Christliche Helfer im Kreuzfeuer

Täglich erreichen Deutschland neue Horrormeldungen aus Afghanistan. Die Zahl der durch die Taliban getöteten Zivilisten ist dramatisch gestiegen - immer mehr Kinder sterben durch die Hände radikaler Islamisten. Die wenigen Helfer, die sich noch ins Krisengebiet wagen, sind zum großen Teil Christen. Wegen ihres Glaubens geraten sie jedoch ins Kreuzfeuer von Taliban und Medien. So müssen sich viele Christen an zwei Fronten verteidigen: gegen Waffengewalt und Missionierungsvorwürfe. 

Von PRO

Immer mehr Opfer, immer weniger Helfer – so dramatisch ist die Lage im Krisengebiet Afghanistan derzeit. Die Vereinten Nationen melden: Die Taliban töten immer mehr Zivilisten. Die deutsche Christin Daniela Beyer ist nur ein trauriges Beispiel dafür. Im ersten Halbjahr 2010 wurden bei Kämpfen und Anschlägen 25 Prozent mehr Zivilisten getötet als in den ersten sechs Monaten des Vorjahres, die Zahl der getöteten Kinder stieg sogar um 55 Prozent. Für den überwiegenden Teil dieser Opfer, ganze 76 Prozent, sind radikale Muslime verantwortlich. In den ersten sechs Monaten dieses Jahres töteten sie 176 Kinder und verletzten 389 weitere. Das ist mehr als doppelt so viel wie im Vergleichszeitraum 2009.

"Afghanische Kinder und Frauen tragen immer stärker die Hauptlast des Konflikts", warnte der UNO-Sondergesandte Staffan de Mistura laut "Spiegel Online". Sie würden in ihren Häusern und Dörfern öfter als je zuvor getötet und verletzt oder sogar öffentlich hingerichtet. Besonders schlecht ergeht es den Christen im Land. Die Hilfsorganisation "Open Doors" berichtet, dass der Druck auf jene, die Jesus nachfolgen wollen, weiter zunimmt. Obwohl in der Verfassung Religionsfreiheit garantiert werde, sei verboten, was im Widerspruch zu den Überzeugungen und Vorschriften des Islam stehe. Dazu zählt jegliche missionarische Tätigkeit, aber auch die Konversion an sich.

Mittlerweile ist sogar die bloße Anwesenheit christlicher Organisationen unerwünscht. Vor einem Monat habe der stellvertretende Parlamentspräsident Abdul Sattar Khawasi die Verhaftung und öffentliche Hinrichtung afghanischer Konvertiten gefordert, berichtet "Open Doors". Afghanen hätten zudem für die Ausweisung christlicher Organisationen demonstriert. Zwei Werke – "Church World Service" und "Church Aid" – hätten ihre Arbeit auf Anweisung der Regierung bereits einstellen müssen. Auch die Hilfsorganisation "Malteser International" hat ihre Arbeit in Afghanistan derweil komplett aufgegeben. 2005 und 2007 kamen insgesamt drei Mitarbeiter der christlichen Organisation bei Überfällen ums Leben. "Wir konnten die Sicherheitsrisiken nicht mehr tolerieren", sagt ein Sprecher gegenüber pro. Im wohl gefährlichsten Gebiet Afghanistans, der Region um Kundus, ist laut "Spiegel Online" seit November nur noch eine einzige deutsche Hilfsorganisation vertreten.

Islamisten suchen das Medieninteresse

"Viele wollen eigentlich gar nicht weg", sagt der Religionssoziologe Thomas Schirrmacher. Er forscht im Bereich islamischer Fundamentalismus und Christenverfolgung und weiß: Die Taliban nutzen die Macht der Medien, um ihre Ziele durchzusetzen. "Das Hauptinteresse der Islamisten ist es, eine breite Berichterstattung auszulösen, um christliche Hilfsorganisationen zu vertreiben", erklärt er.

Deshalb plädiert er dafür, dass die Medien sich bei der Berichterstattung über Taliban-Anschläge zurückhalten. "Wenn zehn Menschen sterben, wie jüngst in Afghanistan, dann muss berichtet werden, ganz klar. Die Frage ist nur: Wie muss ich berichten?" So thematisiere die Presse immer wieder, wenn Missionare umkämen und stellten ihre Gründe für das Engagement im Land in Frage. "Die eigentliche Ungeheuerlichkeit" werde aber nicht zum Thema gemacht – die Tatsache, dass Christen aufgrund ihres Glaubens verfolgt würden. Würde diese Menschenrechtsverletzung häufiger thematisiert, so Schirrmachers These, könnte es die Organisationen im Land stärken. Derzeit geschehe genau das Gegenteil: Die Medien erzeugten Druck auf christliche Werke, indem sie genau untersuchten, wann eine Organisation missioniere und wann nicht. "Damit stellen sie sich auf die Seite der Taliban", sagt der Wissenschaftler. Nicht Mission an sich sei verwerflich, sondern die Verbrechen derer, die die Mission verböten.

