Buch: „Ende des Bösen“ oder „Ende der Religion“?

Warum ist der Mensch nicht nur schlecht, sondern auch gut? Der Bonner Wissenschaftsjournalist Rolf Degen hat ein Buch geschrieben, das zeigt, wie sehr das gute Handeln in der Natur des Menschen liegt. Ein Buch über das "Ende der Religion", wie ein Journalist der Tageszeitung "Die Welt" mutmaßt, ist es deswegen jedoch nicht.
Von PRO

„Das Ende des Bösen“ will mit dem üblichen Urteil der Naturwissenschaft aufräumen, der Mensch sei von Grund auf schlecht, und nur die Gesetze machten ein soziales Miteinander möglich. „Bisher hat die Wissenschaft kein gutes Haar am Menschen gelassen“, heißt es in der Buchankündigung. Nach der Lehre der Evolutionsbiologie gelte schlicht das Recht des Stärkeren. „Warum ist der Mensch trotzdem nett, hilfsbereit, solidarisch, gar moralisch?“, hat sich Degen gefragt.

In seinem Buch, das im Oktober 2007 bei Piper erschienen ist, gibt Degen Beispiele aus Naturwissenschaft, Psychologie, Soziologie und Ökonomie dafür, dass „die Moral in den Genen steckt“. Der studierte Psychologie, Soziologie und Publizistik ist Autor des 2000 erschienenen „Lexikons der Psycho-Irrtümer“, in dem er „Pseudotheorien“ in der populärwissenschaftlichen Diskussion über psychologische Phänomene anprangerte. Degen schreibt unter anderem für die „Zeit“, die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“, „Bild der Wissenschaft“ und „Psychologie heute“.

Missverstandener Buchtitel

Degen schreibt in seinem kürzlich erschienenen Buch vom „Ende des Bösen“, doch ein Autor der Tageszeitung „Die Welt“, der das Buch vor kurzem rezensierte, geht noch einen Schritt weiter. Unter der Überschrift „Warum Religion überflüssig ist“ schreibt er, das Buch „Das Ende des Bösen“ zeige deutlich, dass die Moral des Menschen in seiner Natur verankert sei, und damit seien Religionen im Grunde unnötig. Das Buch Degens enthalte daher „mindestens soviel atheistischen Sprengstoff wie die Bücher von Richard Dawkins oder Christopher Hitchens“, schreibt Michael Miersch, der damit Bezug nimmt auf die zwei berühmtesten Vertreter des „neuen Atheismus“. Dabei gehe es in Degens Buch vordergründig gar nicht um Religion, stellt er fest. Doch wer etwas über das „Ende des Bösen“ schreibt, berührt unmittelbar auch das Thema Religion.

Bislang schien uns der Darwinismus mit seiner Grundthese zu lehren: Alle Lebewesen sind Egoisten, gesteuert von Genen, die sich reproduzieren wollen. „Diese Sichtweise auf Natur und Menschen fügte sich bestens ins Weltbild der Religionen“, schreibt „Welt“-Autor Miersch. „Ohne Gott würde Mord und Totschlag herrschen, tönt es von den Kanzeln. Erst Moses mit seinen Gesetzestafeln und Jesus mit seiner Bergpredigt hätten dafür gesorgt, dass aus Wilden humane Wesen wurden, die fürs Rote Kreuz spenden und den Sitzplatz freigeben, wenn Greise den Bus betreten. (…) Doch es bleiben Zweifel am segensreichen Wirken der Gottesverehrung. Denn schließlich herrschen in Teilen der Erde nach wie vor Mord und Totschlag – oft angefacht von Religionen.“

Religion reduziert auf Moral

Während der Wissenschaftsautor Degen darlegt, dass der Mensch längst nicht so egoistisch sei, wie ihn die Naturwissenschaft öfters darstellt, „zerfalle“ damit nach Ansicht Mierschs „ganz nebenbei“ auch „der Glaube an die Notwendigkeit von Religion“. Denn, so Miersch, schon vor Moses, vor dem Übergeben der göttlichen Gesetze, habe es Gutes auf der Welt gegeben, unter Menschen und unter Tieren.

