"Planned Parenthood" ist eine Gesundheitsorganisation in den USA, zu deren Angebot Vorsorgeuntersuchungen, Beratungsgespräche, Aufklärungsprogramme, HIV-Tests und auch Abtreibungen gehören. Über 300.000 Abtreibungen führt "Planned Parenthood" pro Jahr durch. Seit einigen Monaten steht der Verband unter verschärfter Kritik: Konservative Aktivisten hatten mit versteckter Kamera Beratungsgespräche gefilmt und beispielsweise Mitarbeiterinnen dabei ertappt, wie sie einem Lockvogel die Abtreibung empfehlen, weil ihr Baby nicht das gewünschte Geschlecht hat. Viele Politiker, die gegen Abtreibung eingestellt sind, wollen die staatlichen Fördermittel für "Planned Parenthood" streichen. Auch der republikanische Präsidentschaftskandidat Mitt Romney.
Bei "Spiegel Online" schrieb ein USA-Korrespondent am Dienstag einen recht wertenden Bericht über Romney. Unter anderem hieß es darin: "Romney selbst schwor, Planned Parenthood ‚loszuwerden‘, eine Organisation für Brustkrebsvorsorge." Was soll der Leser aus diesem Satz schlussfolgern? Etwa, dass Mitt Romney ein Befürworter von Brustkrebs ist? Die wahren Motive Romneys konnten sich Besucher von "Spiegel Online" mit etwas Geschick Stunden später zusammenreimen, als der Satz umgeändert wurde, nun lautet er: "eine Organisation, die Sexualberatung, Krebsvorsorge oder HIV-Tests anbietet und sich für Abtreibungsrechte einsetzt".
Ich frage mich, was sich der Journalist dabei gedacht hat, als er seinen Artikel schrieb und auf einem der erfolgreichsten deutschsprachigen Nachrichtenangebote im Internet publizierte. Dass er von Romney und seinen Parteifreunden nichts hält, hatte er bereits zuvor mehrfach und unmissverständlich zum Ausdruck gebracht. Aber eine solch sinnentstellende Verkürzung der Tatsachen? Mich überrascht in der Berichterstattung über den US-Wahlkampf bei "Spiegel Online" oftmals nicht nur die Schärfe des Tonfalls, sondern auch, dass ziemlich bissige Herabwürdigungen nicht etwa als gekennzeichneter Kommentar, sondern als normaler Bericht veröffentlicht werden. Eine Freundin, die Mitt Romney niemals wählen würde, sagte mir gestern, dass sie die Berichterstattung des "Spiegel" über die US-Wahl "einseitig und peinlich" findet, mit seriösem Journalismus habe das nichts zu tun.
Simple Tatsache zum "Eklat" aufgebauscht
Der Anti-Romney-Reflex betrifft natürlich nicht nur "Spiegel Online". In deutschen Redaktionsstuben habe man sich darauf spezialisiert, dem Republikaner Peinlichkeiten anzudichten, wo gar keine seien, schreibt die Kolumnistin Jennifer Nathalie Pyka auf "The European". Nur ein Beispiel: Das "Handelsblatt" berichtete, Romney habe auf seiner Israel-Reise für einen "Eklat" gesorgt, indem er Jerusalem als die Hauptstadt des jüdischen Staates bezeichnete. Dabei hat Romney lediglich eine Tatsache benannt – die zuvor auch Barack Obama schon mehrfach festgestellt hatte.
Am Mittwoch ging eine Meldung über den Ticker, die angesichts der Berichterstattung in Deutschland wenig verwundert: 86 Prozent der Bundesbürger würden bei der Wahl für Barack Obama stimmen, wenn sie denn könnten. So mancher Journalist wird sich für dieses Ergebnis sicher auf die Schulter klopfen. (pro)