Zur Aufklärung sollen Lehrer bereits mit Achtjährigen im Schulunterricht über Pornos sprechen. Das ist das Ergebnis einer australischen Studie der Universität Melbourne. Die Wissenschaftler fordern, dass alle Grundschüler verpflichtet werden, das Thema Pornografie in einer beaufsichtigten Umgebung wie der Schule kennenzulernen. Ansonsten werde das den Kindern bewusst oder versehentlich im Internet passieren.
Die Aussagen der australischen Wissenschaftler stützen sich auf eine Umfrage unter jungen Menschen, die andere Kinder sexuell misshandelt haben. In einigen Fällen seien die Übergriffe durch Pornografie ausgelöst worden. Die befragten Personen waren zwischen elf und 14 Jahren alt, als sie andere Kinder missbrauchten.
Die Leiterin der Studie, Gemma McKibbin, führte in der australischen Radiosendung PM aus, worin sie die direkte Verbindung zwischen Porno-Konsum und sexuellem Missbrauch sieht: „Pornografie spielte eine nahezu ursächliche Rolle bei dem Verhalten der Kinder.“ Die Teilnehmer der Umfrage hätten Pornos geschaut und das Gesehene an ihren kleinen Cousins, Nichten oder Schwestern ausprobiert.
Sexuelle Übergriffe mit zwölf Jahren am häufigsten
Im Vordergrund der Befragung habe die Einfühlsamkeit gestanden, um die Kinder bei diesem schweren Thema nicht einzuschüchtern: „Wir wollten das Verhalten der Kinder verstehen.“ Deswegen fragten die Wissenschaftler, was im Vorfeld anders hätte laufen müssen, um den Missbrauch zu vermeiden. Die meisten der Missbrauchstäter seien selbst Opfer sexueller Übergriffe geworden oder hätten eine intellektuelle Behinderung.
Die Täter seien nach den Übergriffen belehrt worden und hätten ihrer Meinung nach in einer sicheren Umgebung von einem Aufklärungsunterricht profitieren können. „Die befragten Kinder hätten sich viel früher Aufklärung über das Thema gewünscht“, sagte McKibbin. Ihrer Einschätzung nach erreichen sexuelle Übergriffe bei Kindern im Alter von zwölf Jahren die größte Häufigkeit: „Die Kinder brauchen deswegen die Aufklärung früher, mindestens schon mit acht Jahren.“ Die befragten Kinder hätten zum Beispiel nicht gewusst, dass es Gesetze gegen Inzest gibt. Die Studie fordert, dass die Vorbeugung gegen Kindesmissbrauch ganz oben auf der Prioritätenliste des australischen Staates stehen sollte.
Als Ausgangslage für die Studie nahmen die Forscher aktuelle Umfragen, wonach in Australien 90 Prozent der Jungen und 60 Prozent der Mädchen, die unter 16 Jahre alt sind, schon einmal Pornografie ausgesetzt waren. Weitere australische Auswertungen zeigen, dass Pornos in den vergangenen Jahren immer gewalttätiger geworden sind und häufig Gewalt gegen Frauen zeigen. „Viele junge Menschen konsumieren heutzutage Pornografie. Deswegen können wir nicht einerseits sagen, dass wir mit jungen Kindern nicht über Sexualität sprechen und andererseits nichts gegen eine Multimilliarden Dollar schwere Pornoindustrie tun“, sagte McKibbin.
Pornografie für Kinder ist „traumatisierende Körpererfahrung“
Der Präsident der Deutschen Gesellschaft für Sozialwissenschaftliche Sexualforschung (DGSS), Jakob Pastötter, sieht das Ergebnis der australischen Forscher differenziert. „Kinder verarbeiten im Spiel, was sie belastet. Aber die australische Studie zieht daraus die falschen Schlüsse“, sagte er auf Anfrage von pro. „Ein Kind, das mit fünf Jahren Missbrauch erfahren hat, wird sexuell anders agieren als ein Kind, das das nicht hat“, erklärt der Sexualwissenschaftler. Aber wie die Studie diese Ausnahmefälle normalisiert und damit sagt, alle Kinder bräuchten diese vorbeugenden Maßnahmen, führe deutlich zu weit.
„Pornografie ist ein Körpermedium“, sagt Pastötter. Körpermedien wie der Action-, Horror- oder Pornofilm laufen demnach eben gerade nicht über das Gehirn, sondern lösen Gefühle mit Auswirkungen auf den Körper aus. Bei einem Achtjährigen reiche es nicht aus, ihm zu erklären, dass im Horrorfilm in einer Art Spiel Zombies herumlaufen und den Menschen das Gehirn aussaugen. „Das hilft den Kindern nichts, weil die Bilder, die sie gesehen haben, direkt in den Körper gehen“, sagt Pastötter. Mit Pornografie sei es genauso. Pornografie wirke auf den Körper. Sie verursache bei jedem Menschen, auch bei Kindern, unterschiedlichste Gefühle, die sie nicht vergessen.
