Neulich in Deutschland, frühmorgens im Bad. Die Sonne ist noch längst nicht aufgegangen. Und die Augen wollen auch nicht. Aber dann blinzelst du gegen die Müdigkeit und öffnest sie einen Spalt – und bist geschockt: Wer ist dieses übernächtigte Wesen in meinem Spiegel?
Du bist das! Mutter, die du gestern wieder mal viel zu lange Blusen gebügelt, Fußballschuhe geputzt und nach dem neuen Klavierlehrer gegoogelt hast, statt rechtzeitig schlafenzugehen. Und jetzt, während du überlegst, wie du die schwarzen Augenringe kosmetisch bearbeiten kannst, weil du gleich einen wichtigen Termin hast, steht auch schon die Tochter vor der Badezimmertür und beschwert sich, dass du Müsli mit Rosinen gekauft hast.
Neulich in Deutschland. Spätabends im Kinderzimmer. Mittags im Meeting. Überall offenbart sich, was viele nicht wirklich wahrhaben wollen. Weil es so gar nicht passt in das Hochglanzbild von der strahlenden Frau im engen Businesskostüm, die in der einen Hand das Smartphone hält und in der anderen das adrette Kind. Weil es so gar nicht passt zu all diesen Schönheiten, die uns auf Magazinen und in Werbespots weismachen wollen: Muttersein und Beruf? Alles easy! Wirklich?
Deutschlands Mütter sind erschöpft. Dafür spricht nicht zuletzt die zunehmende Zahl von Frauen, die eine Kur des Müttergenesungswerks in Anspruch nehmen: Waren es 2011 noch 39.000, lag sie 2017 bei 48.000. Und während 2003 noch 48 Prozent der Patientinnen auch wegen psychischer Störungen in Kur gingen, sind es heute 97 Prozent. Dabei reichen die Probleme von zermürbenden Selbstzweifeln über Schlafstörungen bis zum Burnout. Gut die Hälfte der Frauen leidet unter der Schwierigkeit, Beruf und Familie zu vereinbaren. 75 Prozent sagen, das Schlimmste sei der ständige Zeitdruck.
Kein Wunder. Denn auch wenn Mütter berufstätig sind – Kinder abholen, Hausaufgaben kontrollieren, Socken sortieren, diese wunderbaren Aufgaben bleiben weitgehend an den Frauen hängen. Das bisschen Haushalt! Dass viele Männer noch immer nicht begriffen haben, dass der Haushalt ein kräftezehrender Arbeitsplatz ist, den man sich gerecht teilen sollte, belegt die aktuelle Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung in Berlin (DIW). Weil Männer meist mehr Stunden am Arbeitsplatz verbringen als Frauen, bleibt die Hausarbeit weitgehend an ihnen hängen. In der Woche gleicht sich das aus. Mittlerweile wenden Mütter und Väter in dieser Zeit täglich gleich viel Zeit – rund elf Stunden – für Pflichtaufgaben im Beruf und zu Hause auf. An Sonntagen sieht das allerdings noch immer anders aus. Während die Männer rund vier Stunden Aufgaben im Haus und Garten nachgehen, sind es bei den Frauen sechs Stunden. Diese Werte betreffen Paare mit und ohne Kinder.
Frauen leiden unter ihrem Perfektionismus
Für Mütter und Väter, die Kinder zwischen null und sechs Jahren haben, sieht es schon ganz anders aus. Knapp zwölf Stunden wenden diese Mütter am Sonntag für Kindererziehung und Haushalt auf. Die Väter sind damit nur acht Stunden beschäftigt. Dass Mütter mehr arbeiten als Männer, bestätigt eine aktuelle Untersuchung der Familienforschung im Statistischen Landesamt Baden-Württemberg. Sie kommt zu dem Ergebnis, dass Väter im Schnitt täglich 13,5 Stunden arbeiten, Mütter 16 Stunden. Mehr Kinderbetreuungsangebote, flexiblere Arbeitszeiten, Homeoffice – all das könnte die berufstätigen Mütter entlasten. Doch wer auf politische Entscheidungen setzt, kann lange warten. Dabei stellt sich ohnehin die Frage, ob sie das Leben der Mütter wirklich verbessern würden. Denn Mütter, das ist die bittere Wahrheit, machen sich das Leben auch selber schwer.
