„Bild der Wissenschaft“: Gott wohnt im Gehirn

Der Glaube - eine Gehirnfunktion. Forscher wollen herausgefunden haben, dass Religiosität manchen Menschen helfe, mit der Absurdität des Daseins besser zurecht zu kommen und damit ein evolutionärer Vorteil sei. Das Magazin "Bild der Wissenschaft" befasst sich im aktuellen Titelthema mit der Frage "Warum Menschen glauben" aus der Sicht mancher Naturwissenschaftler.
Von PRO

Auf dem Titelbild der Ausgabe 01/2010 prangt ein Kreuz vor einem blutroten Himmel. In dem Heft finden sich drei Artikel des Redakteurs Rüdiger Vaas, Mitverfasser des 2009 erschienenen Buches "Gott, Gene und Gehirn. Warum Glaube nützt – Die Evolution der Religiosität". Darin schreibt er von Ansichten verschiedener Wissenschaftler, wie man den Glauben wissenschaftlich erklären könnte.

Chefredakteur Wolfgang Hess gibt im Editorial zu verstehen: "Ich bin mir sicher, dass viele unserer Leser diese Ausgabe kritisch in die Hand nehmen – viele allerdings auch ganz begierig." Bereits zwei Mal thematisierte das Magazin in den vergangenen Jahren den Glauben: "Gott im Gehirn" (2005) und "Warum Glaube nützt" (2007). Beide Titel wurden laut Hess stark nachgefragt, und es habe besonders viele Leserzuschriften gegeben, "oft sehr emotional". Hess stellt klar: "Damit Sie mich richtig verstehen: Bild der Wissenschaft will Ihre religiösen Gefühle nicht verletzen." Doch wolle das Magazin von Forschungsarbeiten berichten, die Gott als Hirnkonstrukt ansehen.

Das Titelthema wird eingeleitet von einem Foto der Evangelisationsveranstaltung "ProChrist" 2009 in Chemnitz mit Prediger Ulrich Parzany. Im Artikel "Gläubige Gehirne" erklärt Redakteur Vaas, dass Gehirn sei gut darin, Muster zu erkennen. Es erkennt in scheinbar Sinnlosem einen Sinn, so müsse das mit der Entstehung der Religion gewesen sein, glaubten manche Forscher. "Religionen mögen den schmerzlichen Zustand der Zufälligkeit, Erklärungsnot und Zwecklosigkeit lindern oder überwinden. Sie sind aber gerade deshalb auch in den Verdacht geraten, aus der Not eine Tugend zu machen und bloße Illusionen zu erzeugen", schreibt Vaas.

Gott – eine Folge von Dopamin

Dafür hätten Kognitionspsychologen und Hirnforscher "inzwischen Indizien gefunden": "Wie leicht jemand außer- oder übernatürliche Erklärungen glaubt, hängt vor allem von der Konzentration bestimmter Botenstoffe in seinem Gehirn ab." Bei "gläubigen" Menschen sei zudem die rechte Gehirnhälfte stärker aktiv, sie sähen in Zufallsmustern eher Gesichter. Die Einnahme der Dopamin-Vorstufe L-Dopa bringe auch skeptischere Menschen dazu, ebenfalls eher Muster zu erkennen, wo gar keine sind. Ein Dopamin-Mangel führe hingegen zu einer "verminderten Religiosität". Fazit: der Glaube sei eine Hirnfunktion, die chemisch eingestellt werden kann.

In der Tat: Dopamin kann "Hyperreligiosität" hervorrufen, Wahnvorstellungen. "Das ist eine Grundlage für die Erschaffung der Mythen von Göttern, Geistern und Lebenskräften zur Welterklärung, nehmen Anthropologen und Kognitionspsychologen an", so Vaas. So gehe Schizophrenie oft einher mit der Tendenz eines Patienten, zufällige Ereignisse in einen Zusammenhang zu bringen. So ähnlich sei das mit dem Glauben. Der Autor gibt indes zu bedenken: "Das heißt aber noch nicht, dass religiöser Glaube eine Form höheren Wahnsinns wäre. Allerdings gibt es eine lange Tradition unter Psychiatern und Psychologen, die wahnhaften Züge der Religiosität (…) zu erforschen."

Mehrmals geht der Autor auf den Briten Richard Dawkins ein, Autor des Buches "Der Gotteswahn". Dawkins definierte Wahn als "dauerhaft falsche Vorstellung, die trotz starker entgegengesetzter Belege aufrechterhalten wird". Dawkins setzt also voraus, dass der Glaube falsch ist, um daraus den Wahn des Glaubens zu begründen.

Bringt Religion Ungerechtigkeit, oder ist es umgekehrt?

Ist also der größte Teil der Menschheit einem Wahn verfallen, und nur Atheisten sind gesund? Religiosität sei etwas ganz natürliches, denn sie helfe beim sozialen Zusammenhalt. Darauf geht Vaas in seinem zweiten Artikel unter der Überschrift "Der Nutzen des Himmels" ein. Der Soziobiologe Eckart Voland von der Universität Gießen ist überzeugt, dass die Religion selbst ein "evolutionäres Anpassungsprodukt" ist. Religiosität habe naturgeschichtlich einen Nutzen, ist er überzeugt.

Unter der Überschrift "Weltangst schürt die Gottesfurcht" erläutert Vaas zudem die Ansicht: "Ob Menschen religiös sind, hängt wesentlich von ihrer psychischen Verfassung ab und von der Qualität der Gesellschaft, in der sie leben." Dass Gott im Gehirn "wohne", werde von Hinforschern "kaum mehr" bezweifelt. "Je religiöser eine Gesellschaft ist, desto schlechter ist es um sie bestellt." Zu diesem Schluss sei der Statistiker Gregory Paul gekommen. Je ungerechter es in einer Gesellschaft zugehe, desto stärker sei dort die Rolle der Religion.

Allerdings kann man Pauls Daten auch umgekehrt interpretieren: je besser es den Menschen geht, desto weniger glauben sie an Gott. Viele Forscher jedoch, so das Magazin, machten indes Religion verantwortlich für die Ungerechtigkeiten. Den Studenten der Literaturwissenschaft, Andreas Müller, Atheist und Mitautor des "Humanistischen Pressedienstes", hat "Bild der Wissenschaft" interviewt. Müller sagt, der so genannte "Neue Atheismus", der durch Dawkins bekannt geworden sei, strebe ein "Zeitalter der Vernunft" an, und zwar ohne Religion. Dabei spiele das Internet eine wichtige Rolle, so Müller, der von "Aufklärung 2.0" spricht. Denn über das Internet könnten sich Wissenschaftler und Journalisten austauschen. (pro)

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