Irshad Manji ist gläubige Muslima, darauf legt sie Wert. Doch hat sie von Kindheitstagen an eine Eigenschaft, die nun die Blicke der Weltöffentlichkeit auf sie zieht: sie stellt laut Fragen. Zusammen mit ihrer Religionszugehörigkeit führt dies zu Spannungen, die sich bereits in einem Buch, das sich in muslimischen Ländern als Bestseller verkauft, und in einem Film entladen haben.
Manji kam 1972 im Alter von vier Jahren als Flüchtling aus Uganda nach Kanada. Sie besuchte zunächst einen christlichen Kindergarten, „in dem sie zum Fragen ermuntert wurde“, und dann eine Koranschule, in der sie lernen musste, „buchstäblich nur die Worte des Lehrers nachzubeten“, berichtet sie gegenüber „Cicero“. In Kanada moderierte sie den kanadischen Homosexuellen-Sender „Queer-TV“. Cicero schreibt: „Ausgerechnet diese westliche, bekennende Lesbe, eine Außenseiterin par excellence von winziger Gestalt fordert all jene selbst ernannten Hüter des angeblich einzig wahren Islam zum intellektuellen Duell.“
„Israel-Hetze ist Heuchelei“
In ihrem Buch „The Trouble With Islam Today. A Muslim’s Call for Reform in Her Faith“ (auf Deutsch unter dem Titel „Der Aufbruch: Plädoyer für einen aufgeklärten Islam“ bei dtv erschienen), schreibt sie darüber, wie es in ihren Augen miteinander vereinbar ist, modern und aufgeklärt zu sein und trotzdem an Allah zu glauben. Doch statt nur um Kopftuch und Zwangsheirat geht es auch um das „Selbstmitleid“ der Moslems, die den Westen für die eigenen Mängel verantwortlich machen. Und im Grunde sei auch die Hetze gegen Israel eine Heuchelei, so Manji, denn die meisten arabisch-muslimischen Länder behandelten die Palästinenser in Wirklichkeit noch schlechter als die Israelis.
Ihr Buch erscheint in mittlerweile 26 Ländern. In Indonesien, dem größten muslimischen Staat, ist es ein Bestseller. Wo es verboten ist, erreicht es seine Leser über die Webseite www.muslim-refusenik.com. 500.000 Mal wurde die arabische Übersetzung ihres Buches bereits heruntergeladen. Die persische Version wird als pdf-Ausdruck weitergereicht.
Die Journalistin ist Senior Fellow an der „European Foundation for Democracy“ (EFD) mit Hauptsitz in Brüssel. Die Stiftung versteht sich als eine Plattform, die den Ideologien des Terrors entgegenwirken möchte. Die EFD wurde nach den Anschlägen in Madrid und London gegründet und sucht den Dialog mit Moslems, die bereit sind, sich gegen Terror und für Demokratie einzusetzen. Außerdem war Manji Fellow an den Universität Yale und Toronto, seit Januar gehört sie zur „Wagner School of Public Service“ der New Yorker Universität. Sie schrieb für die „New York Times“ und tritt nach dem Bucherfolg selbst in zahlreichen Sendungen auf, wie etwa auf „Al-Dschasira“, CBC, BBC, MSNBC, CNN und Fox News.
Die Zeitung „Jakarta Post“ in Indonesien nannte Manji eine der drei Frauen, die den Islam positiv verändern könnten. Dennoch oder gerade deswegen lebt Manji hinter gepanzertem Glas, denn gegen sie wurden Morddrohungen ausgesprochen.
Aufrührerischer Film für einen „Glauben ohne Furcht“
Voriges Jahr veröffentlichte sie den Film „Faith Without Fear“ („Glaube ohne Furcht“), für den sie um die Welt reiste und bekannten Moslems kritische Fragen stellte, die ihr unter den Nägeln brennen: „Liegt das Problem im Islam selbst oder an der Manipulation durch die Religion? Gibt es innerhalb des Islam eine Lösung für den Horror, der in seinem Namen angerichtet wurde? Wenn es den Islam nie gegeben hätte, was würde die Welt dann vermissen? Wann haben wir aufgehört zu denken? Wieso unterdrücken wir Frauen und Minderheiten, fühlen uns umgekehrt aber ständig beleidigt? Warum bekennen wir uns nicht zum Judentum als Ursprung aller monotheistischen Religionen, auch des Islam, sondern pflegen einen haarsträubenden Antisemitismus?“
„Die Hoffnung auf einen aufgeklärten Islam ist höchstens einen Meter sechzig groß“
Sie interviewte für den Film Salman Rushdie, den Autoren der „Satanischen Verse“; sie spricht im Jemen mit einem ehemaligen Leibwächter von Terrorführer Osama Bin Laden; in Holland interviewt sie die Islamkritikerin Ayaan Hirsi Ali, und in Spanien ruft sie dazu auf, die islamische Tradition des „Idschtihad“ zu pflegen, das freie Denken und die angeregte Debatte. Schließlich wirft sie den radikalen Moslems vor, „spirituell infantil“ zu sein und auf Selbstkritik gänzlich zu verzichten. Ihr Credo lautet: „Der Glaube wird durch Fragen nie bedroht. Dogma hingegen wird immer von Fragen bedroht.“
Der Titel des Films, „Glaube ohne Furcht“, verdeutlicht, dass es ihr darum geht, einen Glauben leben zu können, und trotzdem Fragen laut auszusprechen, ohne von den anderen Anhängern der Religion verfolgt oder ermordet zu werden. Dabei betont sie, dass der Titel nicht allein den islamischen Glauben anspricht. Jeder Glaube solle die Freiheit zulassen, zu zweifeln, so Manji. „Die Botschaft des Films betrifft nicht nur Moslems, sondern jeden, den man als Opfer abstempelt – Frauen, Juden, Schwule, Lesben, Ureinwohner und andere.“ Vergangene Woche wurde bekannt, dass „Faith without Fear“ für einen Emmy in der Kategorie Dokumentation nominiert wurde.
In einer Talkshow sagte sie, sie danke Gott jeden Tag dafür, dass sie in einem Land wie Kanada leben könne, wo sie als Muslima frei sei und tun könne, was sie wolle. Diese Freiheit nutze sie, um gegen veraltete Glaubensvorstellungen im Islam zu kämpfen. „Luther des Islam“ nennt sie Cicero. Passen würde auch Martin Luther King Jr., denn der sei für sie ein Vorbild, sagt Manji. (PRO)