Motion hat einen Lehrstuhl für kreatives Schreiben am „Royal Holloway“-College an der Universität London inne. Außerdem ist er „Poet Laureate“, ein in den USA und Großbritannien vom Staat ausgezeichneter Dichter. In England wird dieser Poet vom Premierminister vorgeschlagen und von der Königin ernannt. Der Titel gilt auf Lebenszeit und kommt dem Amt eines Hofdichters nahe. Der „Poet Laureate“ verfasst Gedichte für offizielle Anlässe.
In seinem Unterricht habe er immer mehr eklatante Lücken bei seinen Studenten im Wissen um biblische Geschichten festgestellt, erklärt er. Zu viele Studenten kämen an die Uni, um Englische Literatur zu studieren, würden aber kaum eine Figur aus der Bibel kennen, warnte der Dichter.
„Kinder sollten die Bibel lesen, einfach weil sie voll von hervorragenden Geschichten ist. Sie sagen uns viel über die menschliche Natur und immer wiederkehrende Verhaltensmuster.“ Motion fordert deshalb Kurse an den Universitäten, in denen die Geschichten der Bibel behandelt würden. Diese seien „ein wichtiges Stück kulturelles Gepäck, ohne dass es ihnen schwer fallen wird, Literatur ganz zu verstehen“, so Motion gegenüber „The Guardian“.
Von Shakespeare bis Milton – ohne Bibel kein Durchblick
„Wenn ich meine Studenten nach irgendetwas aus der Bibel frage, wissen sie einfach nicht Bescheid. Ich werfe ihnen das nicht vor, aber ich sehe ein wirkliches Problem im Erziehungssystem, wenn es erlaubt, dass diese großen Geschichten verschwinden. Sie sind ein wichtiges Stück des Kulturgutes.“ Wer die Bibel nicht kenne, könne auch kein Verständnis für Literatur aufbringen, „von John Milton bis TS Eliot“. Die Bergpredigt, die Kreuzigung oder den Sündenfall hätten Geschichtenerzähler seit jeher beeinflusst; auch ein Text wie das Buch Ruth seien essentiell wegen der „Schönheit des Textes“.
Einmal habe Motion das Gedicht „Paradise Lost“ von John Milton mit seinen Studenten durchnehmen wollen. Er stellte aber fest, dass diese wenig über die Geschichte des Sündenfalls wussten, was den Unterricht schwierig machte. „Das waren alles intelligente Studenten, sie arbeiteten hart, sie hatten gute Noten, aber ihr Wissen von den großen alten Geschichten war nur skizzenhaft.“
Keine religiöse Indoktrination gefordert
Er sei nicht für religiöse Indoktrination, betonte Motion, aber wer sich mit Schriftstellern befasse, müsse auch alle die großen Geschichten kennen, die diese beeinflusst hätten. „Ich schlage nicht vor, dass jeder als Kind gezwungen werden sollte, in die Kirche zu gehen. Aber ich denke, man sollte darüber nachdenken, wie man das in Bezug auf die Kindheit regeln könnte.“
Motion fordert eine Revision des schulischen Lehrplans in England, um einen „deprimierenden Trend“ zu beenden, der es zukünftigen Generationen schwer mache, große Autoren wie William Shakespeare zu verstehen. Der Säkularismus in Großbritannien habe viele Menschen dazu gebracht, nicht mehr in der Bibel zu lesen. Eltern, die nichtgläubig sind, sollten aber keine Angst haben, wenn ihre Kinder die Bibel lesen, so Motion. „Wenn die Leute sagen, es gehe darum, Religion in die Leute reinzudrücken, dann denken sie nicht genug darüber nach. Es geht mehr um die Kraft, die diese Worte haben, die von immer wiederkehrenden tiefen menschlichen Wahrheiten handeln, und um den Einfluss, den diese Sprache und ihre Geschichten haben.“ Wenn die Geschichten der christlich-jüdischen Kultur so verneint würden, käme dies „einer Ablehnung großer Gelegenheiten“ gleich, die sich dem Menschen böten. (PRO)