„Cicero“: Christen handeln moralischer

Gibt es eine "Humane Gesellschaft ohne Gott"? Das fragt der Politologe Andreas Püttmann in einem Kommentar auf "Cicero Online" und beantwortet die Frage mit einem klaren Nein. Anders als Jon Worth. Der ist Mitinitiator der Buskampagne britischer Atheisten und meint, ethisches Handeln sei auch ohne Gott möglich.
Von PRO

„Man muss nicht an einen Gott glauben, um ein ethischer Mensch zu sein.“ Jon Worth spricht in einem Interview mit „Cicero Online“ aus, was viele Atheisten auf der ganzen Welt denken. Werbung für seine atheistische Lebenseinstellung rollt derzeit auf Doppeldeckerbussen durch Großbritannien. „Es gibt wahrscheinlich keinen Gott.“ Worth ist mitverantwortlich für die massenhaft auf Bussen angebrachten Schriftzüge, die diese Botschaft transportieren (pro berichtete). Der Humanismus, so ist er überzeugt, garantiere, dass der Mensch erkennt, was gut und schlecht ist, auch ohne Gott. „Ich persönlich brauche keine religiöse Überzeugung. Ich fühle mich wohl“, sagt Worth.

Mag sein, aber gläubige Menschen fühlen sich noch wohler, würde der Bonner Politologe Andreas Püttmann wohl darauf antworten. Unter der Überschrift „Humane Gesellschaft ohne Gott?“ hat er Jon Worth auf dem Onlineportal des Politikmagazins „Cicero“ geantwortet – und dessen Meinung, die Menschheit brauche keinen Gott, empirisch widerlegt.

Ethikversagen vorprogrammiert

„Wenn es Gott nicht gibt, ist alles erlaubt“, zitiert er den russischen Schriftsteller Dostojewski und erklärt die „Unverzichtbarkeit des Glaubens“ so: Menschen in einer Gesellschaft haben in der Regel drei Handlungsmöglichkeiten. Sie können sich strikt an gesellschaftliche Regeln halten. Sie können sich so lange an gesellschaftliche Regeln halten, so lange sie sich nicht benachteiligt sehen. Sie können darauf vertrauen, dass alle anderen sich an gesellschaftliche Regeln halten und selbst gegen diese verstoßen. Ein „Ethikversagen“ ist laut Püttmann vorprogrammiert, da die erste Möglichkeit empirisch kaum vorkomme, während die letzten beiden zu gelegentlichen oder permanenten Regelverstößen führten.

Wie also ist dieses Problem zu lösen? Durch das, was Püttmann als „transzendenten Ausgleich“ bezeichnet, den Glauben an eine höhere Instanz und die unsterbliche Seele. „Erst der Gedanke einer überweltlichen Rechtfertigungspflicht stellt die Versicherungsinstanz dafür dar, dass die Ethik in Geltung ist, dass sogar der Zustand, selbst als einziger sittlich zu handeln und dabei, innerweltlich betrachtet, hoffnungslos unterzugehen, immer noch jenem Zustand vorzuziehen wäre, in dem gar keiner sittlich handelte“, schreibt er. Will heißen: Nur, wenn es einen Gott gibt, lohnt es sich für Menschen überhaupt, ethisch zu leben.

Gläubige handeln also moralischer, glaubt Püttmann, und führt dazu zahlreiche Belege aus der empirischen Sozialforschung an. Er zitiert eine Allensbacher Analyse von 2005, die 14- bis 29-jährige Deutsche fragte, „was in ihrem Leben wichtig ist“. „Junge Leute, die sich als ‚religiös‘ bekennen, nannten signifikant häufiger als areligiöse die Werte: ‚gute, vielseitige Bildung‘ (72 zu 55 Prozent), ‚immer Neues lernen‘ (69:54), ’soziale Gerechtigkeit‘ (69:52), ‚Menschen helfen, die in Not geraten‘ (69:46), ‚Kinder haben‘ (61:42), ‚Verantwortung für andere übernehmen‘ (43:26), ‚Auseinandersetzung mit der Sinnfrage‘ (45:19), ‚Naturerfahrungen‘ (38:22), ‚aktive Teilnahme am politischen Leben‘ (14:7). Bei zwei Antwortmöglichkeiten hatten die Areligiösen die Nase vorn: ‚hohes Einkommen‘ (49:37 Prozent) und ‚Spaß haben, das Leben genießen‘ (76:67).“