Kritisch findet der Sexualwissenschaftler an der australischen Studie, dass aus dem Ergebnis auf alle Kinder Rückschlüsse gezogen werden. „Im Schulalltag handelt es sich bei einer Klasse um keine freiwillige Gemeinschaft, sondern um eine Zwangsgemeinschaft.“
Grenze leider völlig verschwommen
Dem Phänomen der leicht zugänglichen Pornografie im Internet für Kinder sollte laut Pastötter entschieden entgegen getreten werden. „Internet-Sperren für Kinder wiegen die Gesellschaft in falsche Sicherheit. Das Internet ist global und in seiner derzeitigen Form mit Ausprägungen wie dem Darknet nicht kontrollierbar“, sagt der Sexualwissenschaftler. Zumal es Sperren für Smartphones noch nicht gebe. Kindern sehr vorsichtig beizubringen, wo Pornografie fragwürdig ist, sei unvermeidlich.
„Die Traumatisierung eines Kindes ist in seinem Leben nicht zu verhindern“, sagt Pastötter. Einen Autounfall könne man nicht verhindert, der passiere. Ähnlich sei es mit der Pornografie im Internet. Sein Vorschlag ist es, früh mit Kinderpsychologen zusammenzuarbeiten. Er hält es für einen Fehler, dass im Bereich Pornografie auch nicht mit Trauma-Experten zusammengearbeitet wird.
In den Augen Pastötters muss sich die Gesellschaft darüber im Klaren sein, dass es gute Gründe gibt, warum harte Pornografie erst ab 18 Jahren zugänglich ist. „Diese Grenze ist leider inzwischen völlig verschwommen“, sagt Pastötter. Pornografie werde von einer Mehrheit als Sex und damit als etwas Natürliches wahrgenommen. Deswegen sei es in den Augen vieler nicht tragisch, wenn Kinder sie zu sehen bekämen: „Das verkennt, dass Pornografie ein Medium ist, dass für Kinder nicht direkt zu verarbeiten ist, weil es auf den Körper wirkt.“
Pornos im Unterricht verstoßen gegen Jugendmedienschutz
Im März 2015 hatte ein dänischer Sexualwissenschaftler gefordert, Teenagern Pornos in der Schule zu zeigen. In Deutschland ist das Zeigen von Pornos im Unterricht strafbar. „Pornos in der Schule, das geht gar nicht“, erklärte damals Birgit Braml von der Kommission für Jugendmedienschutz der Landesmedienanstalten gegenüber pro. Es ist rechtlich nicht erlaubt, Minderjährigen pornografische Inhalte zu zeigen, erklärte sie. „Das entspricht nicht den Regeln des Jugendmedienschutzes.“ Zudem führe es auch aus pädagogischer Sicht nicht zum Ziel. „Ich kann nicht Kinder mit Pornografie konfrontieren und sie hinterher fragen, wie es ihnen geht. Das kann sie verstören oder sogar traumatisieren.“
Die Psychotherapeutin Tabea Freitag sah in der Forderung, Schülern Pornos zu zeigen, eine Form von sexuellem Missbrauch und zudem einen Straftatbestand, wenn Schüler Pornos schauen sollten. Dabei würde deren Schamgefühl verletzt. Das mache sie „verwundbar für weitere sexuelle Grenzverletzungen und begünstigt, dass sie zu Tätern oder Opfern sexueller Gewalt werden“, sagte sie zu pro. Gerade wenn Kinder und Jugendliche Pornos mit Erwachsenen anschauten, vermittle das eine Akzeptanz für Pornografie und animiere eher dazu, Sexualität als Konsumgut zu nutzen. Prävention durch Pornos – in diesem Ansatz sieht Freitag „die gleiche Strategie, mit der Sexualpädagogen begründen, warum man Kindergartenkinder detailliert in Wort und Bild über sexuelle Spielarten aufklären müsse“. Doch wenn das Schamgefühl der Kinder und Jugendlichen bei der sexuellen Aufklärung verletzt würde, bewirke die vermeintliche Prävention von sexuellem Missbrauch das Gegenteil. (pro)
Hinweis der Redaktion: In einer früheren Version dieses Artikels hieß es, die Wissenschaftler forderten, in der Schule Pornografie zu zeigen. Für diese Formulieung fanden sich bei einer weiteren Recherche keine Belege.„Pornos in der Schule gehen gar nicht“ (pro)
Online-Sucht: „Der Computer bietet Ablenkung“ (pro)
Australische Stadt wird „porno-frei“ (pro)