Die Wissenschaft habe schon vor längerem gezeigt, dass der Mensch gar nicht so böse sei. Psychologen hatten etwa Versuche durchgeführt, bei denen die Versuchspersonen um echtes Geld spielten; sie konnten dabei Geld gewinnen, indem sie entweder egoistisch spielten oder kooperativ waren. „Zur Verwunderung aller Misanthropen benahmen sich die Versuchspersonen in der Regel viel sozialer und großzügiger als plausibel wäre, wenn uns die reine Ichsucht in den Genen steckte“, war laut Miersch die Erkenntnis der Versuchsleiter. Die meisten Menschen wollten unfaires Handeln bestrafen, auch wenn sie selbst dadurch Verluste erlitten.

Nun kann man dieses Handeln freilich als „sozial“ bezeichnen, aber auch als „gut“? Immerhin diente die Bestrafung von unsozialem Handeln der Stärkung der sozialen Zusammengehörigkeit, auf die der Geldhandel aufbaute. Letztendlich ist es also auch nicht ganz uneigennützig, wenn Teilnehmer eines Wirtschaftssystems unfaires Handeln bestrafen wollen. Auch bei Raben, so argumentiert Miersch, sei solches Verhalten laut Degen zu beobachten, was zeige, dass diese Normen auch in der Tierwelt wichtig seien. Ein Rabe hacke auf einem anderen herum, wenn dieser Futter gestohlen habe. „Das erstaunliche daran: Der bestrafende Rabe hat keinen Vorteil von seiner Aktion, außer dass die soziale Norm insgesamt gestärkt wird“, schreibt Miersch. Der in diesem Satz versteckte Widerspruch kann freilich nicht als Grundlage für eine Argumentation gegen die Religion dienen: Das Aufrechterhalten sozialer Normen dient letztendlich jedem Mitglied einer Gesellschaft, sei es in der tierischen Welt oder in der menschlichen. Religion aber ist Hinwendung zu Gott, was mit sozialen Gesetzen zunächst einmal nichts zu tun hat. Die erwähnten Zehn Gebote beinhalten eben nicht nur Vorschläge für ein besseres Miteinander der Menschen, sondern sind Erklärungen eines Schöpfergottes an sein Volk, die bei Nichteinhaltung an Folgen geknüpft sind.

Soziale Fledermäuse brauchen keine Religion

Das Buch Degens ist der Versuch, Regeln aus der Tierwelt und Erkenntnisse der Soziologie auf Religion zu übertragen. Dass dies nicht gut gehen kann, davon ist vielleicht nur derjenige überzeugt, der Gesetze als von Gott gemacht betrachtet, und nicht vom Menschen, seien es Naturgesetze oder solche, nach denen Menschen „funktionieren“.

Wenn Vampir-Fledermäuse das Blut ihrer Wirtstiere nicht vollständig selbst verzehren, sondern auch ihren hungrigen Artgenossen weitergeben, dient das einzig der Arterhaltung. Einem höheren Zweck, etwa der Anbetung und Gehorsam gegenüber einem höheren Wesen, dient dies sicherlich nicht. Religion aber ist nicht bloß ein Gesetzbuch zum schöneren Über- und Zusammenleben, sondern eine wie auch immer geartete Anleitung der Hinwendung zu Gott.

Der natürliche Drang zum Altruismus, also zum Verzicht des eigenen Wohls zugunsten von Artgenossen, werde laut Degen auch am Werben des einen Geschlechtes um das andere deutlich. „In allen menschlichen Kulturen überprüfen die angehenden Liebespaare sich gegenseitig auf eine Reihe von sozialen Tugenden. Wer sich geizig und egoistisch zeigt, verringert in der Regel seine erotischen Chancen.“ All dies seien Zeichen einer „evolutionär entstandenen Moral“. Dazu gehöre auch die natürliche, nicht unterdrückbare Reaktion des Menschen auf Schuld: „Die Fähigkeit unserer Augen, Rot und Grün zu unterscheiden, entstand möglicherweise, um Schamesröte wahrzunehmen.“

Ein Autor der Sendung „Wissenschaft im Brennpunkt“ vom Deutschlandfunk, der Degens Buch ebenfalls rezensierte, räsoniert: „Eigentlich ist es eine Selbstverständlichkeit. Das Gute gehört genauso zum Wesen des Menschen wie das Böse.“ Und er fasst zusammen: „Religionen haben (die) Ethik nicht erfunden, sie fassen sie lediglich in Worte und Gebote.“ Ein „Ende der Religion“ bedeutet dies jedoch nicht.

Rolf Degen: „Das Ende des Bösen“. Piper, München. 304 Seiten, 19,90 Euro

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