Rezension

Die vermeintlich gefährlichen Reich-Gottes-Influencer

Ein ZDF-Beitrag will zeigen, dass christliche Influencer modern auftreten, aber konservative Botschaften verbreiten, die politisch rechts anschlussfähig sind. Doch er verliert sich selbst im Ungefähren. Ein anderer Sender zeigt, wie es besser geht.
Von Jonathan Steinert
Die O'Bros bei ihrem Release-Konzert zu „To be honest“ in der Porsche-Arena in Stuttgart

Was sind eigentlich christliche Werte? Wenn man investigative Journalisten des ZDF fragen würde, dann zählt darunter vor allem, gegen Abtreibung und gegen queere Lebensformen zu sein und ein patriarchales Familienbild zu vertreten. Das legt zumindest ein Beitrag des ZDF-Magazins „frontal“ nahe. Er nimmt sich christliche Influencer vor und kommt zu dem Ergebnis, dass manche von ihnen mit ihren religiös begründeten konservativen Positionen die Brücke zur politischen Rechten schlagen. 

Fast schon obligatorisch für diese Art von Beiträgen ist es, dass die Autorin sich als Homosexuelle ausgibt und um ein Heilungsgebet bittet, das dann mit versteckter Kamera gefilmt wird. Ein ebenso klassischer Bestandteil: Eine Freikirchen-Aussteigerin berichtet davon, wie sie sich von der rigiden Lehre in ihrer Gemeinde eingeengt und kleingehalten fühlte, bis dahin, dass sie Depressionen und Selbstmordgedanken bekam. 

Der Tenor des Beitrags: Vorsicht vor der modernen, hippen Verpackung, die Botschaft ist konservativ und gefährdet potentiell die Demokratie. Zu Wort kommen etwa die O’Bros und Jana Highholder, eingeblendet wird auch ein Video von Leonard Jäger alias „Ketzer der Neuzeit“, der darin seine Unterstützung für AfD-Parteichefin Alice Weidel vor der Bundestagswahl kundtat. 

Der Beitrag schafft keine Klarheit

Die Theologin Maria Hinsenkamp ordnet sie in dem Beitrag einem Netzwerk von Christen zu, die sich für die Ausbreitung des Reiches Gottes einsetzen. Die Herrschaft Gottes, das bedeute, dass christliche Werte nicht nur die einzelnen Gläubigen prägen, sondern auch Wirtschaft, Politik und Medien beeinflussen sollen. Was genau christliche Werte sind, ergründet der investigative Beitrag nicht. Stattdessen fördert er die bekannten Stereotype zutage, die mit konservativen, wahlweise evangelikalen oder fundamentalistischen Christen gern in Verbindung gebracht werden. Ob auch etwa Nächstenliebe, Vergebung oder Achtung der Menschenwürde zu den angesprochenen christlichen Werten gehören? Der Beitrag erwägt diese Frage nicht einmal. 

Dabei versucht er durchaus, zu differenzieren, spricht davon, dass eben nur manche Freikirchen und Influencer solche Positionen verträten. Die Theologin Hinsenkamp erklärt, dass konservativ zu sein nicht das Problem sei. Problematisch werde es da, wo Christen und Gruppen diese Positionen als absolut verträten und andere dagegen dämonisierten. Ein Sektenbeauftragter warnt vor demokratiefeindlichen Elementen, wenn fundamentalistische Christen den Dialog verweigerten und andere Lebensformen nicht mehr respektierten. So weit, so einleuchtend.

Doch all diese Einschränkungen helfen nicht dabei, Klarheit zu schaffen. Denn der Beitrag kann nicht darlegen, wer von den Protagonisten oder welche Freikirche, für die diese angeblich werben würden, nun tatsächlich fundamentalistisch ist und die Demokratie gefährdet oder eine problematische politische Agenda verfolgt. Es bleibt beim Nahelegen – und damit landen dann doch wieder viele in einem Topf. Das ist schade, weil eben das zu beantworten und zu belegen die Aufgabe eines solchen Beitrags wäre. Ansätze, tiefer zu bohren und konkrete Inhalte zu untersuchen, hätte es gegeben. Aber dafür hätte es den richtigen Fokus gebraucht. Das eigentliche Thema, nämlich wie Influencer für Freikirchen werben, wie es in der Überschrift heißt, kommt im Beitrag so gut wie gar nicht vor. Wie es besser geht, einen kritisch-sachlichen Blick auf die Szene zu werfen, zeigt der Deutschlandfunk mit einem Beitrag zum selben Thema.

Falsch gestellte Frage

Stattdessen erscheinen etwa die O’Bros in einem fadenscheinigen Licht, weil sie auf der „Unum“-Konferenz auftraten, wo auch der amerikanische Prediger Bill Johnson sprach, der Trump unterstütze und für „fundamentalistische Hetze gegen LGBTQ-Personen“ bekannt sei. Wofür ist das ein Beleg? Claudia Kaminski vom „Anti-Abtreibungsverein“ Christdemokraten für das Leben – man hätte ihn auch als einen Verein für Lebensrecht bezeichnen können – muss sich für einen Besuch bei einer Konferenz erklären, auf der auch der Republikaner Mike Johnson und der Trump-Unterstützer Peter Thiel auftraten. Was beweist das? 

Außerdem ist die Frage an Jana Highholder falsch gestellt, ob der Einsatz für konservative und christliche Werte nicht zum Einfallstor für politische Radikalisierung werde. Denn es ist ja in vielen Fällen eher andersherum: Politische Akteure bedienen bestimmte Inhalte ihrerseits ganz gezielt, um ein bestimmtes Klientel zu erreichen. 

Schade, dass sich investigative Recherche mit so wenig Handfestem zufrieden gibt. Ein Themenvorschlag sei erlaubt: Wenn es schon um Christen geht, die sich um das Reich Gottes sorgen, könnte sich lohnen, einmal danach zu fragen, was genau es mit diesem Reich Gottes auf sich hat, welche Werte dabei wirklich eine Rolle spielen – und ob das eine Gefahr für die Gesellschaft ist. Recherche in der Bibel ist dabei nicht verboten. Übrigens auch für Christen und gläubige Influencer nicht. 

Helfen Sie PRO mit einer Spende
Bei PRO sind alle Artikel frei zugänglich und kostenlos - und das soll auch so bleiben. PRO finanziert sich durch freiwillige Spenden. Unterstützen Sie jetzt PRO mit Ihrer Spende.

Ihre Nachricht an die Redaktion

Sie haben Fragen, Kritik, Lob oder Anregungen? Dann schreiben Sie gerne eine Nachricht direkt an die PRO-Redaktion.

PRO-App installieren
und nichts mehr verpassen

So geht's:

1.  Auf „Teilen“ tippen
2. „Zum Home-Bildschirm“ wählen