Nichtreligiöse tendieren zum Hedonismus

Areligiöse tendierten eher zum Hedonismus, während kirchennahe Christen sich mit einer Zweidrittelmehrheit dafür aussprächen, das Leben als eine Aufgabe zu betrachten, für die der Einsatz aller Kräfte lohne. „Nach einer Studie des Religionssoziologen Klaus-Peter Jörns (1997) finden es Atheisten viel weniger als ‚Gottgläubige‘ (35 Prozent zu 51 Prozent) ‚gut, dass wir Menschen aufeinander angewiesen sind und uns gegenseitig helfen können‘; nach dem ‚Wichtigsten im Berufsleben‘ gefragt, rangiert das Motiv: ‚Anderen Menschen mit meiner Arbeit zu helfen‘ für Atheisten (26 Prozent) ebenfalls niedriger als für Gläubige (35 Prozent). Ähnliche Befunde wurden in anderen Ländern erhoben. In den USA erklärten Mitglieder von Glaubensgemeinschaften – Kirchen und Synagogen – viel häufiger als Nichtmitglieder (80:55 Prozent), für wohltätige Zwecke Geld gespendet und ehrenamtliche Aufgaben übernommen zu haben (51 zu 33 Prozent). Befragte, die einen tiefen religiösen Glauben bekundeten, meinten zu 89 Prozent, die Unterstützung von Notleidenden sei sehr wichtig; bei jenen, denen der Glaube wenig oder nichts bedeutete, waren es nur 52 Prozent“, schreibt Püttmann.

Mit zunehmender Nähe zur Kirche steige bei Umfragen auch der Anteil „gesetzestreuer Antworten“. Auf die Allensbacher Frage „Was empfinden sie dabei, wenn sie Steuern zahlen?“ bedauerten Konfessionslose häufiger: „Man nimmt mir etwas weg“, während Katholiken eher bemerkten: „Ich leiste einen Beitrag für die Allgemeinheit“.

Erkennen, was gut und was böse ist

„Laut einer Allensbacher Umfrage vom Mai 2005 anerkennen 50 Prozent der regelmäßigen Kirchgänger gegenüber nur 32 Prozent der Konfessionslosen ‚völlig klare Maßstäbe, was gut und was böse ist. Die gelten immer für jeden Menschen, egal unter welchen Umständen‘; die Gegenmeinung: ‚Es kann nie völlig klare Maßstäbe für Gut und Böse geben. Was gut und böse ist, hängt immer allein von den gegebenen Umständen ab‘ unterstützten 49 Prozent der Konfessionslosen, aber nur 18 Prozent der regelmäßigen katholischen und 29 Prozent der evangelischen Kirchgänger“, schreibt Püttmann zum ethischen Maßstab gläubiger und nichtgläubiger Menschen. Diese Erkenntnisse ließen sich auch auf Fragen des Lebensrechts ausweiten: „Atheisten akzeptieren Abtreibung, Euthanasie und Suizid viel eher als kirchennahe Christen.“

Weil der Glaube zur persönlichen Daseinsbewältigung beitrage, fördere er glückliche Familien und Partnerschaften sowie ein zufriedenes Leben. Das belege eine Jugendstudie des Soziologen Gerhard Schmidtchen, wiedergegeben im Allensbacher „Generationen-Barometer 2006“: Laut dieser „sind bei den Jugendlichen Brüche in der Sozialisation seltener, ihre Normenkonformität ist größer, ihr persönliches Zukunftsvertrauen ausgeprägter, die Einstellung zum Beruf und die Beschreibung des eigenen Gesundheitszustands positiver, Liebeskummer tritt ’nicht so häufig auf, das heißt, die Partnerschaften werden behutsamer und wahrscheinlich mit größerer Treue geführt‘ – kurzum: Das Lebensgefühl tendiert stärker zum Positiven.“

„Jon Worths Thesen nicht nachvollziehbar“

Angesichts all dieser Befunde, so Püttmann, seien Jon Worths Thesen nicht nachvollziehbar, es sei denn „dass er nicht gründlich genug recherchiert und seine Klischees von Glauben mit der Wirklichkeit verwechselt hat.“ Und doch: Selbst der Atheist Worth gibt im Interview mit „Cicero zu, auch gute Seiten am Glauben erkennen zu können: „Es gibt viele Sachen, die Kirchen und andere religiöse Gruppen in Großbritannien und überall auf der Welt anstoßen, nehmen sie nur das caritative Engagement oder die Fürsorge an Menschen in extremen Situationen wie Trauerfällen. Da spielt Religion eine entscheidende, positive Rolle.“ Das sah auch schon Joschka Fischer so. 1992 schrieb er in seinem Buch „Die Linke nach dem Sozialismus“: „Eine Verantwortungsethik ohne religiöse Fundierung scheint (…) einfach nicht zu funktionieren“. Ähnlich auch der Linkspolitiker Gregor Gysi. 2005 bekannte er in einem Vortrag in Tutzing: „Auch als Nichtgläubiger fürchte ich eine gottlose Gesellschaft“.

Andreas Püttmann ist Politologe und Journalist. Neben seiner beruflichen Tätigkeit ist er unter anderem Mitglied der „Gesellschaft Katholischer Publizisten Deutschlands“ und der CDU. Er schrieb bereits für den „Rheinischen Merkur, „Die Tagespost“ oder der „Frankfurter Allgemeine Zeitung“. Seit 1993 ist er Mitarbeiter der Konrad-Adenauer-Stiftung und Redakteur der christlichen Zeitung „Komma“. (PRO)

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