Braucht die Welt ein neues Netz?

Bundesverbraucherministerin Ilse Aigner (CSU) hat eine bessere Aufklärung über Datenschutzrechte im Netz gefordert. Am Mittwoch traf sie in Berlin auf die Autoren des Buches "Zeitbombe Internet". Darin warnen die Journalisten Thomas Fischermann und Götz Hamann: Wir sind abhängig vom Netz, und diese Abhängigkeit macht uns angreifbarer als je zuvor.

Von PRO

Ein gewisses Gefühl der Beklemmung dürfte sich wohl bei den meisten Lesern des Buchs "Zeitbombe Internet" einstellen. Haarklein beschreiben die Autoren Fischermann und Hamann, beide Redakteure der Wochenzeitung "Die Zeit", wie schon mithilfe eines digitalen Stromzählers Daten ausgespäht oder Abrechnungen gefälscht werden können – und zwar aus der Ferne. Ein gewiefter Hacker, erklären die Journalisten, könnte auf diesem Wege etwa anhand der verbrauchten Watt-Zahlen herausfinden, wann eine Familie im Urlaub ist oder zu welcher Tageszeit sie gerne fernsieht. "Das Internet mit seinen Abermillionen angeschlossener Endgeräte ist die größte Überwachungsmaschine aller Zeiten", schreiben sie. Im Ursprung sei das Internet – eigentlich eine vom Pentagon in Auftrag gegebene Erfindung – nie dazu vorgesehen gewesen, derartige Massen "hochgradig privater, wirtschaftlich unentbehrlicher und überlebenswichtiger Daten zu befördern und zu verwalten", wie es das heute tut. Doch mit zunehmender Komplexität gerät die Technologie mehr und mehr außer Kontrolle, so die These. Um das zu belegen, führen die Wirtschaftsspezialisten prominente Beispiele an: Im Jahr 2009 etwa wurden Baupläne des neuesten Kampfflugzeugs der US-Streitkräfte über Datenkanäle gestohlen. Auch Unternehmen wie "Neckermann", "Nintendo" oder die amerikanische "Citygroup" wurden bereits Opfer von Hackerangriffen. Bei Letzterem gingen angeblich Kreditkartendaten von 360.000 Kunden verloren.

"Es gibt keinen hundertprozentigen Schutz", erklärte Verbraucherministerin Aigner am Mittwoch zu diesen Feststellungen. Dennoch wolle sie sich für "Anpassungen des Datenschutzrechtes" einsetzen und auf internationale Vereinbarungen drängen. Einen Schritt in diese Richtung will Aigner bereits in dieser Woche tun. In den kommenden Tagen reist die CSU-Politikerin in die USA, um mit Politikern, aber auch mit den Verantwortlichen bei "Google", "Facebook" oder "Microsoft" ins Gespräch zu kommen. Aigner selbst war vor einem Jahr als Nutzer bei "Facebook" ausgestiegen, Medienberichten zufolge warnte sie jüngst auch die Ministerien vor einer Nutzung des "Facebook"-Buttons auf ihren Internetseiten. In Berlin forderte sie von den Unternehmen eine bessere Verbraucheraufklärung. Ein Beispiel für Verbesserungsbedarf seien die sogenannten "Facebook-Partys". Immer wieder hatten Nutzer in der Vergangenheit versehentlich Mitglieder der Community zu Feiern eingeladen, weil sie die von ihnen eingestellte Veranstaltung nicht als privat gekennzeichnet hatten. "Muss ich mühsam überall suchen, welches Häkchen ich wegklicken muss?", fragte Aigner dazu. Oder könne es stattdessen einen nutzerfreundlicheren Weg geben, um Eskalationen, wie jüngst auf "Facebook-Partys", zu vermeiden?

"Wir brauchen ein neues Netz"

So mahnte Aigner vor allem zur "Sparsamkeit mit den eigenen Daten" und fragte: "Ist das Netz, wie wir es kennen, eigentlich noch der richtige Kanal, auf dem wir senden?" Die Forderungen von Fischermann und Hamann gehen noch wesentlich weiter. "Es müssen verschiedene Dinge vom Netz", erklärte Hamann. Atomkraftwerke oder Systeme der Flugsicherung sollten künftig etwa über andere Kanäle laufen. Einrichtungen, die mit extrem sensiblen Daten hantierten, sollten durch stärkere "Schleusenwärter" als die herkömmlichen Firewalls geschützt werden, fuhr er fort. Außerdem wünscht er sich einen "ermächtigten" User, der von Unternehmen wie "Google" nach Datenschutzpannen Entschädigungen einklagen könne. Fischermann sprach gar von der Schaffung eines Parallelnetzes, in dem militärische Einrichtungen losgelöst von der Durchschnitts-Community agieren könnten. Auf die Frage, wer so etwas denn bereitstellen könnte, wussten aber weder Aigner, noch Fischermann und Hamann eine Antwort. Der Staat könne es nicht sein, soviel stehe fest, schließlich sei das Netz international.

Es scheint, als spalte sich die Netzgemeinde an "Zeitbombe Internet". Während Kritiker den Autoren derzeit "Panikmache" vorwerfen, loben andere die aufmerksamen Beobachtungen, die sich im Buch finden und den für Deutschland typisch scheinenden "Alarmismus" beim Thema Datenschutz. Eines wollte sich Hamann aber auf keinen Fall vorwerfen lassen: "Man ist kein Defätist, nur weil man sich kritisch mit dem Netz auseinandersetzt", sagte er. (pro)

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