Das Etwas vor dem Nichts

Das Universum ist von selbst entstanden und wurde nicht von einem Schöpfer erschaffen. Atheisten sind immer wieder bemüht, diese These wissenschaftlich zu untermauern. Jetzt haben sie neues Futter dafür: Der amerikanische Kosmologe Lawrence Krauss erklärt in einem Buch, wieso er den Schöpfer für überflüssig hält. Viele Wissenschaftler, darunter einige gläubige, bleiben skeptisch.
Von PRO

Die Frage, woher alles kommt, und warum es die Welt überhaupt gibt, lässt sich wissenschaftlich nicht endgültig beantworten. Die einen glauben, dass der Kosmos vor 13,7 Milliarden Jahren entstand, wahrscheinlich durch einen "Urknall", andere glauben an einen speziellen Schöpfungsakt. Wieder andere haben kein Problem damit, beide Ansichten miteinander in Einklang zu bringen. Der amerikanische Physiker Lawrence Krauss, der bekennender Atheist ist, hat mit seinem Buch "A Universe from Nothing" (Ein Universum aus dem Nichts), das im Januar auf Englisch erschien, eine neue Diskussion um den Anfang der Dinge entfacht.

Dass es dabei nicht nur um Physik geht, sondern auch um den Glauben, wird schon dadurch deutlich, dass der wohl bekannteste und ambitionierteste Atheist, der britische Biologe Richard Dawkins, das Nachwort schreiben sollte. Der vergleicht Krauss‘ Werk mit dem von Charles Darwin und ist überzeugt: "Selbst die letzte Trumpfkarte der Theologen, die Frage ‚Warum existiert etwas und nicht vielmehr nichts?‘ schrumpft nun vor unseren Augen dahin, wenn man dieses Buch liest." Das Vorwort zu Krauss‘ Buch sollte ein anderer berühmter Atheist schreiben, nämlich der Brite Christopher Hitchens, doch der im Dezember 2011 an Speiseröhrenkrebs verstorbene Journalist war bereits zu krank, um seinen Text zu vollenden.

Das Nichts ist nicht nichts

Krauss greift auf bereits bekannte Thesen zurück, die schon der britische Physiker Stephen Hawking vor zwei Jahren in seinem Buch "Der große Entwurf – Eine neue Erklärung des Universums" festhielt. Es geht im Kern um Energiefluktuationen, die unser Universum, ja sogar mehrere Universen hervorgebracht haben sollen. Gemäß der Quantenphysik ist das Vakuum nicht einfach leer, sondern angefüllt mit Energiefluktuationen. Einen Schöpfergott brauche man da nicht, zeigte sich der bekannte, an den Rollstuhl gefesselte Wissenschaftler überzeugt. "Es ist nicht nötig, Gott als den ersten Beweger zu bemühen, der das Licht entzündet und das Universum in Gang gesetzt hat", schrieb er.

Mehrere Physiker antworteten auf Hawkings Thesen, unter anderem John Lennox, Professor für Mathematik an der University of Oxford und gläubiger Christ. Es sei unlogisch, wenn Hawking annehme, das Universum sei von selbst und ohne Gott entstanden, weil es so etwas wie Schwerkraft gebe. Die Schwerkraft selbst müsse schließlich durch irgendetwas entstanden sein, wirft Lennox, ebenso wie viele andere Wissenschaftler, ein.

Der Publizist Eduard Kaeser, der Theoretische Physik und Philosophie studierte und Physik und Mathematik an einem Gymnasium in der Schweiz unterrichtet, antwortete damals in der Wochenzeitung "Die Zeit" kritisch auf Hawkings Buch: "Ein physikalisches Gesetz beschreibt und erklärt nur ein Ereignis, es erzeugt es nicht." Man könne zwar den Flug eines getretenen Balles gut beschreiben, und zwar anhand der Daten über Schusswinkel, Kraft des Beins und so weiter, aber die Berechnungen könnten den Flug des Balles nicht hervorrufen. Zudem lautet der Vorwurf, Hawking habe in seinem Buch die Grenze zwischen Naturwissenschaft und Theologie verwischt.

Atheistischer Physiker will Gott abschaffen

Ähnliche Vorwürfe hört man nun auf  Krauss‘ Thesen. Krauss leitet das "Origins Project" der Arizona State University, in dessen Rahmen Forscher den Ursprung des Universums und des Lebens untersuchen. Er ist Autor mehrerer Bestseller, darunter ist ein Buch über die Physik im Science Fiction-Klassiker "Star Trek". Sein neues Werk "A Universe from Nothing" landete nach Erscheinen im Januar 2012 auf der Bestseller-Liste der "New York Times".

