Bundestag stimmt für PID

Es war eine der emotionalsten Debatten im Deutschen Bundestag. Am Donnerstag haben die Parlamentarier entschieden: Die Präimplantationsdiagnostik (PID) wird künftig in Deutschland legal sein. Dafür stimmte eine breite Mehrheit der Abgeordneten.

Von PRO

Die Abgeordneten mussten sich zwischen drei Gesetzesentwürfen entscheiden oder sich enthalten. Für die Vorlage von Ulrike Flach (FDP) und Peter Hintze (CDU) stimmten in zweiter Lesung 306 der 596 anwesenden Abgeordneten. Demnach soll die PID dann zugelassen werden, wenn eine Ethikkommission im Einzelfall zugestimmt hat. In Frage kommen soll die Technik nur für solche Paare, die die Veranlagung für eine schwerwiegende Erbkrankheit in sich tragen oder bei denen mit einer Tot- oder Fehlgeburt zu rechnen ist. Dies ist der am weitesten gehende Vorschlag der drei Gesetzesentwürfe. Eine weitere Abgeordnetengruppe um Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU), René Röspel (SPD) und Priska Hinz (Grüne) wollte das Verfahren "grundsätzlich" verbieten, in Ausnahmefällen aber "für nicht rechtswidrig" erklären. Möglich sollte eine PID nur dann sein, wenn die erbliche Vorbelastung der Eltern "mit hoher Wahrscheinlichkeit" eine Schädigung des Embryos erwarten lässt, "die mit hoher Wahrscheinlichkeit zur Tot- oder Fehlgeburt führt". Dafür stimmten 58 Abgeordnete. Katrin Göring-Eckardt (Grüne) und der Johannes Singhammer (CSU) sprachen sich in ihrem Gesetzentwurf für ein striktes Verbot der PID aus. Darauf entfielen 228 Stimmen. In dritter Lesung galt es dann noch darüber abzustimmen, ob die Zulassung letztgültig eine Mehrheit bekommen sollte: 326 Abgeordnete stimmten dafür.

"Emanzipation von der Natur"

Bei der Präimplantationsdiagnostik testen Mediziner laut einer Erläuterung der "Deutschen Presse-Agentur" (dpa) Embryonen auf Erbkrankheiten oder Chromosomendefekte. Dem geht eine künstliche Befruchtung außerhalb des Mutterleibs voraus. Zeigt sich dabei eine mögliche Krankheit, wird der Embryo gegebenenfalls nicht in den Mutterleib eingesetzt. Vor allem Krankheiten, die entstehen, wenn ein Mensch zu viele oder zu wenige Chromosomen (Erbgutträger) hat, können durch die PID erfasst werden. Dazu gehört das Down-Syndrom. Aufwendiger sind Untersuchungen auf einzelne veränderte Gene, mit denen sich beispielsweise Muskelschwund, Lungen- und Stoffwechselkrankheiten oder Bluterkrankheit feststellen lassen.

Trotz des am Ende noch recht eindeutigen Ergebnisses, haben sich die Abgeordneten des Bundestages ihre Entscheidung wohl alles andere als leicht gemacht. Auch bei der zweiten Lesung im Bundestag zeigten sich die meisten Redner persönlich betroffen und bewegt. Ulrike Flach (FDP) erklärte, "die Zulassung der PID wäre kein Dammbruch", weil sie sich auf wenige hundert Fälle im Jahr beschränken würde. Peter Hintze (CDU) sagte, "Zivilisation bedeutet Emanzipation von der Natur" mit Hilfe der gottgegebenen Vernunft und verwies auf Skandinavien, wo seit zwei Jahrzehnten die PID erlaubt sei und Behinderte dennoch nicht systematisch diskriminiert würden. Der Embryo in der Petrischale dürfe nicht höher gewichtet werden, als eine Frau in einer Notsituation. Deshalb sei er gegen eine "Ethik der Strafe" und für eine "Ethik der Hilfe".

