Am Freitag hat der Deutsche Bundestag nicht wie vorgesehen über die Besetzung von Richterstellen am Bundesverfassungsgericht entschieden. Die dazu vorgesehenen Tagesordnungspunkte wurden auf Antrag der Regierungsparteien sowie der Grünen von der Tagesordnung abgesetzt. Zuvor war die Sitzung für längere Zeit unterbrochen, weil sich die Fraktionen zu Beratungen zurückziehen wollten.
Vor der Abstimmung darüber, ob die Wahlen von der Tagesordnung gestrichen werden sollten, gab es eine Aussprache darüber. Dirk Wiese (SPD) kritisierte die zugespitzte Debatte um das oberste Gericht. Die Kritik, die in den vergangenen Tagen an Frauke Brosius-Gersdorf, einer der Kandidatinnen, laut wurde, bezeichnete er als „Hetztkampagne“ gegen eine hochangesehene Juristin, die über jeden Zweifel erhaben sei.
Die Staatsrechtlerin steht bei den Unionsparteien, der katholischen Kirche und Lebensrechtsorganisationen vor allem wegen ihrer Haltung gegenüber dem Lebensschutz und zu Fragen der Abtreibungen in der Kritik. Brosius-Gersdorf war stellvertretende Koordinatorin der von der vorigen Bundesregierung eingesetzten Kommission zur reproduktiven Selbstbestimmung und Fortpflanzungsmedizin. In einer Anhörung zur Abschaffung von Paragraf 218 erklärte sie, es gebe gute Gründe dafür, dass die Garantie der Menschenwürde erst ab Geburt gelte. Der SPD-Politiker Wiese sprach davon, dass „sogenannte Lebensschützer“ und rechte Nachrichtenplattformen die Debatte um die Besetzung befeuert hätten.
Der parlamentarische Geschäftsführer der AfD-Fraktion, Bernd Baumann, erkannte in der Absetzung der Tagesordnungspunkte die „absolute Instabilität“ der Regierung. Die Personalie Brosius-Gersdorf habe das Ansehen des Bundesverfassungsgerichtes beschädigt. Der Union warf er vor, links-grüne Politik fortzusetzen, und forderte die Fraktion heraus: „Wir wollen wissen, wo Sie stehen.“ Die AfD stimmte schließlich als einzige Fraktion gegen die Absetzung der Wahlen.
Bundesverband Lebensrecht begrüßt die Entscheidung
Vonseiten der Union bedauerte Steffen Bilger (CDU/CSU), dass die Debatte über die Richterwahl in Teilen „jegliches Maß“ verloren habe. Er betonte, Bewerber um das höchstrichterliche Amt sollten „über jeden fachlichen Zweifel erhaben sein“. Dies sei nun nicht mehr gegeben, erklärte Bilger. Die Fraktionsspitze der Union hatte am Morgen der SPD mitgeteilt, die Wahl absetzen zu wollen, weil der Verdacht aufkam, dass Brosius-Gersdorf in ihren Arbeiten zur Promotion und Habilitation plagiiert haben könnte.
Britta Haßelmann, Fraktionschefin der Grünen, attackierte in ihrer Rede den CDU/CSU-Fraktionsvorsitzenden Jens Spahn. Er habe das Parlament in eine „unsägliche Situation“ gebracht. Spahn trage die Verantwortung für das Debakel und den erlittenen Schaden für das Gericht. Haßelmann attestierte Spahn „Unfähigkeit“ und unterstellte der Union, sie habe offenbar auf rechte News-Portale Einfluss genommen. Heidi Reichinnek (Linke) sprach von „rechte Narrativen“ und „haltlosen Vorwürfen“ von Rechtspopulisten gegen die Juristin. Am Horizont zeichne sich immer stärker die schwarz-blaue Koalition ab.
Die am Freitag abgesetzten Tagesordnungspunkte sahen den von der Union nominierten Richter am Bundesarbeitsgericht, Günter Spinner, und die beiden von der SPD vorgeschlagenen Rechtsprofessorinnen Brosius-Gersdorf und Ann-Katrin Kaufhold zur Nachbesetzung von drei Richterstellen am Bundesverfassungsgericht vor. Die Wahl soll nun nach der Sommerpause des Parlaments stattfinden.
Der Bundesverband Lebensrecht begrüßte, dass „viele Abgeordnete in letzter Minute ihrem Gewissen folgten“. Dass jedoch nicht die Positionen der Kandidatin Brosius-Gersdorf, sondern angebliche Plagiate zur Absetzung der Wahl führten, bezeichnete die Vorsitzende des Verbandes, Alexandra Maria Linder, als „ein peinliches Trauerspiel“. Dem SPD-Abgeordneten Wiese warf Linder vor, mit seinen Äußerungen über Lebensschützer „seriöse demokratische Debatten mundtot zu machen“.