Die "Christoffel Blindenmission" (CBM) ist einer der Kooperationspartner der "International Assistance Mission" (IAM) in Afghanistan. Nach den Anschlägen auf zehn Mitarbeiter der IAM Anfang August, erwägt die CBM derzeit, ihre Außeneinsätze in Afghanistan einzuschränken. Ulrike Loos, Sprecherin der Organisation, findet es legitim, wenn Journalisten nach der Ursache der Konflikte zwischen Taliban und christlichen Mitarbeitern fragen. "Die Schuldfrage darf aber nicht umgekehrt werden", sagt sie gegenüber pro. Selbst wenn Christen in Afghanistan eine eigene Bibel mit sich führe oder von der Motivation hinter seiner christlichen Arbeit berichte, sei das kein Grund, die Helfer zu töten. "Manche Medienberichterstatter neigen dazu, in solchen Fällen etwas spitz zu formulieren", findet Loos. Letztendlich plädiere aber auch die CBM dafür, in Afghanistan nicht zu missionieren, sondern den christlichen Glauben durch "tätige Nächstenliebe" weiterzugeben.

Die meisten Helfer sind überzeugte Christen

"In Afghanistan sind es häufig christlich motivierte Menschen, die humanitäre Nothilfe leisten", erklärt Kurt Bangert, Mitarbeiter von "World Vision". Auch sein Arbeitgeber hat in der Vergangenheit Erfahrungen mit der Macht der Medien gemacht – und mit einer teilweise oberflächlichen Berichterstattung. Fragen nach möglichen Missionierungsversuchen würden immer wieder gestellt, sagt er gegenüber pro. Zuweilen seien diese auch berechtigt, da eine Verquickung von Nothilfe und ideologischer Beeinflussung nicht zulässig sei, weil die Hilfsempfänger in der Regel von den Helfern abhängig seien. "Wenn christliche Organisationen Nothilfe leisten, verbietet es sich von selbst, dabei zu missionieren", sagt er. Das lege schon der Verhaltenskodex des "Roten Kreuzes" fest, an den sich "World Vision" halte und den auch IAM in Afghanistan befolgt. Ganz anders liege der Fall aber, wenn einheimische Werke langfristig in Entwicklungsländern arbeiteten: "Kirchen oder christliche Gruppen haben natürlich auch missionarische Anliegen – warum auch nicht?", meint Bangert. In der Regel unterschieden die Medien nicht zwischen kurzfristiger Nothilfe bei Naturkatastrophen oder Kriegen und dem langfristigen Engagement von Organisationen.

Als "World Vision" im Jahr 2005 auf Sri Lanka Nothilfe leistete, seien die Mitarbeiter des öfteren durch Pressevertreter gefragt worden, ob sie missionierten: "Wir haben uns damals genötigt gefühlt, aus- und nachdrücklich zu sagen, dass wir keine Mission betreiben und Mitarbeiter, die das tun, notfalls auch entlassen." Dabei sei es oft gar nicht so einfach, zwischen christlichem Zeugnis und Hilfe zu trennen. "Auch die Tat allein kann schon missionarisch sein", sagt Bangert. Schließlich erfolge sie häufig aus christlicher Motivation heraus und die müsste niemand verschweigen, wenn danach gefragt werde.

"Schuld sind die Täter, nicht die Opfer"

Trotzdem plädiert der "World Vision"-Sprecher dafür, den christlichen Glauben "weniger mit dem Mund und mehr mit der Tat zu bekennen". Wenn Journalisten allerdings andeuteten, Christen, die Mission betrieben, seien unter Umständen selbst schuld, wenn ihnen etwas zustoße, sei das schlicht falsch: "Schuld an Verbrechen gegen Christen sind, zumindest in Afghanistan, ausschließlich die Täter, nicht die Opfer." Es sei eine himmelschreiende Tragödie, wenn Christen, die ihr ganzes Leben in den Dienst der Armen und Kranken in einem Entwicklungsland gestellt hätten, dafür ermordet würden.

Eine Hilfsorganisation, die noch immer in Afghanistan arbeitet, ist die "Caritas". Mit 17 Mitarbeitern und zahlreichen Partnerorganisationen vor Ort hat das katholische Werk eine Winter- und Traumahilfe auf die Beine gestellt, baut Brunnen, Straßen und Hospitäler. "Wer dort arbeitet, weiß, dass es gefährlich ist", sagt Achim Reinke, ein Sprecher der Organisation. Zu den Sicherheitsvorkehrungen der Mitarbeiter gehört es, das Symbol ihres Arbeitgebers, ein Flammenkreuz, nicht öffentlich zu tragen. Sie führen keine Bibeln mit sich und auch in den Einrichtungen der "Caritas" vor Ort liegen keine Bibeln aus. "Tatsache ist: Wir tun unser Bestes, aber wir können nie sicher sein, dass nichts passieren wird", sagt Reinke. (pro)

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