Wullf sagte am Sonntag bei den Feierlichkeiten zur Deutschen Einheit in der "Bremen Arena", er sei "auch 20 Jahre später" von großer Dankbarkeit erfüllt. Er dankte den Menschen, welche die Einheit möglich gemacht hätten: Bürgerrechtlern, die beharrlich der Diktatur Widerstand geleistet hätten, wie die verstorbene Bärbel Bohley, oder den polnischen Arbeitern, die Papst Johannes Paul II. im Rücken gehabt hätten, der vor Ort "Fürchtet Euch nicht" gepredigt habe. "Aus zwei Staaten wurde einer. Das war nicht ohne Probleme. Aber es gab viel Solidarität", sagte Wulff. Er erinnerte daran, dass die Ostdeutschen ihr Leben gewissermaßen von Neuem beginnen mussten. "Sie haben es getan. Mit einer unglaublichen Bereitschaft zur Veränderung."
Auf die Leitfrage "’Deutschland, einig Vaterland‘ – Was heißt das heute?" antwortete Wulff, Deutschland sei ein freiheitliches Land, das von Vielfalt lebe, "von unterschiedlichen Lebensentwürfen, von Aufgeschlossenheit für neue Ideen". Diese Vielfalt zu schätzen sei heute Aufgabe der "Deutschen Einheit".
Er sehe sich auch als Präsident der Muslime in Deutschland, betonte Wulff, der seine Rede mit den Worten "Gott schütze Deutschland" abschloss. Es spiele keine Rolle, woher jemand komme, sondern, wohin jemand wolle. "Wir haben erkannt, dass Gastarbeiter nicht nur vorübergehend kamen, sondern dauerhaft blieben. Wir haben erkannt, dass Einwanderung stattgefunden hat, auch wenn wir uns lange nicht als Einwanderungsland definiert und nach unseren Interessen Zuwanderung gesteuert haben. Und wir haben erkannt, dass multikulturelle Illusionen die Herausforderungen und Probleme regelmäßig unterschätzt haben." Dennoch sei es Konsens, "dass man Deutsch lernen muss, wenn man hier lebt".
Wulff nannte jedoch auch Punkte, bei denen "Nachholbedarf" bestehe: "Integrations- und Sprachkurse für die ganze Familie, mehr Unterrichtsangebote in den Muttersprachen, islamischen Religionsunterricht von hier ausgebildeten Lehrern." Deutschland dürfe Zugehörigkeit "nicht auf einen Pass, eine Familiengeschichte oder einen Glauben" verengen. "Das Christentum gehört zweifelsfrei zu Deutschland. Das Judentum gehört zweifelsfrei zu Deutschland. Das ist unsere christlich-jüdische Geschichte. Aber der Islam gehört inzwischen auch zu Deutschland."
Der Bundespräsident fügte hinzu: "Wir erwarten zu Recht, dass jeder sich nach seinen Fähigkeiten einbringt in unser Gemeinwesen." Wulff zitierte die Berliner Jugendrichterin Kirsten Heisig mit den Worten: "Unser Sozialstaat ist kein Selbstbedienungsladen ohne Gegenleistungsverpflichtung." Wichtig sei es, bei den Kindern anzufangen. "Kein Kind soll ohne gute Deutschkenntnisse in die Schule kommen. Kein Kind soll die Schule ohne Abschluss verlassen. Kein Kind soll ohne Berufschance bleiben. Es sind unsere Kinder und Jugendlichen, um die es hier geht. Sie sind das Wertvollste, was wir haben."
Lob vom Zentralrat der Muslime
Der Vorsitzende des Zentralrats des Muslime in Deutschland, Aiman Mazyek, lobte die Rede des Bundespräsidenten zur Einheit. "Die Worte des Präsidenten sind ein klares, deutliches und wichtiges Signal für alle Muslime in Deutschland", sagte Mazyek gegenüber der "Bild"-Zeitung. " Wulffs Rede war ein Zeichen, dass die Muslime keine Bürger zweiter Klasse sind." In einem Interview mit der "Berliner Zeitung" erklärte Mayzek: "Um die innere Einheit zu erreichen, müssen wir noch ein beträchtliches Stück Weg zurücklegen. Das gilt eben nicht nur für das Zusammenwachsen zwischen Ost und West, sondern auch für das Zusammenwachsen von unterschiedlichen Kulturen und religiösen Anschauungen." In Deutschland gebe es derzeit wirtschaftliche und soziale Unsicherheiten. Da bestehe immer die Gefahr, dass die Menschen auf Populisten und Scharlatane hereinfallen, die einfache Lösungen anbieten.
Dank an Gott für die Wende
Vor den Feiern in der "Bremen Arena" fand im Bremer Dom ein ökumenischer Gottesdienst statt, an dem neben Wulff auch Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) sowie 1.000 weitere Gäste teilnahmen. Die Feier stand unter dem Motto "Früchte der Gerechtigkeit" und im Zeichen des Erntedankfestes. In den Predigten und Fürbitten spiegelte sich der Dank an Gott für seine Gaben auch im Dank für Wiedervereinigung wider. "Denn unglaublich vieles ist in den zwei Jahrzehnten gesät und eingebracht worden an Einsatz, an Bereitschaft zur Erneuerung, an Willen zum Aufbau und zur Gestaltung der Zukunft, und eben an Geld und Gut", sagte Bischof Franz-Josef Bode. "Manches ist auch unter Dornen geraten, wurde überwuchert von Profitgier, von der Herrschaft des Marktes, von alten und neuen Verstrickungen der Macht, vom Gestrüpp undurchsichtiger Machenschaften." Trotzdem sollten die Menschen "dankbar sein für das Geschenk dieser Wende". (pro)