Corona forciert die Digitalisierung in Gemeinden

In der Corona-Krise hat die Digitalisierung in der Kirche und christlichen Gemeinden einen Schub erfahren. Das zeigt eine Online-Befragung des Netzwerks Gott@Digital.
Von Norbert Schäfer
Michael Zettl ist Mitglied im Leitungsteam bei Gott@Digital und Vorstand einer IT-Unternehmensberatung

Die Digitalisierung in Kirchen und Gemeinden hat sich durch die Corona-Situation der letzten Wochen massiv beschleunigt. Das ist ein Ergebnis einer überkonfessionellen Online-Befragung unter Gemeinden und Werken der christlichen Digitalbewegung Gott@Digital. Das informelle Bündnis von IT-Pionieren aus Kirchen, Freikirchen und christlichen Werken hat sich zum Ziel gesetzt, „digitale Projekte mit christlichem Fokus im deutschsprachigen Raum“ bekannt zu machen, zu initiieren und zu fördern.

„Die Offenheit in Kirchen und Gemeinden für digitale Projekte hat sich während des Corona-Lockdowns massiv verbessert“, erklärt Michael Zettl, Mitglied im Leitungsteam von Gott@Digital, auf Anfrage. Das zeige die Online-Befragung im Netzwerk. Ein weiteres Ergebnis des Stimmungsbildes sei, dass die Unterstützung der Gemeindeleitungen und Gemeindeverantwortlichen zur Realisierung digitaler Vorhaben in der Gemeinde nicht länger das Problem sei. Dieser Befund wäre nach seiner Einschätzung und den Rückmeldungen aus der Gott@Digital-Community noch vor einigen Monaten ganz anders ausgefallen, erklärte Zettl. „Viele Verantwortliche in Kirchen und Gemeinden waren wegen der Corona-Situation gezwungen, sich mit der Digitalisierung auseinander zu setzen und haben jetzt das enorme Potenzial erkannt.“

Online-Gottesdienste erreichen neue Zielgruppen

Mehr als 90 Prozent der 442 Teilnehmer an der nicht-repräsentativen Online-Befragung haben angegeben, dass in den Gemeinden wegen der Corona-Situation digitale Angebote neu geschaffen wurden. „Der digitale Gottesdienst war das digitale Format in den letzten Monaten, das von den meisten Gemeinden angeboten wurde, und auch fast von allen genutzt wurde“, sagt Zettl. Dabei hätten die Gemeinden neue Zielgruppen erreicht. Das zeigten die Antworten der Umfrage. „Das ist erstaunlich“, erklärt Zettl und weiter: „Denn die technische Qualität von Online-Gottesdiensten und Wohnzimmergottesdiensten der Gemeinden vor Ort hinkt der von überregionalen Gemeinden und Fernsehgottesdiensten meist hinterher.“ Zettl interpretiert die Antworten der Befragung so, dass vor allem die Volkskirchen davon profitiert zu haben scheinen, „dass viele, die sich eigentlich nicht mehr zur Kirche zugehörig fühlen, jetzt wieder oder erstmals an digitalen Angeboten teilgenommen haben“. Über Blogs, Podcasts, YouTube-Channels und Facebook-Angebote der Gemeinden seien neue Formen der Gemeinschaft entstanden.

Die Befragung zeigt auch, dass die Gemeinden die neu gewonnenen Zielgruppen nicht mehr verlieren wollen, wenn jetzt das „neue Normal“ nach Corona in den Gemeinden beginnt. Eine Befürchtung ist, das zeigt auch die Online-Befragung, dass mit der Rückkehr in die Normalität dann den Pfarrern die Zeit für die digitalen Angebote fehlt.

Überrascht war Zettl von dem Befund, dass sich viele ältere Gemeindemitglieder und Senioren die Fortführung der digitalen Angebote wünschen und die „hybriden Angebote“ in Zukunft mehr nutzen wollen. Aber auch die Altersgruppe der über 35-Jährigen schätzt laut der Befragung die digitalen Angebote besonders. Zettl glaubt, dass diese Angebote Eltern mit Kindern, Alleinerziehenden und Berufstätigen, etwa im Außen- oder Schichtdienst, eine bessere Teilhabe am Gemeindeleben ermöglichen. Anders ist es bei jüngeren Menschen. Die Onlinebefragung legt nahe, dass sich die Jugendlichen weiterhin lieber in den Gemeinden mit Freunden und Gleichaltrigen treffen wollen. „Die Gruppe, die man immer im Verdacht hatte, durch und durch digital zu sein, schätzt die analogen Formate offensichtlich mehr, als man denkt“, sagt Zettl.

Wunsch: „Hybride Gemeinde“

Die Befragung lege zudem nahe, dass die Mehrheit der Teilnehmer eine „hybride Gemeinde“ wünsche, also eine Mischung von Präsenzveranstaltungen und digitalen Angeboten. „Es reicht allerdings nicht, nur eine Kamera in den Gottesdienst zu stellen“, sagt der IT-Experte und weiter: „Wer daheim den Gottesdienst oder die Bibelstunde im Livestream verfolgt, muss auch die Möglichkeit zur Interaktion haben, sonst kann man den Gottesdienst auch im ZDF gucken.“ Die Herausforderung liege darin, die Teilhabe am Geschehen auch denen zu eröffnen, die die Gemeindeangebote von daheim aus verfolgten und ihnen das Gefühl zu vermitteln, „gleichwertiges Mitglied dieses Gottesdienstes“ zu sein. Das sei beispielsweise möglich, wenn Online-Teilnehmer chatten oder Gebetsanliegen übermitteln könnten und es nach dem Gottesdienst noch virtuelle „Kaffee-Treffen“ gibt.

Zettl erwartet durch die Digitalisierung das Aufkeimen neuer Veranstaltungsformate in den Gemeinden. „Vielleicht gibt es zielgruppenindividuell auch bald digitale Formate, bei denen Gemeindemitglieder live dabei sein können – und nicht andersherum“, erklärt Zettl. Seiner Meinung nach wird das Modell „hybride Gemeinde“ nicht erfolgreich sein, sollten die Gemeindeveranstaltungen bloß mit „mehr Technik“ angereichert werden. Der Kreativität seien bei den denkbaren und technisch möglichen Formaten kaum Grenzen gesetzt.

Gott@Digital hat auf seinem YouTube-Channel Videos veröffentlicht, die Gemeinden ganz praktisch dabei helfen sollen, beispielsweise das erforderliche technische Equipment zu finden, den Gottesdienst der Gemeinde online zu bringen oder digitale Angebote für die Jugendarbeit zu schaffen.

Michael Zettl ist im Leitungsteam von Gott@Digital, einer Vernetzungsinitiative von IT-Pionieren aus Kirchen, Freikirchen und christlichen Werken, die zum Ziel hat, „digitale Projekte mit christlichem Fokus im deutschsprachigen Raum“ bekannt zu machen, zu initiieren und zu fördern. Die IT-Profis und Digitalisierungs-Visionäre wollen die Digitalisierung mit christlichen Werten besetzen und für christliche Gemeinden und Unternehmen nutzbar machen. Dazu hat Gott@Digital in den zurückliegenden Jahren Konferenzen durchgeführt. Für 2020 hatten sich die Initiatoren vorgenommen, verstärkt Webinare und Online-Veranstaltungen anzubieten.

Von: Norbert Schäfer

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