden Menschenmasse Fernsehbilder am Berliner Todesstreifen. Ein paar Stunden zuvor hätten ihn die Grenzbeamten an dieser Stelle noch verhaftet. "Dienst ist Dienst und Schnaps ist Schnaps. Kontrollen wird es hier immer geben", spricht ihm der Offizier ins Mikrofon. Doch die Euphorie einer Nacht macht die Planerfüllung der Grenzsoldaten für immer zunichte. Als am frühen Abend SED-Funktionär Günter Schabowksi in einer Pressekonferenz von der neuen Reiseregelung stammelt, ruft Läpple die ZDF-Nachrichtenredaktion in Mainz an: "Die Mauer geht auf."

Ganz sicher ist er sich nicht. Läpple fährt zum Grenzübergang Heinrich-Heine-Straße, um einige LKW-Fahrer zu befragen, die aus dem Osten kommen. Heute nennt er das "Schabowski-Test". Die haben auf der anderen Seite nichts bemerkt. Es ist zu früh. Im Westen am Checkpoint Charlie filmt Läpples Kameramann eine Menschenmenge. Sie brüllt "Die Mauer muss weg." Um 22.20 Uhr telefoniert Läpple mit den Mainzer Kollegen des "heute journals". Für die Grenzöffnung gebe es keine Bestätigung der Senatskanzlei. "Es waren nur Gerüchte im Umlauf. Auf dieser Basis haben sich die Kollegen in Mainz entschieden, nach Hause zu gehen." Läpple bleibt wach.

In Kreuzberg knattert vor ihm ein "völlig orientierungsloses" junges Pärchen auf einem Motorrad mit Ostberliner Kennzeichen umher, seine ersten Gesprächspartner. Carola träumt öffentlich davon, einmal ihre Brieffreundin in Australien zu besuchen. "Wir hatten eine sehr hohe Glaubwürdigkeit bei den Menschen. Das Fernsehen war ihr Ventil", erinnert sich der Journalist. "Die Leute wollten sich mit ihren Aussagen befreien". In den "Tagesthemen" der ARD um 22.45 Uhr verkündet Hanns Joachim Friedrichs: "Der Reiseverkehr in Richtung Westen ist frei. Die Tore der Mauer stehen weit offen." Zu diesem Zeitpunkt sei Friedrichs Aussage nicht korrekt gewesen, so Läpple, "es waren nur einige dünne Rinnsale offen, doch Friedrichs Worte waren die große Werbung". Nun strömen die DDR-Bürger in Massen und Läpple bekommt nasse Füße. DDR-Grenzsoldaten spritzen mit Feuerwehrschläuchen auf Jubelnde, die am Brandenburger Tor auf die verbreiterte Mauerkrone steigen. Läpple klettert mit, traut sich zunächst nicht wie die anderen in den Osten zu springen. "Als Journalist hatte ich Einreiseverbot."

"Lebenslüge Einheit" ist Wahrheit geworden

Freie Fahrt hat in dieser Nacht Peter Hahne. Er rast mit seinem PS-starken Corrado in die Mainzer Sendezentrale. Er ist zur Wendezeit Moderator des "heute journal". "In den folgenden Monaten gab es nur gute Nachrichten, eine besser als die andere. Oft vorgetragen mit belegter Zunge und bebenden Lippen, weil der nüchterne Nachrichtenwert die Emotion nicht verdrängen konnte", sagt Hahne. Es sei in den Wochen nach dem 9. November eine "Knochenarbeit rund um die Uhr" gewesen. "Wer hätte da nach Urlaub und Freizeit gerufen, wo man doch an etwas beteiligt war, was in der gesamten Weltgeschichte den Charakter des absoluten Einmaligen hatte?"

Im kirchlichen wie journalistischen Bereich habe er aber auch viele lange Gesichter gesehen, so Hahne. Für viele sei eine Welt zusammengebrochen. Wiedervereinigung und Deutsche Nation hätte so mancher längst abgeschrieben und "in den Bereich des erzkonservativen Revanchismus verbannt. Und plötzlich war diese ‚Lebenslüge Einheit’ Wahrheit geworden. Viele, die heute vollmundig so tun, als wären sie immer dafür und auf der richtigen Seite gewesen, waren vor dem 9. November 1989 schärfste Gegner des vereinten Deutschlands und heftigste Befürworter der Zweistaatlichkeit". Hahne erinnert an die Worte Helmut Kohls: "Der Kanzler sagte zu Recht: ‚Gott wollte es anders, der Himmel hat uns geholfen…’"

Hat das West-Fernsehen zum Mauerfall beigetragen? "Es hatte eine Beschleunigungsrolle, besonders im Sommer 1989", meint Christhard Läpple, "die Medien transportierten eine gewisse Endzeitstimmung in die DDR". Berichte über Botschaftsflüchtlinge seien permanente Aufforderung gewesen, selbst einen Versuch zu wagen. "Wir vermittelten sicher auch das Gefühl: Vielleicht machen die schon bald alles wieder zu."

Läpple war 1988 als Urlaubsvertreter des ZDF-Korrespondenten in Ost-Berlin. Er bemerkte, dass Agenten der Staatssicherheit in das Büro eingedrungen waren und sein Adressbuch über Nacht "ausgeliehen" hatten. "Wir standen unter ständiger Observation." Nach der Wende wurde Läpple zum Spezialisten für die Aufarbeitung der Stasi-Vergangenheit. Im Buch "Verrat verjährt nicht" (Hoffmann und Campe) schreibt er packend über die Schicksale von sieben Menschen und zeigt, wie die Stasi die Gesellschaft durchdrungen hat. Für Läpple selbst ist der 9. November 1989 der "beruflich und privat schönste Tag meines Lebens, weil unsere Familie eine eigene Mauergeschichte hat". Läpples Frau durfte sieben Jahre zuvor "nach langem Kampf" aus der DDR ausreisen.

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