Christen, die Verlierer der arabischen Revolution

Die Wochenzeitung "Die Zeit" hat in ihrer Ausgabe kurz vor dem Weihnachtsfest auf die Situation von Christen im Nahen Osten hingewiesen. In einem Artikel gleich auf den Seiten 2 und 3 schreibt der Autor Jörg Lau über "Die letzten Jünger".
Von PRO

"Dem aufgeklärten Kirchgänger des Westens dürfte schon der Begriff Christenverfolgung unangenehm sein. Aber es gibt tatsächlich wieder Christen, die ihres Glaubens wegen ihr Leben lassen", schreibt Lau. In Europa werde Christentum mit Macht, Reichtum, Imperialismus und Kolonialismus assoziiert. "Doch im Nahen Osten, an den ältesten Stätten ihrer Religion, den historischen Orten der Urgemeinde, sind Christen heute unter Druck, verletzlich, schwach – und in Gefahr."

"Die Zeit" erinnert an das Schicksal der christlichen Minderheiten in Ägypten, im Irak, in Syrien und anderswo im Nahen Osten. In Ägypten würden koptische Christen drangsaliert, täglich würden Christen entführt und Kirchen angegriffen, stellt die Zeitung fest. "Das Neueste ist, dass koptische Intellektuelle wegen Blasphemie eingesperrt werden, wenn sie den Islam kritisieren. Die Christen gehören zu den Verlieren der arabischen Revolutionen."

Die Zeitung nimmt als Beispiel den 20 Jahre alten Ägypter Fady M., der seinen vollen Namen nicht in der Zeitung gedruckt haben möchte. Fast wäre er wie 22 andere Menschen bei einem Bombenattentat in der Neujahrsnacht 2012 vor der Markuskirche und der Petrikirche in Alexandria gestorben. Doch Detonation zertrümmerte sein linkes Bein und verbrannte ihm die Hände. "Fady gehört selber zur Generation der Tahrir-Revolutionäre: Er ist auf Facebook aktiv, besitzt ein Smartphone und twittert. Seine Lebensträume unterscheiden sich in nichts von denen anderer 20-Jähriger. Aber für ihn werden sie sich in Ägypten nicht erfüllen. Er ist auf dem Absprung, wie viele andere junge Christen."

Die Frage stellt sich: Können sich die ägyptischen Christen mit den neuen Machthabern arrangieren? "Sollen die Kopten für einen säkularen Staat kämpfen, obwohl das kaum Chancen hat? Oder ist es klüger, sich hinter Kirchenmauern zu verschanzen?" In Ägypten entscheide sich das Schicksal aller Christen im Nahen Osten, so die "Zeit". "Die Kopten sind hier mit acht von insgesamt 14 Millionen Christen bei Weitem die größte Kirche. Alexandria, die einst kosmopolitische Stadt am Mittelmeer, ist das Zentrum der Koptisch-Orthodoxen Kirche. Aber sie ist auch Geburtsort der Salafisten, jener Radikalgläubigen, die mit Macht das archaische islamische Rechtssystem der Scharia durchzusetzen versuchen."

Angesichts der verschleierten Frauen am Strand von Alexandria sagt Anba Damian, Bischof der Kopten in Deutschland: "Ich hätte nicht gedacht, dass ich einmal sagen würde, Ägypten braucht weniger Religion. Aber wir ersticken unter demonstrativer Religiosität. Luft, Wasser, Sand, Kleidung, Essen, Geld – alles wird hier von Heiligem vereinnahmt."

Die Christen reagierten auf die Islamisierung. "Sie lassen sich ihrerseits Kreuze, Madonnen und Ikonen auf den Körper tätowieren. Die Gesellschaft zerfällt: Die Christen werden ausgegrenzt und ziehen sich gleichzeitig in ihr Ghetto zurück. Fast täglich kommt es zu Übergriffen durch einen religiös aufgeheizten Mob, der Christinnen in der U-Bahn, auf der Straße oder in der Schule gewaltsam die unbedeckten Haare abschneidet." Der Bischof spricht offen von Bedrohung: "Es gibt hier Leute, die uns vertreiben wollen. Die Juden sind schon weg. Sollen wir die Nächsten sein?"

Exodus von Christen aus Syrien und dem Irak

Auch auf das Kloster Mor Gabriel in der Türkei geht der Artikel ein, in dem früher Hunderte Mönche lebten. "Jetzt sind es nur noch drei, plus 14 Nonnen." Im Juli 2012 entschied das Berufungsgericht in Ankara, dass ein großer Teil der Ländereien des Klosters an den türkischen Staat fallen solle.

Über die Situation der Christen in Syrien sagt ein Familienvater: "Ich fürchte, es droht ein Exodus der Christen aus Syrien wie aus dem Irak." Der Mann war Rechtsanwalt in Syrien, die Wohnung in Kamischli habe der Familienvater mitsamt dem gesamten Familienbesitz zurückgelassen. "Ein Cousin soll aufpassen. Aber der ist auch Christ und wird wohl nicht mehr lange bleiben. Dann ist alles verloren, und für die Familie gibt es kein Zurück."

Ein weiteres Thema ist Taybeh, das letzte christliche Dorf in Palästina. "Seit dem blutigen Aufstand der Zweiten Intifada gibt es für Palästinenser aus dem Westjordanland keine Passierscheine mehr für die Heilige Stadt", schreibt "Die Zeit". "Die Christen haften mit für den islamistischen Terror." Die Familie von David Khoury, seit sieben Jahren Bürgermeister des Ortes, habe das Dorf verlassen müssen, "als die israelische Armee 1967 im Sechstagekrieg das Westjordanland besetzte. Er wurde in Boston Ingenieur und brachte es mit Immobilien zu Wohlstand. Die alte Heimat blieb als dumpfer Schmerz in der Brust". Die Regierung unter der Fatah-Partei in Ramallah unterstütze Khoury, sie wolle die Christen im Land halten. "Wenn eines Tages auch hier die Islamisten von Hamas an die Macht kämen, wäre es damit vorbei." (pro)

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