„Sieben Todsünden“ – dieses theologische Konstrukt wirkt antiquiert und mag belächelt werden. Eine Sonderausstellung im Kloster Dalheim nahe Paderborn mit dem Titel „Die 7 Todsünden“ zeigt jedoch, wie aktuell das Thema noch heute ist.
Die Wolllust in Person: Die Comicfigur Jessica Rabbit aus dem Comicfilm „Falsches Spiel mit Roger Rabbit“ symbolisiert in der Ausstellung „7 Todsünden“ eines der Laster
Hochmut, Wollust, Trägheit, Zorn, Habgier, Völlerei und Neid gelten in der klassischen Theologie als Ursache vieler Sünden. Umgangssprachlich werden diese deswegen als Hauptlaster bezeichneten schlechten Charaktereigenschaften des Menschen auch die „sieben Todsünden“ genannt. In der Katholischen Kirche gelten diese als besonders schwerwiegend. Bis zum 1. November 2015 widmet sich ihnen eine Sonderausstellung im Museum Stiftung Kloster Dalheim des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe für Klosterkultur. „Die 7 Todsünden – 1.700 Jahre Kulturgeschichte zwischen Tugend und Laster “ zeigt, wie sich dieses theologische Konstrukt vom 4. Jahrhundert bis heute verändert hat – und damit auch die Bewertung menschlicher Eigenschaften.
Besucher betreten die Ausstellung in den Obergeschossen des Klosters durch ein Portal aus sieben Torpfosten. Jeder Pfosten der Eingangsinszenierung präsentiert eine Todsünde. Dafür wurden moderne Bilder aus Alltagssituationen angefertigt, die in ihrer Grundaussage dem Betrachter zunächst neutral erscheinen. Ein Mädchen umklammert seine Puppen, ein Autofahrer lehnt aus dem Fenster seines PKW, ein Junge sinniert vor einem Schulheft, ein Paar küsst sich, jemand hat eine Mahlzeit vor sich auf dem Tisch stehen, ein junger Mann macht ein Selfie, eine junge Frau hält ein Geschenk. Ändert der Betrachter Standpunkt und Blickwinkel, werden auf den Kippbildern Werbeslogans und Zeichnungen sichtbar. Der Werbespruch einer Brauerei „Heute ein König“ in Verbindung mit einer skizzierten Krone lassen aus dem Selfie-Motiv den Hochmut erwachsen. Die Mahlzeit wird mit gezeichneten, weit aufgerissen Augen und gierigem Mund des Mannes zur Völlerei. Die Motive verschmelzen jeweils zu einem überzeichneten Bild.
„Wie wollen die Besucher zum Nachdenken anregen“, erklärt Helga Fabritius. Sie ist Kunsthistorikerin und kuratiert die Ausstellung. „War die Bewertung dieser sieben menschlichen Eigenschaften immer gleich? Hat das Konzept der sieben Todsünden zu unserem Leben heute noch einen Bezug?“
Großes Fressen statt Heilsgeschichte
Die Ausstellung ist chronologisch aufgebaut. Sie beginnt bei den Wüstenvätern, die im 4. Jahrundert als erste den Kanon von Lastern entwickelten – menschlichen Eigenschaften, die den eigenen Weg negativ beeinflussen und so vom Ziel der ewigen Gottesschau wegführen. Im Mittelalter dienten die Todsünden pädagogischen Zwecken: In der Bildsprache jener Zeit wurde dem Lasterbaum mit seinen sieben Todsünden, der aus dem Hochmut entspringt, der Tugendbaum gegenübergestellt, welcher seine Wurzel in der Caritas, der christlichen Nächstenliebe, hat. 1215 wurde die Beichtpflicht eingeführt. Jeder musste einmal pro Jahr zur Beichte gehen. Damit der Gläubige wusste, was er beichten soll, bediente sich die Kirche des Katalogs der Eremiten.