Frauen leiden unter ihrem Perfektionismus, den hohen Ansprüchen, die sie an ihre beruflichen und familiären Leistungen stellen. Und tatsächlich ist der Erwartungsdruck von außen enorm. Eine Mutter, die in Teilzeit arbeitet, muss oft vor Kollegen ihren Output rechtfertigen. Nicht wenige Mütter leisten mehr, als sie müssten, damit sie bloß nicht den Eindruck erwecken, in ihrem Beruf nicht so gut zu sein wie jene, die nach acht Stunden nach Hause gehen.
Aber Frauen machen sich auch gegenseitig das Leben schwer. Da fühlt sich die Mama, die morgens in eine Kanzlei oder eine Arztpraxis geht, der Nachbarin überlegen, die „nur“ zu Hause arbeitet. Da lästert die Hausfrau über die Berufstätige und fragt, warum die sich überhaupt Kinder angeschafft hat, wenn sie die doch die ganze Zeit von Fremden betreuen lässt. Hört auf damit!
Ob es die Perfektionsfalle ist, die Erwartungsfalle oder der Konkurrenzkampf: Die Bibel bietet eine ganze Reihe von Wegen, sich aus diesen energieraubenden Verstrickungen zu befreien. Denn genau das ist es doch, womit Frauen haushalten müssen: mit ihren Kräften. Die Bibel aber kann gerade Frauen und Müttern Kraft schenken und ihnen helfen, ihr Leben besser in den Griff zu bekommen. Das fängt schon damit an, dass sie auf der Seite der berufstätigen Mutter steht. „Lob der tüchtigen Hausfrau“ betitelt die Luther-Übersetzung die im Buch der Sprüche (Kapitel 31,10–31) zu lesende Huldigung an eine aktive, mitten im Leben stehende Frau. Hier wird das Ideal einer „Hausfrau“ beschrieben, deren Wirkungsbereich aber weit über die häuslichen Grenzen hinausreicht, und die sich als Frau zu erkennen gibt, die einer Erwerbstätigkeit nachgeht. Die „tüchtige Hausfrau“ betreibt neben ihren hauswirtschaftlichen Pflichten Handel, verdient gutes Geld, von dem sie sich einen eigenen Acker kauft und einen Weinberg bepflanzt. Und ihre Söhne sowie ihr Mann loben sie ohne Ende. Kein Wort findet sich hier davon, dass diese geschäftstüchtige Frau nicht weiblich wäre, ihre mütterlichen Pflichten vernachlässigen, dem Mann den Rang streitig machen würde. Nein. Nur Anerkennung.
So klang Emanzipation vor 2.500 Jahren. Wie gut heute die Erkenntnis tut, wenn Frau manchmal die Frage plagt, ob es nicht doch besser wäre, sich ausschließlich der Familie zu widmen. Wie motivierend das für ihr Umfeld ist, sie für ihr Engagement zu achten, ihr keine Vorwürfe zu machen und sie stattdessen zu unterstützen, wo es nur geht.
Eine Mutter ist schließlich auch nur ein Mensch, der Anerkennung und Wertschätzung braucht. Darüber hinaus braucht sie noch etwas: Die Zusicherung, dass weniger mehr sein kann. Nein! Für die Kitaparty muss nicht jeder Muffin ein Überraschungskuchen sein, auf dem Nele, Emil und Jonathan in Zuckerschrift ihre Namen finden. Und Ja! Auch der zwölfjährige Sohn kann die Handtücher zusammenlegen. Und wenn sie dann nicht Kante auf Kante im Schrank liegen, ist das wunderbar, weil das die Mama daran erinnert, dass sie sich in dieser Zeit ausruhen durfte. Ausruhen. Kräfte schöpfen. Zu sich kommen. Die Bibel macht das geradezu zur weiblichen Pflicht. Der im Lukasevangelium beschriebene Besuch Jesu bei seinen Freundinnen Maria und Martha bringt es auf den Punkt. Während Martha im Haus wirbelt, um ein tolles Essen auf den Tisch zu bringen, sitzt ihre Schwester Maria zu Jesu Füßen. Martha beschwert sich bei Jesus über ihre vermeintlich untätige Schwester. Aber Jesus verteidigt Maria, die keinesfalls nur herumsitze, sondern genau das Richtige tue, wenn sie ihm zuhöre.
