Das evangelische Pfarrhaus: politisch, idealisiert, überholt?

Der Reformator Martin Luther gilt als Begründer der Pfarrhauskultur. Eine Ausstellung in Berlin räumt nun mit diesem Mythos auf. Den Pfarrershaushalt gab es schon bei den Katholiken, sagen die Kuratoren.

Von PRO

Ab Freitag bis in den März hinein ist in Berlin eine Ausstellung zu sehen, die es so noch nie gegeben hat: Das Deutsche Historische Museum beschäftigt sich mit dem „Leben nach Luther – Eine Kulturgeschichte des evangelischen Pfarrhauses“. Die Aussteller zeigen die Pfarrersfamilie als Institution des Protestantismus, die Gesellschaft und Glauben von der Reformation bis heute geprägt hat. Dabei geben die Kuratoren zu, dass Martin Luther überhaupt nicht den Startschuss zu dieser Entwicklung gegeben hat. „Natürlich gab es auch vor der Reformation ein Pfarrhaus“, erklärt Shirley Brückner am Donnerstag bei der Vorstellung der Exponate in Berlin. Auch Priester hätten in familienähnlichen Verbünden gelebt – so seien auf Bildern aus vorreformatorischer Zeit immer die Hausmädchen als Mitglieder des Haushalts zu sehen. „Mätressen-ähnlich“ nennt sie deren Leben. Mit der Reformation habe das glücklicherweise ein Ende gehabt.

Talare und Politik

Die einen mag diese Feststellung provozieren, die anderen amüsieren – beiden Seiten sei gesagt, dass sich die Ausstellung diversen anderen Themen widmet und die Fragen nach sexueller Enthaltsamkeit in Priesterfamilien, aber auch den ganz aktuellen Streit um homosexuelle Lebenspartnerschaften im Pfarrhaus, fast gänzlich ausklammert. Stattdessen widmet sich „Leben nach Luther“ mit Hilfe zahlreicher Leihgaben aus Skandinavien, Großbritannien, Frankreich, der Schweiz und den Niederlanden der politischen und inhaltlichen Entwicklung der protestantischen Institution an sich. In sechs Räumen beantwortet sie Fragen nach der Reformation, dem Amt des Pfarrers, dem Wandel des Status der Pfarrersfamilie, der Vorbildfunktion selbiger, dem Bildungsstand im Pfarrhaus und der Politik des Protestantismus.

Das umfasst zum einen eine Ausstellung verschiedener Talare und Amtstrachten, aber auch die Darstellung des Wandels innerhalb der Pfarrersfamilie. So wurden Mitte des 20. Jahrhunderts erstmals Frauen zum Pfarrdienst zugelassen – der Grund war simpel: Es herrschte Pfarrermangel im Land. Heute gilt uns die Pfarrerin als selbstverständlich und auch die Tatsache, dass sie mit einem Mann zusammenlebt, der keinesfalls der „Pfarrersmann“ ist, sondern selbständig einer Arbeit nachgeht. Weniger geändert hat sich die Sicht auf die Pfarrersfamilie als moralisches Vorbild, auch wenn sie vor Jahrzehnten im Gegensatz zu heute noch als Idealbild der bürgerlichen Familie verstanden wurde.

Schwerter zu Pflugscharen

Der imposanteste und wohl wichtigste Teil der Ausstellung beschäftigt sich mit der Politisierung des Pfarrhauses, die die Aussteller auf den Beginn des 20. Jahrhunderts datieren. Thematisiert wird sowohl der Kirchenkampf im Nationalsozialismus – die Teilung der Protestanten in NS-Befürworter und -Feinde – als auch der Einfluss des Protestantismus auf die friedliche Revolution in der DDR. Zu sehen sind neben alten Schriften und Filmmaterial zum Beispiel Buttons mit den Slogans: „Schwerter zu Pflugscharen“ oder „Frieden schaffen ohne Waffen“. Nicht unerwähnt bleiben die modernen Vertreter des evangelischen Pfarrhauses, die prominentesten sind derzeit wohl Kanzlerin Angela Merkel und Bundespräsident Joachim Gauck.

Wem das nicht reicht, der kann sich in einer der zahlreichen Zusatzveranstaltungen, etwa zum „Streit ums Pfarrhaus – Geschichte und Zukunft des evangelischen Pfarrhauses in der Diskussion“ oder zum „Widerstand im Wohnzimmer – Zur politischen Bedeutung des evangelischen Pfarrhauses“, informieren. Die Ausstellung und deren Zusatzveranstaltungen sind laut Kuratoren der Auftakt einer Reihe im Zusammenhang mit dem Reformationsjubiläum 2017. „Leben nach Luther“ ist in Zusammenarbeit mit der Evangelischen Kirche in Deutschland und der „Internationalen Martin Luther Stiftung“ entstanden. (pro)

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