Christen in der Türkei: Kein „Orchideenthema“

Eine Delegation der Unionsfraktion, der auch Kirchenvertreter angehörten, hat von Montag bis Mittwoch Christen der verschiedenen Konfessionen in der Türkei besucht. Auch wenn sich die Lage der Christen in der Türkei insgesamt zwar leicht verbessert habe, forderten die Repräsentanten Ankara zu einem anderen Umgang mit den Christen auf.
Von PRO

nzNach wie vor herrsche in der Türkei ein Klima der Intoleranz gegenüber religiösen Minderheiten, sagten die Delegierten bei einer Pressekonferenz am Donnerstag in Berlin. Die Delegation, der neben dem Vorsitzenden der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Volker Kauder, auch der stellvertretende Fraktionsvorsitzende Johannes Singhammer, der Leiter des Kommissariats der deutschen Bischöfe, Prälat Karl Jüsten, der Bevollmächtigte des Rates der EKD, Bernhard Felmberg, Otmar Oehring vom Hilfwerk "missio" in Aachen, und der Geschäftsführer des Christlichen Medienverbundes KEP, Wolfgang Baake, angehörten, hielt sich vom 31. Mai bis 2. Juni in Istanbul und der Provinz Mardin auf.

Kauder musste die Reise wegen des Rücktritts Horst Köhlers vom Amt des Bundespräsidenten vorzeitig beenden. Nach seiner Rückkehr erklärte er: "Wir müssen mehr Solidarität für bedrängte und verfolgte Christen in der Welt zeigen. Der Einsatz für Religionsfreiheit ist Teil unserer wertegeleiteten Außenpolitik." Kauder sei durch seine Reise zu der Erkenntnis gekommen: "Religionsfreiheit wird in der Türkei nicht in vollem Umfang gewährt."

Die Delegation kam mit Gesprächspartnern fast aller großen christlichen Konfessionen zusammen, der griechisch-orthodoxen Kirche, der chaldäisch-katholischen Kirche, der syrisch-orthodoxen Kirche, den evangelischen Freikirchen sowie den deutschsprachigen katholischen und evangelischen Gemeinden in Istanbul. Ein zentrales Ereignis war die die Reise in die Provinz Mardin, wo sich auch das aus dem 4. Jahrhundert stammende und nun durch Landstreitigkeiten in seiner Existenz bedrohte syrisch-orthodoxe Kloster Mor Gabriel befindet.

Singhammer nannte das mehr als 1.600 Jahre alte Kloster eine "Wiege des Christentums", das von türkischer Seite "in sehr subtiler Form" immer wieder neuen Schikanen oder Rechtsstreitigkeiten ausgesetzt werde. Die wirtschaftliche Existenzfähigkeit und damit auch die religiöse Existenz des Klosters sei nach wie vor gefährdet. Der stellvertretende Fraktionsvorsitzende warnte: "Es droht eine fortschreitende Miniaturisierung türkischer Staatsbürger christlichen Glaubens." Den türkischen Behörden warf er vor, christliche Bauwerke als touristische Sehenswürdigkeiten erhalten zu wollen, aber kein Interesse an der Erhaltung des religiösen Lebens zu haben. Unter anderem forderte er für die christlichen Kirchen die Möglichkeit der Priesterausbildung sowie ein Ende der subtilen Diskriminierung. Singhammer wies darauf hin, dass für Muslime in Deutschland der Bau von Moscheen selbstverständlich ist.

Rechtsstreit um Gottesdienstausübung

Die Delegation erfuhr, dass es Christen nicht gestattet ist, ihren Nachwuchs an Geistlichen auszubilden. Auch Unterricht in der Sprache der Minderheiten dürfe nicht erteilt werden. Die Lage stelle sich zum Teil "dramatisch" dar: Während es am Anfang des 20. Jahrhunderts noch 200.000 Christen im Tur Abdin im Südosten der Türkei gegeben habe, so seien es heute nur noch 3.000. Allein die freikirchlichen Gemeinden seien in den vergangenen Jahren stark gewachsen. Ihnen sei es aber praktisch kaum möglich, neue Kirchen und Gebetsstätten zu errichten.

Der Beauftragte der Deutschen Evangelischen Allianz am Sitz der Bundesregierung, Wolfgang Baake, wies auf die "Vereinigung Protestantischer Kirchen" in der Türkei hin, der etwa 4.000 Mitglieder in 70 Gemeinden angehörten. Die Vereinigung fordere vom türkischen Staat das Recht auf Ausbreitung der Religion und Verkündigung. Dieses Recht sei zwar in der Türkei gesetzlich garantiert, doch gelte etwa in Lehrbüchern die missionarische Tätigkeit als "nationale Bedrohung". Eine Gemeinde kämpfe seit einem Jahr um das Recht auf einen Gottesdienst.

Der Leiter des Katholischen Büros bei der Bundesregierung, Prälat Karl Jüsten, appellierte an die Bundesregierung, sich dafür einzusetzen, dass die Christen in der Türkei noch eine Zukunft hätten. Die Lage der christlichen Minderheiten dürfe kein "Orchideenthema" der politischen Debatte sein, sagte Jüsten.

Der Bevollmächtigte des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Prälat Bernhard Felmberg, kritisierte die seit Jahrzehnten andauernde Schließung des griechisch-orthodoxen Priesterseminars Chalki. Wer theologische Ausbildung in freier Verantwortung einer Kirche verhindere, "der legt die Axt an die Zukunft einer Kirche". Felmberg sprach von einem Teufelskreis: Viele Kleriker seien überaltert, es fehle an geistlicher Ausbildung. Zugleich zeigten Gespräche im Patriarchat in Istanbul tiefe Frustration, weil die Regierung immer wieder Hoffnungen mache, die unerfüllt blieben. (pro)

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