Der „Marsch des Lebens“ ist für gewöhnlich nicht der Ort für aktuelle politische Statements. Christen und Juden kommen dabei seit zehn Jahren in verschiedenen Städten weltweit zusammen, um gegen Antisemitismus, Rassismus und Israelfeindlichkeit zu demonstrieren. Zentral ist immer die Erinnerung an den Holocaust, begleitet von Schuldbekenntnissen junger Menschen, deren Vorfahren an der Verfolgung von Juden im Dritten Reich beteiligt waren. So war es auch am Donnerstagabend in Berlin. Mehrere hundert Demonstranten schwenkten vor dem Brandenburger Tor Israelflaggen, lauschten den Erinnerungen Überlebender der nationalsozialistischen Schreckenstaten und marschierten anschließend gemeinsam zum Holocaustmahnmal.
„Gott liebt Israel“
Geladener Sprecher war dieses Mal allerdings neben dem israelischen Botschafter Yakov Hadas-Handelsman auch der israelische Minister im Büro des Premierministers, Ayoob Kara. Der Druse nutzte seinen kurzen Auftritt, um die aktuellen diplomatischen Verwerfungen zwischen seinem Chef Benjamin Netanjahu und dem deutschen Außenminister Sigmar Gabriel zu thematisieren. Erster hatte ein Treffen mit Gabriel in dieser Woche abgesagt, weil dieser sich bei seinem Staatsbesuch mit israelkritischen Menschenrechtsorganisationen traf.
Dazu erklärte Kara, das Handeln des deutschen Ministers habe bei ihm Verstimmungen ausgelöst. „Wie kann Deutschland über Israel sagen, dass es ein Demokratiedefizit gibt?“, fragte er und reagierte damit auf die breite öffentliche Kritik an der Absage Netanjahus. „Unsere Feinde sind auch die Feinde Deutschlands“, sagte er. Nicht Israel sei das Problem im Nahen Osten, sondern der Extremismus. „Gott liebt Israel und stellt sich zu Israel“, erklärte er vor teils prominenten Zuhörern wie den Bundestagsabgeordneten Volker Beck (Grüne) oder Steffen Bilger (CDU).
Botschafter Hadas-Handelsman ließ die aktuellen Nachrichten außen vor. Dass es heute noch Antisemitismus gebe, sei eine Schande. „Wer weiß schon, welche Minderheit es als nächstes trifft“, warnte er. Organisator Jobst Bittner, der auch Leiter der freikirchlich-charismatischen Bewegung „Tübinger Offensive Stadtmission“ (TOS) ist, stellte fest: „Schweigen tötet, damals wie heute.“ Judenfeindlichkeit sei wieder fest in der Gesellschaft verankert und äußere sich häufig in Israelkritik. Ziel der Märsche des Lebens sei es deshalb, zu erinnern, zu versöhnen und ein Zeichen gegen Antisemitismus zu setzen.
Die Veranstalter geben an, seit 2007 350 Märsche in 14 Ländern organisiert zu haben. Diese orientieren sich oft an den Strecken tatsächlicher Todesmärsche während des Naziregimes. Die Initiative arbeitet mit Christen verschiedener Kirchen und jüdischen Gemeinschaften zusammen. Doch die Bewegung ist nicht unumstritten. Landeskirchenvertreter kritisierten in der Vergangenheit unter anderem, die Veranstalter verbreiteten einen Glauben an Geister und Dämonen sowie ein fragwürdiges Konzept von Buße und Versöhnung. Andererseits wurde der „Marsch des Lebens“ 2011 bereits durch die israelische Knesset gewürdigt. (pro)
Von: al