Mütter brauchen Auszeiten
Dass Martha eine so gute Gastgeberin war, hat Jesus sicher genossen. Sie ist nur eine von mehreren Frauen, die sich darum gekümmert haben, dass Jesus und die Jünger auch kulinarisch gut versorgt waren, und sie erfüllten damit eine unschätzbar wichtige Rolle. Offenbaren sie doch, wie nah Jesus den Menschen war, wie sehr er selbst Mensch war, der Gesellschaft, Wein und gutes Essen mochte. Martha ist aber auch der Typ der Hausfrau, die es zu gut meint und dabei vergisst, worauf es auch ankommt: Etwas für den Geist und die Seele zu tun. Das innere Haus aufzuräumen. Sie erinnert uns daran, dass der Mensch nicht vom Brot allein lebt und Mütter auch dann gute Mütter sein können, wenn sie nicht herumwirbeln, sondern einfach nur mal herumsitzen. Wenn sie achtsam sind für das, was schön im Leben ist, für die Amsel, die im Garten singt, die Rose, die ihre erste Knospe entfaltet. Für die Botschaften, die Tiere und Pflanzen uns schenken, von Gottvertrauen und der Zusage, dass wir uns nicht ständig Sorgen machen sollen.
Mütter brauchen Auszeiten. Zeiten für sich. Wie viel Kraft sich aus dem vorübergehenden Ausflug aus dem Alltag schöpfen lässt, zeigt das Magnificat der Maria. Jenes Loblied, das sie im Lukasevangelium anstimmt, als sie, gerade schwanger, nach ihrem langen Fußmarsch ins entfernte judäische Bergland ihre ältere Verwandte Elisabeth trifft, die ebenfalls auf wundersame Weise ein Kind erwartet. Eigentlich müsste Maria nach der langen Reise erschöpft sein. Aber sie bricht in einen Jubel aus, der einzigartig ist in seiner Emotionalität, weil er nicht nur von der Begeisterung über ihre persönliche Situation als werdende Mutter zeugt, sondern auch Gott als den besingt, der für soziale Gerechtigkeit sorgt.
Maria zeigt an dieser Stelle noch etwas: Wie wichtig es für Frauen ist, Freundschaften zu anderen Frauen zu pflegen, weil Frauen eine eigene Art haben, die Welt zu betrachten. Während Josef und Zacharias eher verwirrt auf die Nachricht reagierten, dass sie Väter werden sollen, bestärkten sich Maria und Elisabeth in ihrem unglaublichen Mutterglück. Vielleicht sind Frauen wirklich emotionaler als Männer, vielleicht sind sie manchmal auch naiv. Vielleicht sind sie manchmal einfach nur vertrauensvoller, was die Zukunft betrifft. In Krisensituationen jedenfalls kann kaum etwas bestärkender sein als die bedingungslose Zuversicht einer Freundin, die daran glaubt, dass alles wieder gut wird.
Zuversicht! Gute Stimmung! Harmonie! Jeder weiß: Wir können noch so ausgebrannt sein – aber ein liebes Wort, ein freundliches Lächeln, eine kleine Geste der Zuneigung baut uns mehr auf als Yoga und probiotischer Joghurt zusammen. Wir wissen aber auch: Wenn wir nach einem langen Arbeits-Kinder-Haushalts-Tag völlig am Ende sind, wollen wir nicht auch noch unnötige Konflikte austragen. Alle haben Stress. Auch der Vater. „Einer trage des anderen Last.“ Wenn wir das Gegenteil tun, stattdessen unserer schlechten Laune freien Lauf lassen, uns mit Vorwürfen überhäufen, wird alles nur immer schlimmer. Wie weitsichtig Jesus war, als er in der Bergpredigt fragte: „Warum siehst du den Splitter im Auge deines Bruders, aber den Balken in deinem Auge bemerkst du nicht?“
Selbstkritik. Großzügigkeit. Liebesbeziehung, die auch Freundschaft ist. Wenn wir das nicht haben, nützen uns auch keine neuen familienfreundlicheren Arbeitszeitmodelle oder Quotenregelungen. Für die Ringe unter den Augen jedenfalls, frühmorgens im Bad, gibt es kein effektiveres Kosmetikum als Partnerschaftlichkeit.
Claudia Becker
Dieser Text ist zuerste in der Ausgabe 2/2019 des Christlichen Medienmagazins pro erschienen. Pro erscheint sechs Mal im Jahr. Bestellen Sie das Magazin kostenlos hier.