Die Ausstellung zeigt: Vor der Reformation ist das Thema vor allem theologisch besetzt. Aber auch nach der Reformation bleiben die sieben Todsünden als moralisches Konzept erhalten. Luthers „Hauspostille“ enthält eine Predigt über die sieben Todsünden. Kunsthistorikerin Fabritius: „Bei den sieben Todsünden handelt es sich eigentlich um Eigenschaften, die für ein gesellschaftliches Zusammenleben wichtig sind. Jede Gesellschaft muss sich dazu äußern und wertet diese Eigenschaften unterschiedlich und muss damit, losgelöst von der katholischen Theologie, auch umgehen.“
Nach der Reformation zeigen sich die sieben Eigenschaften in der Kunst vermehrt nicht mehr im Ensemble, sondern allein. Die Todsünden werden in der Kunst ihrer Zeit salonfähig gemacht. Etwa eine Grafik aus dem Barock verdeutlicht Frivolität und Üppigkeit der Epoche. Der Barock entpuppt sich aus heutiger Sicht als Zeit der Wolllust und der Völlerei. Das „Theatrum sacrum“, die bildliche Darstellung der christlichen Heilsgeschichte unter Einbezug „theatralischer“ Effekte, weicht in den Stilepochen des Barock und Rokoko der Darstellung des Essens als Theater.
Hochmut: Die Welt ist nicht genug
Eine Installation zeigt, wie Tag und Nacht im Zeitalter der Industrialisierung durch den Takt der Maschinen segmentiert werden. Ständige Arbeit bestimmt den Menschen, der nun ein Recht auf Trägheit einfordert. Die Todsünde wird zur Tugend. Die Ausstellung verdeutlicht anhand von Grafiken und Exponaten, wie die Kolonialzeit geprägt ist vom Hochmut, der eingebildeten Überlegenheit über Schwarze. Die 20er Jahre sind wiederum geprägt von Wolllust und Freizügigkeit. Die Ausstellung verdeutlicht dies anhand von Kleidungsstücken und Revueszenen.
Die Zeit des Nationalsozialismus ist in grauen, nicht wie sonst roten Vitrinen eingefangen. Die Nazis machten den Hochmut zur Tugend, denn ohne den funktionierte der Rassenwahn nicht. Hitlers gigantischer Globus aus dem Braunen Haus symbolisiert dies. Ihm gegenüber spielt Charly Chaplin mit dem Weltenball in dem Film „Der große Diktator“. Die Trägheit des Herzens war während der NS-Zeit mitverantwortlich, dass viele Menschen beim Genozid wegsahen.
„Es geht nicht darum, den Zeigefinger zu erheben. Der Besucher soll sich bewusst machen, was hinter vielen Bilder und Metaphern steckt, die wir kennen und so eine Verbindung zu den sieben Eigenschaften herstellen. Wir möchten zeigen, wie fragil und wie wandelbar das Zusammenspiel dieser menschlichen Eigenschaften über die Zeit war“, erklärt Fabritius.
Todsünde soll zum Kaufen reizen
Im Klosterkeller stellt das Museum die Todsünden in den Kontext der Nachkriegszeit und der Moderne. Der Besucher wird mit der Fresswelle, der Völlerei, konfrontiert. Exponate aus dem Erotik-Versandhandel von Beate Uhse und die Aufklärungsgeschichten Oswald Kolles veranschaulichen, wie sich die Deutung von Wolllust gewandelt hat. Zorn, der sich positiv äußert und etwas verändern möchte, wird beispielsweise anhand der Lederjacke von Rudi Dutschke veranschaulicht. Dass der Zorn auch eine negative Seite hat, ist daneben an Fahndungslisten der RAF-Terroristen zu sehen.
Die Ausstellung zeigt, wie zeitgenössische Werbung mit diesen Eigenschaften spielt, weil sich damit gut verkaufen lässt. Nicht nur mit der Wolllust, der freizügigen Darstellung weiblicher Körper auf Produkten und Marken. Auch die einstige Todsünde des Geizes wird nun zur Tugend erklärt, wenn die Werbung versucht zu transportieren: „Geiz ist geil.“
„7 Todsünden“ stellen Fragen ans Leben
Der Betrachter ist an vielen Exponaten und Installationen aufgefordert, sich selbst zu positionieren. Darin liegt das Geheimnis der Ausstellung: Der Besucher wird nachdenklich gestimmt über das Konzept seines eigenen Lebens, das er sich erarbeitet hat und über das er sich identifiziert. Er muss seine eigenen Werte, Charaktereigenschaften und Einstellungen hinterfragen.
„Die 7 Todsünden“ ist eine sehr gelunge kulturgeschichtliche Ausstellung über 17 Jahrhunderte mit hohem künstlerischen Anspruch, die entgegen der Vermutung keinen rein religiösen Charakter hat. Die Ausstellung ist fein komponiert, überzeugt durch exquisite Exponate und überraschende Momente. Sehr empfehlenswert. (pro)
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