Patrick Meinhardt (FDP) begründete seine Entscheidung für die PID mit den Vorgaben der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), der naturwissenschaftlichen Akademie Leopoldina und des Ethikrates. Alle Gremien hatten sich bereits im Vorfeld für die Legalisierung der PID ausgesprochen. Auch er sei "überzeugt, dass die Menschen in unserem Land verantwortungsvoll mit der PID umgehen". Kerstin Griese (SPD) verwies auf das christliche Menschenbild und erklärte: "Erst zusammen mit der Mutter entsteht menschliches Leben". Die PID sei deshalb ethisch hinnehmbarer als eine Spätabtreibung. Ursula von der Leyen (CDU) fragte: "Auf wessen Schultern lastet am Ende die Verantwortung?", um selbst zu antworten: Es seien die Eltern, die die "Wucht des Schicksals" am eigenen Leib spürten. Daher müsse man sie entscheiden lassen. Jerzy Montag (Grüne) betonte, die PID sei "kein Spaziergang". Das erklärte auch Steffen Bockhahn (Linke). Zu Tränen gerührt plädierte er für die Freigabe der PID. Frauen würden sich bei der Methode über Wochen unsäglichen Strapazen aussetzen, nähmen Hormone, ließen sich Eizellen entnehmen und quälten sich schließlich mit dem Abwarten auf das Ergebnis. Es sei nicht davon auszugehen, dass diese Frauen eine Entscheidung für die PID leichtfertig träfen. Karl Lauterbach (SPD) erklärte, der Embryo sei erst mit der Einnistung in den Mutterleib als Mensch zu betrachten. "Religiöse Positionen, können nicht Grundlage der Gesetzgebung sein", sagte er weiter. Ein Dammbruch sei längst mit der Pränataldiagnostik geschehen, die es zulässt, ungeborene Kinder auf Krankheiten zu untersuchen.

"Wir sind nicht Gott!"

Doch die PID hatte auch namhafte Gegner: Wolfgang Thierse (SPD) erklärte, eine Zulassung wäre ein "fundamentaler Paradigmenwechsel", da dadurch "eine Qualitätsüberprüfung menschlichen Lebens" ermöglicht werde. Das sei keinesfalls eine "Ethik der Strafe", wie Hinze betont hatte, sondern "eine Ethik der Menschenwürde". "PID verhindert in Einzelfällen Leid, aber auf jeden Fall verhindert sie menschliches Leben", führte Thierse weiter aus. Dorothee Bär (CSU), die erst kürzlich ihr zweites Kind auf die Welt gebracht hat, fragte: "Wer spricht für die ungeborenen Kinder?" Sie selbst sei während ihrer Schwangerschaft oft gefragt worden: Hast du denn alles menschenmögliche getan, um ein gesundes Baby auf die Welt zu bringen? Es sei nicht zu leugnen, dass durch die PID ein gesellschaftlicher Druck auf die Mutter entstehen werde. "Wir sind nicht Gott", sagte Bär. Auch deshalb sei sie gegen das "Prinzip Baukasten" in der Reproduktionsmedizin. Katrin Göring-Eckardt (Grüne) verwies auf das Selbstbestimmungsrecht der Frau: Durch die PID würde zum einen die Illusion erzeugt, ein gesundes Kind garantieren zu können, zum anderen führe die Legalisierung zu gesellschaftlichem Druck. Pascal Kober (FDP) erklärte, er wolle kein Expertengremium dazu ermächtigen, zu entscheiden, welches Leben mehr oder weniger zu achten sei.

