Christen in Pakistan: Regierung kann uns nicht schützen

Eine junge Christin steht in Pakistan wegen Blasphemie vor Gericht, am Montag soll das Verfahren fortgesetzt werden. Für das Mädchen, aber auch für ihre christlichen Nachbarn wird das Leben nie wieder sein wie früher. Auf Schutz kann die Minderheit nicht hoffen.

Von PRO

Der Schneider Amin Masih erinnert sich noch lebhaft an jenen Abend im August, als Muslime das Mädchen Rimsha aus seiner Nachbarschaft in Islamabad der Blasphemie bezichtigten. Masih und die etwa 14 Jahre alte, geistig zurückgebliebene Rimsha sind Christen. Wie gefährlich Blasphemie-Vorwürfe in Pakistan sein können, weiß Masih aus eigener Anschauung: Er stammt aus Gojra, wo 2009 sieben Christen in ihren Häusern verbrannten, weil einer ihrer Glaubensbrüder angeblich den Koran entehrt haben soll.

Der Horror aus Gojra hat sich tief ins kollektive Gedächtnis der christlichen Minderheit in Pakistan gebrannt. Auch die Christen in Mehrabadi, dem Armenviertel am Rande der Hauptstadt, in dem Rimsha mit ihrer Familie lebte, wussten, was ihnen angesichts der Vorwürfe gegen das Mädchen drohen könnte. "Wir hatten Angst", sagt Masih. "Die Menschen rannten nur." Wer noch nicht geflohen war, dem wurde spätestens um Mitternacht der Ernst der Lage klar. Dann sei über den Lautsprecher der in Sichtweite von Rimshas Haus liegenden Moschee die Ansage verbreitet worden: "Christen, verlasst diesen Ort, sonst brennen wir Eure Häuser nieder."

Am nächsten Morgen war Mehrabadi frei von Christen. Nach Schätzungen eines Helfers sollen 450 Familien bei Nacht und Nebel geflohen sein. Rimsha war da schon unter Blasphemie-Verdacht festgenommen worden. Sie wurde in ein Gefängnis in der Nachbarstadt Rawalpindi gesperrt. Die Polizei verdächtigt inzwischen einen Imam aus Mehrabadi, Rimsha verkohlte Koran-Seiten untergeschoben zu haben, um die Christen aus der Gegend zu vertreiben. Selbst führende muslimische Geistliche gehen davon aus, dass der Imam sich zum Handlanger der Baumafia machte, die auf das freiwerdende Land spekulierte. Im Nachbarviertel stehen bereits Luxusvillen.

Rimsha wurde nach drei Wochen auf Kaution freigelassen. Die Polizei hat nach eigenem Bekunden keinerlei Beleg für die Vorwürfe gefunden. Rimshas Anwalt Tahir Naveed Chaudhry hofft daher, dass das Verfahren – das an diesem Montag in Islamabad fortgesetzt werden soll – mangels Beweisen eingestellt wird. Doch selbst wenn es so kommen sollte: Ein normales Leben wird Rimsha kaum mehr führen können. In zahlreichen Fällen wurden Angeklagte nach einem Freispruch von wütenden Muslimen gelyncht. Nicht nur für Rimsha, auch für die anderen Christen in Mehrabadi wird nichts mehr sein wie früher.

"Dieser Vorfall hat alles geändert", sagt der Tagelöhner Musabor Masih. Er ist mit seiner Frau und den fünf Kindern geflohen. Zuflucht hat er wie rund 130 andere Familien aus Mehrabadi in einem christlich dominierten Armenviertel namens Hansa Colony gesucht. Er habe sein Fahrrad zurücklassen müssen, das später gestohlen worden sei, sagt der Familienvater. Ohne Fahrrad könne er keine Arbeit finden, daher habe er kein Einkommen mehr. "Das Leben hier ist fürchterlich." Dennoch wolle er nie nach Mehrabadi zurückkehren – dafür sitze die Furcht vor den muslimischen Ex-Nachbarn zu tief.

Die Sorge ist begründet. Selbst ein hoher Offizier der mächtigen Sicherheitskräfte räumt ein: "Unglücklicherweise ist die Regierung nicht in der Lage, Christen zu schützen." Der politische Kommentator Hasan Askari Rizvi sagt, besonders verarmte Christen würden zu Opfern unberechtigter Blasphemie-Vorwürfe. "Wenn ich ein Auge auf das Land eines armen Christen geworfen habe und mich mit einem Mullah verschwöre, dann hat der Christ nur sehr geringe Chancen."

Der Schneider Masih ist mehrere Wochen nach der Flucht zurückgekehrt nach Mehrabadi. Ob er bleibt, hat er noch nicht entschieden. "Ich habe jeden Tag Angst", sagt der 31-Jährige – besonders um seine vier Kinder. Er selber habe 2009 gesehen, wie die Häuser in Gojra brannten. Ob er außerhalb Mehrabadis ein besseres Leben führen könnte, weiß er allerdings nicht. Angehörige religiöser Minderheiten seien in dem muslimischen Land nun einmal benachteiligt, meint Masih. "Pakistan ist ein schwieriges Land für Christen." (Can Merey, dpa)

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