Christliche Werte in Europa – so nah und doch so fremd

Das Christentum wird in der europäischen Gesellschaft an den Rand gedrängt. Das sagte der Vorsitzende der Österreichischen Bischofskonferenz, Kardinal Christoph Schönborn, am Mittwoch in seiner Rede beim St. Michael-Jahresempfang in Berlin. Trotzdem sollten sich Christen in der säkularen Gesellschaft mit ihren Überzeugungen einbringen, auch wenn sie sich als Minderheit erlebten.
Von PRO

"Zunehmend empfinden sich Christen, die ihr Christentum ernstnehmen, marginalisiert, zum Teil sogar diskriminiert", stellte Schönborn in seiner Ansprache fest. Der "Mainstream" gehe in eine andere Richtung als das Christentum. "Sind seine Werte längst nicht mehr die so oft beschworenen ‚europäischen Werte‘?", fragt der Kardinal. An den Beispielen der Fristenlösung bei Abtreibungen, den Debatten um Sterbehilfe, Embryonen- und Stammzellforschung und gleichgeschlechtlichen Partnerschaften zeigt er, wie sich Überzeugungen und Werte der säkularen europäischen Gesellschaft von denen des Christentums entfernen. Obwohl zu diesen Fragen von kirchlicher Seite vor allem mit dem Naturrecht, der unveräußerlichen Menschenwürde und gerade nicht religiös argumentiert worden sei, sei die kirchliche Position meist auf der Verliererseite.

"Immer mehr erleben sich engagierte Christen als Minderheit", sagte Schönborn. "Dann ist die Versuchung naheliegend, sich, wie Paulus warnend sagt, ‚dieser Welt anzugleichen‘ oder mehr auf die eigene kirchliche Institution und Organisation zu schauen, als auf die ursprüngliche Berufung des Christen in der Welt." Allerdings sei ein angepasstes, "verweltlichtes" Christentum in einer säkularen Gesellschaft uninteressant. Christlichen Werten in der säkularen Gesellschaft Raum zu geben, scheitere meist schon daran, dass vieles in der Kirche schon so säkularisiert sei, dass es profillos und kaum zu unterscheiden sei.

Sehnsucht nach gelebtem Christentum

Den zurückgehenden Einfluss der Kirche auf Gesellschaft, Gesetzgebung und Staat sieht Schönborn nicht nur als Verlust: Er befreie "für das Eigentliche des Christentums, das Evangelium und seine Bezeugung". Das Argument, Religion sei nützlich für die Moral, sie fördere kulturelle Werte und stärke das soziale Verhalten, treffe nicht den Kern von Religion. "Gläubig sind die Menschen nicht, weil es nützlich ist, sondern weil sie an Gott glauben". Schönborn griff in seiner Rede den Appell von Papst Benedikt XVI. auf, dass Christen in aller Freiheit die eigenen Überzeugungen in das gesellschaftliche Miteinander einbringen sollten. Dabei sollten sie noch stärker darauf vertrauen, "dass die selbstlose, interessenfreie Tat des Glaubens oft mehr bewirkt als alle noch so wichtigen gesetzgeberischen Maßnahmen".

Bei aller säkularer Kritik am Christentum: Darin könnte auch die Sehnsucht liegen, es gebe doch etwas wie authentisches, gelebtes Christsein. Insgeheim sei Gläubigen wie Nichtchristen bewusst, dass darin die tragfähigen Wurzeln Europas liegen, meint der österreichische Kardinal. Diesem Christentum sei nur durch die eigene Bekehrung nahe zu kommen.

Am diesjährigen St. Michael-Jahresempfang der Katholischen Kirche nahmen unter anderem Bundeskanzlerin Angela Merkel sowie die Vizepräsidenten des Bundestags Wolfgang Thierse (SPD) und Katrin Göring-Eckhard (Grüne) teil. Ebenso waren der Fraktionsvorsitzenden von CDU/CSU, Volker Kauder, die Bundesminister Wolfgang Schäuble, Annette Schavan und Ronald Pofalla (alle CDU), SPD-Fraktionsvorsitzender Frank-Walter Steinmeier, die Fraktionsvorsitzende der Grünen, Renate Künast, sowie kirchenpolitische Sprecher der Fraktionen anwesend. (pro)

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