Volker Kauder (CDU) sagte: "Heute geht es darum, dass die Ethik des Lebens sich durchsetzt." Er warnte vor den "brutalen Konsequenzen" einer "Umwertung" der Menschenrechte. Andrea Nahles (SPD) sprach sich ebenfalls gegen eine genetische Qualitätskontrolle der Embryonen aus. Sollte die PID erlaubt werden, würde das, was als Wahlmöglichkeit verkauft werde, zum Zwang. Die Frage: "Haben Sie sich denn nicht genetisch beraten lassen?", könnte mit der Verbreiterung des medizinisch Zugelassenen zur Standardfrage an Mütter in Deutschland werden, fürchtet sie. Birgitt Bender (Grüne) berichtete von einem Paar, das durch eine Hormonbehandlung im Vorfeld der PID die Möglichkeit verloren hat, Kinder zu bekommen und erklärte: "Mit der PID sinkt die Wahrscheinlichkeit, überhaupt ein Kind zu bekommen, auf unter 20 Prozent." Ilja Seifert (Linke) stellte fest: "Es gibt keine perfekten Menschen", und weiter: "Was hier als medizinischer Fortschritt daher kommt, ist geeignet, Illusionen zu nähren, dass es irgendwann doch perfekte Menschen gibt, ewige Gesundheit, ewiges Leben." Seifert selbst ist gehbehindert und auf einen Rollstuhl angewiesen. Nicht die Zeugung im Reagenzglas sei die echte Alternative für genetisch vorbelastete Eltern, sondern eine Adoption.

EKD reagiert mit Kritik

Schon wenige Minuten nach der Entscheidung, reagierte die EKD mit Kritik. Der Ratsvorsitzende Nikolaus Schneider würdigte, dass in Deutschland nun Rechtssicherheit herrsche. Allerdings halte er die Freigabe der PID für "zu weit gehend". Er hätte eine Zulassung der PID nur für den Ausnahmefall einer mit großer Wahrscheinlichkeit drohenden Tot- oder Fehlgeburt persönlich vorgezogen, teilte Schneider mit. Im "Hamburger Abendblatt" (Donnerstagsausgabe) hatte er im Vorfeld erklärt, die PID sei keine Selektion, wenn es darum gehe, Embryonen zu identifizieren, die überhaupt lebensfähig sind. "Ich möchte keine Haltung einnehmen, die von Misstrauen gegenüber Medizinern und Eltern geprägt ist. Wir haben allen Grund, ihnen Vertrauen entgegenzubringen." Er würde der "eng konditionierten Zulassung" der Präimplantationsdiagnostik zustimmen.

Die Deutsche Bischofskonferenz teilte mit, sie bedaure die Entscheidung zutiefst. "Umso mehr drängen wir nun mit Nachdruck darauf, die im Gesetz erwähnten Ausnahmefälle, in denen die PID nicht rechtswidrig sein wird, eng zu umgrenzen, um die willkürliche Anwendung und die Gefahr einer immer weiteren Ausdehnung der Anwendungsfälle der PID auszuschließen", hieß es weiter.

Evangelische Allianz: "Trauer über die unverständliche Entscheidung"

Der Generalsekretär der Deutschen Evangelischen Allianz, Hartmut Steeb, zeigte sich traurig "über die unverständliche Entscheidung des Deutschen Bundestags". Es sei offenbar nicht gelungen, der dadurch ermöglichten Selektion von Menschen in lebenswertes und nicht lebenswertes menschliches Leben Einhalt zu gebieten. Er habe kein Verständnis, dass ein solcher Beschluss trotz des hohen Grundwertestandards des Grundgesetzes möglich sei. "Wenn doch nach Artikel 1 des Grundgesetzes die ‚Würde des Menschen unantastbar ist‘ und sie ‚zu achten und zu schützen Verpflichtung aller staatlichen Gewalt‘ ist, darf ein solcher Beschluss gar nicht gefasst werden können", teilte Steeb mit. Er hoffe darauf, dass die Christen und christlichen Gemeinden neu und verstärkt die Würde für jeden einzelnen Menschen betonen "und durch Wort und Tat dazu helfen, behinderte und kranke Menschen zu unterstützen und auch Perspektiven für ein Leben mit Behinderungen aufzuzeigen". Ferner hoffe er auf einen neuen Schub, die Fragen des Lebensschutzes für jeden Menschen grundsätzlicher anzugehen. (pro)

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