Die Frage drängt sich auf: Selbst wenn die Eigenschaften der Quantenwelt zu besagten "Fluktuation" führen, muss es ja vorher bereits etwas gegeben haben. Auch David Albert, Professor für Philosophie an der Columbia University in New York, der Krauss‘ Buch für die "New York Times" beurteilte, kommt ebenfalls sofort auf dieses Problem zu sprechen: "Wo sollen die Gesetze der Quantenmechanik selbst denn herkommen? Krauss gibt es mehr oder weniger offen zu: Er hat keinen Schimmer." Außerdem kritisiert er, dass Krauss den Begriff "Nichts" anders als Philosophen verwende und doch zu philosophischen Schlüssen komme. Die Frage nach dem "Woher" sei in Krauss‘ Buch also immer noch nicht zufriedenstellend naturwissenschaftlich beantwortet.

Der Atheist Krauss kommt in seinem Buch selbst auf diese Ur-Frage zu sprechen. "Das zentrale Problem mit der Schöpfung ist, dass sie etwas vorher Existierendes vorauszusetzen scheint, das außerhalb des Systems existiert", erkennt Krauss. "Hier kommt gewöhnlich der Begriff Gott ins Spiel." Seine Antwort: Es gebe nicht nur ein Universum, sondern sehr, sehr viele. In jedem Universum könnten andere Naturgesetze gelten, und in jenem, in dem wir leben, gelten zufällig eben genau jene, die unsere Existenz ermöglichen.

Gläubige Physiker antworten

Der Physiker Alexander Fink, Leiter der "Akademiker-SMD", die ein Netzwerk für Christen in akademischen Berufen sein möchte, weist darauf hin, dass die Erklärung der Welt-Entstehung durch Quantenfluktuationen nicht beweisbar ist. "Wir können prinzipiell nicht hinter die Planck-Zeit zurücksehen (das kleinstmögliche Zeitintervall, für das die bekannten Gesetze der Physik gültig sind, d. Red.). Vermutlich können wir – nach dem aktuellen Stand der kosmologischen Forschung – nicht einmal hinter die Zeit der Entstehung der Hintergrundstrahlung etwa 300.000 Jahre nach dem Urknall zurückblicken, weil erst dann das Universum transparent, also durchlässig für Strahlung, wurde", sagt Fink gegenüber pro. Aus dem Mechanismus der Quantenfluktuation werde geschlossen, dass ein Urheber nicht nötig sei. "Das ist natürlich eine unzulässige Grenzüberschreitung", so Fink. Er verweist auf die Kritik von John Lennox zum Buch von Stephen Hawking: Wer dazu aufrufe, zwischen Gott und den Naturgesetzen zu wählen, vermische zwei völlig unterschiedliche Kategorien, so Lennox.

Auch die Theorie der vielen Universen überzeugt Lennox nicht: "Der Gedanke des Multiversums an sich schließt Gott nicht aus. Aus theoretischer Sicht könnte Gott so viele Universen erschaffen haben, wie es ihm beliebt", so der britische Mathematiker. Zudem sei die Theorie nicht bewiesen und unter Naturwissenschaftlern sehr umstritten. Lennox zieht für sich den Schluss: "Je besser ich die Wissenschaft verstehe, desto mehr glaube ich an Gott, weil ich über die Größe, Raffinesse und Vollständigkeit seiner Schöpfung staune."

Der Brite geht noch einen Schritt weiter: "Wenn das Universum lediglich einem Quanten-Rülpsen entspringt, dann auch wir und unser Denken. Ironischerweise gibt uns Krauss dann gute Gründe dafür, an der Verlässlichkeit unseres eigenen Denkens zu zweifeln. Dann müssten aber alle Konzepte, Glaubensvorstellungen und Argumente angezweifelt werden, auch der Atheismus. Es ist Krauss‘ Atheismus, der im Kampf mit der Wissenschaft steht, nicht Gott." (pro)

Lawrence Krauss: "A Universe from Nothing"
auf Englisch im "Free Press"-Verlag erschienen am 10. Januar 2012,
224 Seiten, 15,95 Euro
ISBN 978-1451624458

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