Braucht Politik Religion?

In Zeiten gesellschaftlicher Entkirchlichung wird der Ruf nach einem streng säkularen Staat lauter. Am Dienstag widmete sich die Evangelische Akademie zu Berlin diesem Thema und ließ Politiker aller Fraktionen über Kirchensteuer, Religionsunterricht und die Flüchtlingsfrage diskutieren.

Von PRO

„Wie viel Religion verträgt die Politik?”, fragte die Akademie und hatte dazu Gäste eingeladen, die fast alle eng mit beiden Themen verbunden sind. Maria Flachsbarth (CDU) und Kerstin Griese (SPD) sind die religionspolitischen Sprecherinnen ihrer Fraktionen im Bundestag. Pascal Kober (FDP) ist im eigentlichen Beruf Pfarrer, lässt das Amt aber in seiner politischen Zeit ruhen. Susanna Kahlefeld (Die Grünen) ist in ihrer Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus ebenfalls zuständig für das Thema Religion. Außerdem saß Sabine Leidig (Linke) auf dem Podium, die wohl religionskritischste Stimme an diesem Abend.

Sie plädierte für eine starke Trennung von Staat und Kirche, sprach sich gegen einen schulischen Bekenntnisunterricht aus und wünschte sich stattdessen gemeinsame Ethik- oder Philosophiestunden. Auch das System des Kirchensteuereinzuges bedürfe der Veränderung. Flachsbarth, Kober und Griese hielten diese Forderungen für inakzeptabel. Die Unionspolitikerin wies darauf hin, dass nach wie vor ein Großteil der Deutschen Mitglied einer Kirche sei und erinnerte an Dienste, die die Religionsgemeinschaften für die Gesellschaft erbrächten, sie betrieben Hospize, Krankenhäuser oder Kindertagesstätten. Kober erklärte, der Bekenntnisunterricht diene der eigenen religiösen Identitätsbildung und sei schon deshalb unerlässlich.

Griese stellte fest, in der Gesellschaft wie in ihrer eigenen Partei gebe es eine zunehmende Entkirchlichung. Aus der Entfremdung der Deutschen von den Kirchen entstehe die Notwendigkeit, dass letztere sich besser erklärten. So werde etwa der Kirchensteuereinzug immer als Privileg der Kirchen angesehen, faktisch sei er aber eine simple Dienstleistung, für die die Kirchen den Staat bezahlten. Andererseits erlebe sie aber auch einen teils aggressiven Atheismus, der das Christentum grundsätzlich in Frage stelle: „Das erfüllt mich mit tiefer Sorge”, sagte sie.

„Brücken bauen, damit der Islam sich organisieren kann”

Griese geht davon aus, dass die jüngste Anerkennung der muslimischen Ahmadyyia-Gemeinde in Hessen als Körperschaft des öffentlichen Rechts erst der Anfang einer zunehmenden staatlichen Berücksichtigung des Islam in Deutschland ist. Das deutsche Staatskirchenrecht stelle zwar viele Hürden auf, die Aufgabe von Politik sei es aber, „Brücken zu bauen, damit der Islam sich so organisieren kann, dass er Körperschaft wird”, sagte Griese. Flachsbarth stimmte zu: „Es kann nicht sein, dass wir Muslime anders behandeln als die Kirche.” Kober sieht ein Zugehen auf die Muslime seitens des deutschen Staates und ein zunehmendes gesellschaftliches Interesse an ihnen. Griese nutzte ihren Auftritt für scharfe Kritik an der Deutschen Islamkonferenz. Der damalige Innenminister Wolfgang Schäuble habe zwar gut daran getan, selbige einzuberufen, heute bezwecke sie aber nur noch das „einseitigen Belasten der Muslime mit Vorurteilen”.

„Das Bekenntnis zum C bedeutet nichts”

Griese betonte den Einsatz der Kirchen für die Schwachen: „Wenn es die Kirche nicht gäbe, gäbe es kaum eine Lobby für Flüchtlinge in Deutschland.” Die Zahl von 5.000 Syrern, die die Bundesrepublik nun aufnimmt, nannte sie „peinlich”. Kahlefeld warf Flachsbarth in diesem Zusammenhang mangelnde christliche Nächstenliebe vor: „Das Bekenntnis zu dem C bedeutet nichts – gar nichts!” Auch Leidig sprach von einem „verantwortungslosen Asylrecht”.

Flachsbarth verwies auf finanzielle Hilfen, die Deutschland in den Ursprungsländern der Flüchtlinge leiste. Die Bundesregierung müsse sich auch fragen, wie viele Flüchtlinge sie aufnehmen könne, ohne den Frieden im eigenen Land zu gefährden. Zudem müsse die Bundesrepublik aufpassen, dass sie Christen aus Syrien nicht einseitig privilegiere, weil dies wiederum zu einer stärkeren Verfolgung in der Heimat führen könne. Sie sieht eine Tendenz, bestimmte Regionen „christenfrei” zu machen. Kober verteidigte die deutsche Asylpolitik: Sicher könne man auch zwei Millionen Flüchtlinge aufnehmen – aber Angesichts der Anzahl von Menschen, die weltweit in Konflikte verwickelt sind, „wäre auch das nur ein Tropfen auf den heißen Stein”. Es helfe auch nicht, wenn Deutschland über die Maßen Menschen aufnehme. Vielmehr müssten auch andere EU-Länder ihren Verpflichtungen gegenüber den Leidenden nachkommen. (pro)

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