Computerspiele gegen Kriegstrauma

Viele Soldaten kehren aus ihrem Auslandseinsatz mit einem Trauma zurück. Amerikanische Psychologen wollen die seelischen Verletzungen mit einer neuen Therapie heilen: Sie behandeln mittels Computerspiel.
Von PRO

730 Soldaten der Bundeswehr waren im Jahr 2010 wegen eines Traumas in Behandlung. Die Erfahrungen von Gewalt und Anspannung bis hin zur Todesangst verkraften viele Einsatzkräfte auch Jahre später nicht. Zehntausende US-Soldaten kehrten in den vergangenen Jahren von den Kriegen im Irak und in Afghanistan mit massiven psychischen Problemen zurück.

Chronische Alpträume, Dauer-Anspannung, übertriebene Wachsamkeit und Verdrängung unliebsamer Erinnerungen seien typische Symptome, erklärt Oberstarzt Peter Zimmermann vom Bundeswehrkrankenhaus in Berlin im "ntv"-Interview "Dies zu verarbeiten kostet Kraft, die gerne an anderen Stellen eingespart wird, zum Beispiel bei den sozialen Kontakten",  Dadurch entstehe eine Negativspirale: "Man sägt sich den wichtigsten Ast, der einen noch stützen könnte, selber ab."

Um diese "posttraumatischen Belastungsstörungen" zu behandeln, experimentieren Psychologen in den USA mit einer ungewöhnlichen Therapie: Sie setzen die Patienten vor Computer-Kriegsspiele. Dabei  trifft der Spieler auf Situationen, die während des Kriegseinsatzes belastend waren. Spiele wie "Virtual Iraq" oder "Virtual Afghanistan" simulieren die Realität in den Kriegsgebieten. "Auf den ersten Blick scheint es widersinnig", sagt Albert Rizzi gegenüber dem "Tagesanzeiger". Rizzi leitet das Forschungsteam an der University of Southern California. Es habe sich als erfolgreich erwiesen, den Patienten durch die Computerspiele schrittweise ein moderates Angstgefühl zu vermitteln und sie gleichzeitig über ihre Ängste sprechen zu lassen. Nach und nach ließen dadurch die Symptome der posttraumatischen Belastungsstörung nach. US-Streitkräfte schätzen, dass 20 bis 30 Prozent der Soldaten nach einem Kriegseinsatz unter traumatischen Störungen leiden.

Therapie durch Simulation von Kriegsszenen

Experten sehen einen Vorteil der Behandlung durch Computerspiele, weil die Hemmschwelle für jüngere Soldaten, die mit PC-Spielen vertraut seien, eher gering sei. Dagegen sei die psychologische Behandlung in den Streitkräften immer noch mit Vorurteilen behaftet. Grundlage für die therapeutischen Spiele war das X-Box-Spiel "Full Spectrum Warrior", ein Kriegsspiel.

Die Spiele simulieren über einen Helm, den der Spieler aufsetzt, das Bild der Einsatzorte, aber auch Geräusche, Vibrationen und sogar Gerüche. Da hören die Spieler das tiefe Motorbrummen von Panzerfahrzeugen oder spüren simulierte Druckwellen von Bombenexplosionen, während sie den Geruch von Schiesspulver, Diesel oder verbranntem Gummi wahrnehmen.

Bislang mussten Therapeuten die traumatisierten Soldaten allein durch deren Vorstellungskraft behandeln. "Wir führten die Patienten vor dem geistigen Auge zu jenen Dingen, vor denen sie Angst haben", sagt Rizzi. Eine derartige Konfrontation sei das Kernstück der Traumatherapie. Allerdings waren sich Therapeuten bisher nicht sicher, ob sie mit dem theoretischen Ansatz die Soldaten tatsächlich auch erreichten, so Rizzi. Seiner Ansicht nach sei die Therapie durch die PC-Simulation wesentlich realer. Bei einem Praxistest in seinem Institut hätten bei der Therapie mittels Computerspiel 16 von 20 traumatisierten Soldaten deutliche Verbesserungen bis hin zur Heilung gezeigt.

Wie das Nachrichtenportal ntv berichtet, dauert es durchschnittlich dreieinhalb Jahre, bis sich ein von einem posttraumatischen Belastungssyndrom betroffener Bundeswehrsoldat nach Therapiemöglichkeiten erkundigt. Und die Zahl derer, die mit einem Trauma aus dem Auslandseinsatz zurückkommen, steigt an: 2008 wurde diese Diagnose nur bei 245 Kriegsrückkehrern gestellt, 2010 waren es bereits knapp 730. Laut einem Bericht von Spiegel online erkranken am häufigsten Heimkehrer aus Afghanistan.

Laut Oberstarzt Zimmermann sei nach einer Trauma-Therapie trotzdem niemand genau so wie vorher: Oft bleibe eine Narbe, die "noch ein bisschen weh tut" zurück.

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