Ankara hat seine Beruhigungspille
Genau genommen hätte es für die Bundesregierung nicht besser laufen können. Für Seibert war der Vorbericht von Spiegel Online eine Steilvorlage, die er dankbar annahm und als erfahrener Medienprofi sicher versenkte. So konnte der Regierungssprecher einerseits die neutrale Haltung der Bundesregierung zur Armenien-Resolution klarmachen und damit die türkische Regierung besänftigen – und im selben Atemzug Meldungen widersprechen, es handele sich um eine Distanzierung. Ohne Seiberts Dementi wäre die Geste als Kniefall der Kanzlerin interpretiert worden. Ankara hat seine Beruhigungspille, die Regierungskoalition zwei Tage vor der Landtagswahl in Mecklenburg-Vorpommern zumindest ihr Gesicht gewahrt. Eine andere Frage ist, ob die Bundesregierung mit Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) an der Spitze für das Signal an Ankara zu kritisieren ist. Denn natürlich steht auch die Bundesregierung unter hohem Druck. Sie muss zwischen mehreren Interessen abwägen: Dem Fortbestand des Flüchtlingsdeals, der legitimen Benennung des Völkermords an den Armeniern, den diplomatischen Beziehungen zur türkischen Regierung und der Lage von Menschenrechten und Demokratie in der Türkei. Diese Haltung passt zum Türkei-Besuch von Martin Schulz (SPD) kurz zuvor. Der EU-Parlamentspräsident schlug dort deutlich versöhnlichere Töne an als in den vergangenen Wochen. Alleine seine beschwichtigende Körpersprache sprach Bände. In diesem Sinne ist das Verhalten der Bundesregierung geschickt. Es wird sich zeigen, ob die Geste der Bundesregierung Ankaras verletzte Ehre wieder heilen kann, ohne die eigenen Werte zu kompromittieren – und die Haltung derer, die sie gewählt haben. (pro)
https://www.pro-medienmagazin.de/politik/detailansicht/aktuell/bundesregierung-weist-berichte-ueber-distanzierung-zurueck-97415/
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