Chronik eines Flächenbrandes: „Der Skandal war inszeniert“

K o p e n h a g e n (PRO) - Anfang dieses Jahres bestimmte ein Thema die Medien: dänische Karikaturen und der flammende Protest zahlreicher Moslems. Was aus heutiger Sicht schon wieder weit weg scheint, hat vor sechs Monaten eine tiefe Spur in der Medienlandschaft hinterlassen. Das "Süddeutsche Zeitung Magazin" hat in seiner jüngsten Ausgabe den Weg von einem Party-Gespräch in Kopenhagen bis hin zu brennenden Botschaftsgebäuden in Nahost nachgezeichnet.
Von PRO

Angefangen hatte alles auf einer Party in Kopenhagen an einem Sommerabend im Juni 2005, schreiben die beiden Redakteure von „Jyllands-Posten“, John Hansen und Kim Hundesvadt. Der dänische Kinderbuchautor Kåre Bluitgen spricht dort mit einem Journalisten der dänischen Nachrichtenagentur Ritzau. Dem erzählt er, dass er dabei sei, ein Kinderbuch über den Propheten Mohammed zu schreiben. Doch sei es schwierig, Zeichner zu finden, drei hätten bereits abgesagt, weil sie Angst vor erbosten Reaktionen von Islamisten hätten.

In Dänemark schwelt bereits seit Jahren eine öffentliche Diskussion um Ausländerfeindlichkeit und Islamophobie. Offenbar haben Zeichner in Dänemark bereits Angst davor, nur allein Zeichnungen Mohammeds für ein Kinderbuch anzufertigen, weil Moslems sich beleidigt fühlen könnten. Der Nachrichten-Mann wittert eine Story und schreibt eine Meldung. Am 16. September verschickt diese die Agentur Ritzau an die Redaktionen: „Dänische Künstler haben Angst vor Kritik am Islam“. Die Meldung erinnert zugleich an den Mord am niederländischen Filmregisseur Theo van Gogh ein Jahr zuvor und an einen gewalttätigen Überfall auf einen Dozenten der Universität Kopenhagen, der vor seinen Studenten laut aus dem Koran vorgelesen hatte.

Die größte Zeitung Dänemarks, die „Jyllands-Posten“, beschließt, diese Meldung zum Anlass zu nehmen, die Debatte um Meinungsfreiheit und deren Bedrohung durch Islamisten aufzugreifen. Sie bittet alle 40 Mitglieder des Karikaturistenverbands darum, eine Zeichnung von Mohammed anzufertigen, so wie sie ihn sehen. Zwölf Karikaturisten nehmen die Aufforderung an, ihre Werke werden am 30. September 2005 im Kulturteil der „Jyllands-Posten“ abgedruckt.

Von da an nimmt die Geschichte einen brutalen Verlauf. Obwohl die Karikaturen nicht allesamt den Propheten Mohammed „schmähen“, sondern mitunter auch die dänischen Redakteure selbst, und obwohl die Verballhornung Mohammeds von einer „erschütternden Harmlosigkeit“ war, wie es ein „Spiegel“-Autor schreibt, erregen sie den Unmut einiger Moslems. Zunächst nur verhalten, und nur in Dänemark. Doch einige Imame meinen, die Verletzung sei so schwerwiegend, dass man ein Exempel statuieren müsse.

Zehn islamische Organisationen versammeln sich um eine Protestkampagne, die immer größer wird und schließlich den Nahen Osten erreicht. Aus Straßen-Demonstrationen in Kopenhagen werden Morddrohungen und schließlich wütende Proteste in allen wichtigen Städten muslimischer Länder. Diplomaten schalten sich ein, der dänische Premier Anders Fogh Rasmussen verteidigt die dänische Meinungs- und Pressefreiheit, doch dass scheinbar ein ganzes Volk in Rage gerät, kann niemand mehr verhindern.

Inzwischen haben Islamisten zusätzliche, viel schlimmere Karikaturen erfunden. In Saudi-Arabien boykottieren die Menschen dänische Waren. Wenig später gibt es Demonstrationen gegen die Karikaturen in mindestens 13 Staaten. In der indonesischen Hauptstadt Jakarta, in der syrischen Hauptstadt Damaskus, in Beirut und Teheran brennen die Botschaften Dänemarks.

Die beiden Autoren haben akribisch jeden Schritt nachgezeichnet, der für das Entstehen des „Flächenbrandes“ maßgeblich war. Aus der „Chronik eines angekündigten Skandals“ ist ein Artikel geworden, der auch sechs Monate nach den Geschehnissen immer noch lesenswert ist. Weil der „Karikaturen-Streit“ nicht nur dänische Flaggen und Botschaftsgebäude in Flammen hat aufgehen lassen. „Der Karikaturenstreit war objektiv ein Sturm im Wasserglas, subjektiv eine Machtdemonstration und im Kontext des ‚Kampfes der Kulturen‘ eine Probe für den Ernstfall“, schreibt der Autor Henryk M. Broder in seinem neuen Buch „Hurra, wir kapitulieren!“. Er war seiner Meinung nach „ein Vorspiel, eine Art Kostümprobe für Auseinandersetzungen, mit denen Europa in Zukunft rechnen muss, wenn es seine Appeasement-Politik nicht überdenkt“.

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